TU intern - Juli 1999 - Medien

SetTop-Boxen: die ”Kisten" der Zukunft?

Wie wird das Fernsehen der Zukunft aussehen?
Auf dem Bildschirm meines PCs läuft gerade ”Vera am Mittag" mit dem Thema ”Möbelhersteller zocken kräftig ab". Dazu habe ich auch etwas zu sagen. Mit der Maus klicke ich auf das Telefonsymbol auf dem Bildschirm. Sofort bin ich mit der Redaktion von ”Vera" verbunden und werde ins Studio gestellt. Mittlerweile läuft auch meine auf dem Monitor befindliche Kamera, und schon bin ich live in Bild und Ton im Studio zu sehen. Frustiert berichte ich über meine schlechten Erfahrungen beim Kauf meiner Eichen-Furnier-Schrankwand. Zum Glück ist meine Kamera kabellos, und so kann ich meinen Frust anschaulicher gestalten. Mit der Kamera in der Hand laufe ich ins Wohnzimmer und filme die besagte Schrankwand. Millionen von Zuschauern sehen jetzt meine Schrankwand und können an meinem Frust teilhaben. Wird so das Fernsehen der Zukunft aussehen?

DIGITALE ÜBERTRAGUNG

Bislang werden Fernsehbilder noch überwiegend auf analogem Wege vom Sender zum Empfänger mittels elektromagnetischer Wellen transportiert. Das digitale Fernsehen überträgt Bilder wie Computerdaten. Allerdings muß das von Satellit oder Kabel empfangene digitale Signal wieder in ein analoges umgewandelt werden, um vom Fernsehgerät gelesen werden zu können. Deswegen gibt es eigentlich noch kein digitales Fernsehen, sondern nur den digitalen Übertragungsweg.

Da der Empfang digitaler Fernsehsignale zur Zeit noch mit hohen Kosten verbunden ist, sind europaweit nur ca. drei Millionen Haushalte daran beteiligt. Für den Empfang ist die Anschaffung eines Empfangsgerätes Grundvoraussetzung, das die digitalen Signale in analoge umwandelt, der sogenannten SetTop-Box, deren Preis bei ca. 800,- DM liegt. Die von der Kirch-Gruppe vertriebene SetTop-Box wird zusammen mit einer lizenzierten Software angeboten, die den Kunden gegebenfalls mittels des Übertragungsformates an den Hersteller der Box bindet. Um diesem Problem entgegenzuwirken, arbeitet eine eigens gegründete Multimedia-Guppe an der Prozeß-Rechner-Verbund-Zentrale der TU Berlin an der Entwicklung einer lizenzfreien, frei verfügbaren Software. Joachim Euchner von der Multimedia-Gruppe ist der Meinung, daß eine lizenzgebundene Software mit einer ungeheuren politischen Macht einhergehen kann, da der Hersteller der Box über die Inhalte, die zu empfangen sind, mitentscheiden kann. Da sich digitale Daten zur Verschlüsselung bestens eignen, können zusätzliche Abogebühren leicht erhoben werden. Ein ”Pay-per-view" wäre auch leicht möglich. Während also ”digitales Fernsehen" für die Zuschauer aufgrund dieses Kostenfaktors noch nicht allzu attraktiv erscheinen mag, ist es für die Programmanbieter mit einem enormen Kostenvorteil verbunden. Die digitale Übertragung ist circa zehnmal billiger als die analoge, da die Anmietung der Übertragungskapazität, die für einen analogen Kanal benötigt wird, ausreicht, um bis zu zehn digitale Programme abzustrahlen. Geht es bislang beim ”digitalen Fernsehen" vorrangig um die Erhöhung des Programmangebotes und der Sendequalität - derzeit reicht das Angebot von Spielfilmen über Dokumentationen bis hin zu umfangreicher Sportberichterstattung - wird die Zukunft des ”digitalen Fernsehens" voraussichtlich von Interaktivität dominiert sein.

MULTIMEDIA HOME PLATTFORM

Auf der letzten CEBIT Home wurde vom ”Unitel - Universal SetTop-Box-Project" des ISIS-Programms der Europäischen Kommission die Multimedia Home Plattform vorgestellt, die auf der Programmiersprache Java basiert und es durch Standardisierung ermöglicht, daß alle SetTop-Boxen aller Hersteller an jeder Satellitenschüssel oder jedem Kabelanschluß voll funktionstüchtig sind, ohne daß es noch irgendwelcher direkten Verabredungen mit Broadcastern oder Servicesuppliern bedarf. Mit der Multimedia Home Plattform wird es möglich werden, Hunderte von Programmen nach Vorlieben durchsuchen zu lassen, am Televoting teilzunehmen oder eine Verbindung des Fernsehers mit dem World Wibe Web herzustellen. Möglich wäre dann vielleicht auch die eingangs beschriebene Teilnahme an einer Live-Fernsehsendung mit Echtzeitübertragung von Ton und Bild direkt aus dem eigenen Wohnzimmer ins Fernsehstudio.

Michaela Kawall


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