TU intern - Januar 1999 - Aktuelles
Gesundheit und das liebe Geld
Die Gesundheitsreform erregt die Gemüter, und das nicht erst seit dem Regierungswechsel im Oktober vergangenen Jahres. Die einen schimpfen über stetig steigende Kosten, die anderen über sinkende Einnahmen und die Patienten, um die es eigentlich gehen sollte, stehen oft da und verstehen überhaupt nichts mehr. Was ist los mit der Gesundheitsreform? TU intern sprach mit Prof. Dr. Rolf Rosenbrock. Rolf Rosenbrock ist Sprecher des Forschungsbereichs Arbeit und Gesundheit" am Berliner Zentrum Public Health und Professor am Fachbereich 7 Umwelt und Gesellschaft der TU Berlin. Herr Rosenbrock, weniger Zuzahlungen für Medikamente, mehr Erstattungen bei Zahnarztbehandlungen und die Aussetzung des Krankenhausnotopfers, das sind Maßnahmen, die die Bundesregierung Mitte Dezember 1998 in einem Vorschaltgesetz zur Gesundheitsreform verabschiedet hat. Uneingeschränkter Grund zur Freude für die Patienten? Das Vorschaltgesetz nimmt nur einige Schritte in die falsche Richtung zurück, die die alte Regierung unternommen hatte. So kam es zum Beispiel durch die erhöhten Direktzahlungen der Patienten dazu, daß ungefähr ein Drittel der Kostensteigerung in der Krankenversorgung von den Patienten selbst getragen wurde und nur noch je ein Drittel von den Versicherten und den Arbeitgebern. Die paritätische Finanzierung und damit die Solidarität zwischen Kranken und Gesunden war dadurch nicht mehr gegeben. Die Ärzte haben mit scharfem Protest und Streik auf das Vorschaltgesetz reagiert, sie befürchten Einschränkungen bei der ambulanten Versorgung der Patienten. Ist das Panikmache oder Realität? Der Protest der Ärzte richtet sich gegen die Budgetierung. Diese besagt, daß die Politik und nicht die Medizin definiert, welcher Teil des volkswirtschaftlichen Gesamtprodukts für die medizinische Versorgung ausgegeben werden soll. Das ist immer willkürlich. Die Erfahrung von 1993 bis 1995, als es unter einer CDU/ FDP-Regierung bereits eine Budgetierung gab, zeigt aber, daß man budgetieren kann, ohne die Qualität einzuschränken. Die Vorgaben im Vorschaltgesetz beziehen sich auf Jahre, in denen Ärzte und Patienten gut mit dem zur Verfügung stehenden Geld ausgekommen sind. Wer bestimmt eigentlich, was ein Arzt verdient, und welche Rolle spielt dabei die kassenärztliche Vereinigung? Für sinkende oder ungerecht verteilte Honorare bei den Ärzten ist nicht die Gesundheitsministerin verantwortlich. Die Krankenkassen vergüten die Leistungen pauschal an die kassenärztliche Vereinigung. Über die innerärztlichen Verteilungsmaßstäbe entscheiden alleine die Ärzte, durch ihre selbstgewählte Selbstverwaltung, die kassenärztliche Vereinigung. Diese setzt Bewertungsmaßstäbe fest, die die Krankenkassen absegnen müssen.
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Jede ärztliche Behandlung ist zunächst mit einem bestimmten Punktwert versehen, diese Punkte sammeln die Ärzte über einen Abrechnungszeitraum hinweg. Unter den Bedingungen der Budgetierung gibt es nur eine bestimmte Menge Geld. Diese wird am Ende der Abrechnungsperiode durch die Gesamtzahl der Punkte dividiert und so ergibt sich, wieviel in dieser Zeit ein Punkt wert war, sprich wieviel ein Arzt verdient. Wenn also alle mehr arbeiten, gibt's für alle pro Punkt weniger Geld. Dieser Effekt ist allerdings durch verschiedene Regelungen abgeschwächt. Welche Möglichkeiten sehen sie zur Kostensenkung im Gesundheitswesen? Es gibt Schätzungen, nach denen man etwa 10 bis 20 Prozent, also zwischen 30 und 50 Milliarden Mark, pro Jahr einsparen könnte, ohne die Qualität der Versorgung zu beeinträchtigen. Das beinhaltet u. a. die konsequente Einhaltung des Hausarztprinzips. Er soll ein Regisseur sein, der die Behandlung steuert. Der Patient läuft bei Gesundheitsstörungen nicht mehr von Arzt zu Arzt, macht alle Untersuchungen mehrmals und findet sich letztlich in einer Fülle von nicht mehr zu verarbeitenden Informationen wieder. Kostensparend würden sich auch eine Positivliste für Medikamente auswirken, wie sie z. B. in der Schweiz oder Schweden schon erfolgreich eingesetzt wird, und eine Verstärkung von Prävention und Gesundheitsförderung. Eine Kostenexplosion im eigentlichen Sinne hat es in übrigens Deutschland nie gegeben. Der Anteil der Ausgaben für Gesundheit am Volkseinkommen ist seit Mitte der 70er Jahre faktisch konstant. Was die Leute ärgert, sind die steigenden Beitragssätze, die sich durch eine sinkende Beschäftigtenquote ergeben. Hinzu kommt, daß in Deutschland seit den 70er Jahren der Anteil der Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit konstant sinkt. Demgegenüber steigt der Anteil der Einkommen aus unternehmerischen Tätigkeiten, d. h. die Basis für die Krankenversicherungsbeiträge erodiert. Angesichts der abnehmenden Bedeutung des Normalarbeitsverhältnisses für die Wirtschaft und der Zunahme von Kurzzeitverträgen, Scheinselbständigkeit, geringfügiger Beschäftigung usw. müssen wir spätestens in 10-20 Jahren das gesamte Versicherungssystem auf eine andere Basis stellen. Sonst gehen die gesetzlichen Krankenversicherungen pleite, aber sie gehen nicht pleite an einer Kostenexplosion.
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