TU intern - Juli 1999 - Studium

Gebaut - nicht gezeichnet

Eine außergewöhliche Diplomarbeit bei den Architekten

Der Inneraum des Dachgeschosses wird auf zwei Seiten von einer Terrasse umgeben. Er ist voll verglast und mit großen Schiebetüren versehen
Ein Novum gab es kürzlich in der Geschichte des Fachbereichs 8 Architektur der TU Berlin, wo erstmals eine Diplomarbeit nicht gezeichnet, sondern gebaut wurde. Matthias Stütz hatte eigentlich den Auftrag angenommen, ein Mehrfamilienhaus zu modernisieren. Doch im Laufe der Arbeiten entstand die Idee, das Gebäude aufzustocken und den Dachausbau als Diplomarbeit anzumelden. Über seine Erfahrungen während der ungewöhnlichen Diplomarbeit berichtet Matthias Stütz:

Ein Versuch, mehr konnte es nicht sein. Ohne jemals ein Architektenbüro von innen gesehen zu haben und mit einem Baupraktikum in Indien, nahm ich den Auftrag an, ein Haus an der Breestpromenade in Berlin-Friedrichshagen zu modernisieren und aufzustocken.

Prof. Lutz Kandel vom Fachgebiet Entwerfen und Baukonstruktion und Prof. Dr. Klaus Fitzner vom Fachgebiet Heiz- und Raumlufttechnik nahmen sich meiner und meines Themas an und boten mir durch eine Vielzahl von praktischen Ratschlägen eine Sicherheit: Immer wenn ich nicht weiter wußte, war jemand da, den ich fragen konnte.

Der Abgabetermin der Diplomarbeit setzte einen fixen Zeitpunkt für die Fertigstellung des Hauses. Weil ich von vorneherein akzeptierte, daß sich der Bau während der Ausführung mehrmals ändern würde, konnte ich ohne festen Plan flexibel auf die jeweilige Situation eingehen. Die Präsentationspläne wollte ich erst nach der Fertigstellung zeichnen, so wie das in Indien die Regel ist. Ein Haus ist nicht hundertprozentig planbar, man kann nur eine Richtung festsetzen oder Grenzen abstecken.

Der Bau ging mit mir durch. Es gab über Monate kein Privatleben, und alle Gedanken kreisten um die nächsten Arbeiten. Da ich kein fixes Endprodukt vor Augen hatte und von Seiten der Bauherren keine Einschränkung kam, entstand mehr als ursprünglich angedacht war. Der Innenraum des Dachgeschosses wird auf zwei Seiten von einer Terrasse umgeben, er ist voll verglast und mit großen Schiebetüren versehen. Um eine Überhitzung durch Sonneneinstrahlung zu vermeiden, gibt es eine Markise im Süden und eine aktive Kühlung, deren Wasser im Erdreich gekühlt wird. Um das Leben endgültig angenehm zu machen, gibt es einen offenen Kamin und auf der Terrasse ein Saunahäuschen mit 600 l Eichenfaß zum Abkühlen. Eine Wendeltreppe verbindet Küche und Wohnzimmer. Sie windet sich um einen Eichenstamm, wobei keine Stufe der anderen gleich ist.

Pläne und Termine gab es viele im Verlauf der Arbeiten, keiner wurde eingehalten. Im Laufe der Zeit änderten sich nicht nur die Ideen für den Ausbau, sondern auch der Umgang mit den Firmen rapide. Ich schloß vom handelsüblichen Standardvertrag bis hin zum Handschlag eine Vielzahl von ”Verträgen" ab. Wenige Betriebs- oder Handwerksleiter haben schlechte Erinnerungen an diesen Bau. Die meisten hoffen, daß der ”Jungarchitekt" bald Folgeaufträge bekommt und die Zusammenarbeit weitergeht. Durch die Erfahrungen beim ersten Bau würde ich mir zutrauen, weitere Baustellen wesentlich klarer und entspannter durch alle Leistungsphasen zu führen. Die Diplomprüfung fand übrigens termingerecht im (fast) fertigen Bau statt.


© 7/'99 TU-Pressestelle