TU intern - Januar 1999 - Verschiedenes

Was kostet uns der Strom morgen?

Wirtschaft und Politik im Streitgespräch

Preiswerter Strom
und eine intakte
Umwelt: Zwei Dinge,
die nicht leicht unter
einen Hut zu bringen sind
Angesichts von Globalisierung, Privatisierung und Ausstieg aus der Kernenergie ist die Zukunft der Energieversorgung so offen wie schon lange nicht mehr. Neue politische Mehrheiten und die Globalisierung der Märkte erfordern einen erneuerten umwelt- und technologiepolitischen Konsens für die Energieversorgung in Deutschland. Die Gegenüberstellung und Diskussion der kontroversen Positionen aus Energiewirtschaft und -politik war das konkrete Ziel des ersten Forums Technik und Gesellschaft, das zukünftig viermal im Jahr von der Technischen Universität gemeinsam mit den VDI nachrichten im Deutschen Technikmuseum durchgeführt werden soll.

Was kostet uns der Strom morgen? Dieser doppeldeutigen Frage stellten sich am 7. Dezember 1998 der Vorstandsvorsitzende der BEWAG (und TU-Professor) Dietmar Winje und der SPD-Energieexperte, MdB und Präsident von Eurosolar, Hermann Scheer im ersten Forum Technik und Gesellschaft. Moderator der spannungsreichen Kontroverse war der Chefredakteur der VDI nachrichten, Winfried Schulze.

Vor rund 500 Zuschauern machten die beiden Experten deutlich, wie weit die Positionen aus Politik und Wirtschaft in der Stromversorgung noch immer auseinanderklaffen. Als ein besonders kontroverser Streitpunkt stellte sich dabei die zukünftige Regelung der Stromdurchleitungsrechte von neuen Anbietern in den Leitungsnetzen der bisherigen Energieversorgungsunternehmen heraus.

Prof. Winje wies zunächst darauf hin, daß der Strompreis gesunken sei und weiter sinke. Noch liege Deutschland im internationalen Vergleich zwar eher im oberen Drittel, doch für gewerbliche Kunden sei der Strompreis bereits um 25 Prozent gesunken und habe die Berliner Wirtschaft um 300 Millionen Mark entlastet. Winje machte unmißverständlich klar, daß die BEWAG aus betriebswirtschaftlichen Gründen die rechtlich möglichen Begrenzungen der Durchleitungsrechte nutzen werde, um sich mißliebige Konkurrenz vom Leibe zu halten. Die vom Gesetzgeber geschaffene Möglichkeit, zum Schutz der Verstromung heimischer Braunkohle Durchleitungsrechte zu verweigern, werde natürlich ergriffen.

Streitgespräch zwischen
Dietmar Winje und
Hermann Scheer im
Deutschen Technikmuseum
Hermann Scheer kritisierte die Fixierung der Diskussion auf die Energie-Preise. Zentral sei vielmehr die Frage nach den ökologischen Kosten der Stromversorgung. Die umweltfreundliche, klimaschonende Energieversorgung habe als politisches Ziel Vorrang vor dem Strompreis. Scheer fragte, ob die bisherige Deregulierung der Strom-Märkte und der sinkende Strompreis die Umweltbelastung vergrößern und damit die umweltpolitischen Kosten in die Höhe trieben. Deregulierung würde nicht immer zu mehr Markt, sondern zu einer Konzentrationswelle führen, der Scheer die dezentrale Energieversorgung nach dänischem Modell gegenüberstellte. Dort würden bereits rund 50 Prozent des Stroms in Kraft-Wärme-Kopplungen hergestellt, gleichzeitig gehöre der Strompreis mit zu den niedrigsten in ganz Europa. Für die Sicherstellung der Rechte privater Anbieter forderte Scheer eine Regulierungsbehörde, die nach dem Vorbild des Telekommunikationsgesetzes arbeiten solle. Ansonsten sei kein fairer Wettbewerb möglich.

In einigen Fällen kritisierte Scheer auch die energiepolitischen Mehrheitspositionen seiner eigenen Fraktion. So sprach er sich dagegen aus, daß Energieversorger, wie die BEWAG, mit Hinweis auf die eigene Braunkohleverstromung die Vergabe von Durchleitungsrechten an Dritte verhindern können. Hier werde mit dem Verweis auf den Erhalt von Arbeitsplätzen eine nicht nachhaltige und zukunftsfähige Stromerzeugung am Leben erhalten. Die Möglichkeit für die Energieversorger, Durchleitungsrechte zu verweigern, wenn der eigene Strom aus Blockheizkraftwerken stamme, befürwortete Scheer dagegen.

Einigkeit bestand zwischen den beiden Rednern bezüglich der Einschätzung des bisher beschlossenen Teils der ökologischen Steuerreform. Sie biete kaum Anreize zum Energiesparen und zur technischen Produktivitätssteigerung in der Energieerzeugung. Winje machte klar, daß eine Veränderung der energiewirtschaftlichen Akzente der BEWAG immer nur eine Reaktion auf die Verschiebung der energiepolitischen Rahmenbedingungen sein könne, für deren Veränderungen die Politik und nicht die Wirtschaft zuständig sei.

Hans-Liudger Dienel


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