TU intern - Juni 1999 - Aktuelles

Was wird aus der sozialen Sicherung?

”Im Grunde genommen geht es nicht um die Geldströme, sondern um die laufende Produktion"
Jürgen Kromphardt

Beuten die Alten die Jungen aus? fragte der Bund Junger Unternehmer (BJU) kürzlich in einer Diskussionsveranstaltung, die in Zusammenarbeit mit der Zentraleinrichtung Kooperation der TU Berlin durchgeführt wurde. Der BJU fordert einen neuen Generationenvertrag, da in der heutigen Gesellschaft viele politische Entscheidungen ohne Rücksicht auf die Interessen der kommenden Generationen getroffen werden. Besonders klar werde dies im Bereich der sozialen Sicherung, wie der Rentenversicherung. Über Status und Zukunft der sozialen Sicherung sprach TU intern mit Dr. Jürgen Kromphardt, Professor am Institut für Volkswirtschaftslehre der TU Berlin und Mitglied im "Rat der fünf Weisen".

Herr Kromphardt, was ist ein Generationenvertrag?

Der Begriff Generationenvertrag ist nur ein Schlagwort dafür, daß die jeweilige Generation der Erwerbstätigen für die ganz Jungen und die Älteren zu sorgen hat. Das heißt auf der realen Ebene: Die Erwerbstätigen müssen produzieren und dabei sowohl die Kinder als auch die Älteren mitversorgen. Auf der monetären Ebene geht es darum, wie die jeweilige Gruppe die Kaufkraft bekommt, um die produzierten Waren zu erwerben.

Welche Modelle existieren dazu?

Heute ist das für die ältere Generation im wesentlichen so geregelt, daß man während des Erwerbslebens Beiträge bezahlt, aus denen die Renten der Älteren finanziert werden. Verbunden ist damit die Erwartung, daß man, wenn man selbst aus dem Erwerbsleben ausscheidet, von den dann Erwerbstätigen ebenfalls eine Rente bekommt. Dieses Modell wird als Umlageverfahren bezeichnet. Daneben gibt es das Kapitaldeckungsverfahren, wonach jeder einzelne heute Gelder anlegt, die er zusammen mit den entstandenen Zinsen im Rentenalter aufbraucht. Da die Höhe der Rente bei diesem Modell selbst beeinflußt werden kann, hofft man, daß höhere Beträge gespart werden. Diese erleichtern den Unternehmern höhere Investitionen, die Produktionskapazität der Volkswirtschaft kann rascher wachsen, so daß am Ende alle davon profitieren.

Wo sind die Nachteile des Verfahrens?

Zum einen ist fraglich, ob mehr gespart wird oder ob es nur zu einer Umschichtung der Gelder kommt, z. B. von Wertpapieren zu Versicherungen. Außerdem besteht die Gefahr, daß der erwünschte Effekt, die steigende Produktionskapazität, gar nicht eintritt. Wenn nämlich jetzt mehr gespart wird, dann wird zugleich weniger gekauft, die Unternehmen haben also weniger Anreiz zu investieren. Ein drittes Problem entsteht, wenn man die ganze Renterversicherung auf das Kapitaldeckungsverfahren umstellt. Die angesparten Summen übersteigen dann das gesamte in Deutschland existierende Sachkapital, was zu einem drastischen Verfall der Zinsen führen kann. Gerade über die Zinsen wird aber beim Kapitaldeckungsverfahren die Rente mitfinanziert. Das Problem des Umlageverfahrens besteht dagegen darin, daß es vergleichsweise einfach ist, sich zu entziehen, zum Beispiel durch Schwarzarbeit, Selbständigkeit oder Scheinselbständigkeit.

Das läßt eine Mischfinanzierung sinnvoll erscheinen, gibt es bereits Erfahrungen damit?

Ja, in der Schweiz gibt es eine umlagefinanzierte Grundversorgung, an der jeder in der Schweiz lebende oder arbeitende Bürger teilnimmt. Wer kein Einkommen angibt, muß aufgrund seines Vermögens Rentenbeiträge zahlen. Hinzu kommt eine obligatorische Betriebsrente.

Zurück zur Gegenwart. Beuten die Alten die Jungen aus?

Nach einer Statistik des DIW in Berlin haben im Durchschnitt die Haushalte von Pensionären, also Beamten im Ruhestand, ein höheres verfügbares Einkommen je (bedarfsgewichtetem) Haushaltsmitglied als die aktiven Beamten. Das ist nicht zu vertreten, besonders weil durch die Umkehrung der Bevölkerungspyramide in Zukunft eine Verschärfung des Problems zu befürchten ist. Bei den Rentnern ist das Bild differenzierter. Wenn man die Regelungen so läßt, wie sie jetzt sind, werden die Erwerbstätigen immer mehr abgeben müssen, so daß die Relation von Netto- zu Bruttoeinkommen sich immer mehr verschlechtern wird.

Sind also die Renten zu hoch?

Es gibt Renten, die zu niedrig sind, und es gibt andere, die zu hoch sind, relativ zu dem, was die Aktiven verdienen. Deshalb finde ich es nicht richtig, das Rentenniveau generell zu senken. Eine Senkung des Durchschnitts könnte aber trotz Strukturreformen aufgrund des demographischen Faktors unvermeidbar sein.

Sind die Renten auch in Zukunft sicher?

Ja und nein. Sicher ist, daß das Rentenniveau nicht den heutigen relativen Stand halten wird. Genau so sicher ist, daß jeder, der einen Anspruch erworben hat, später eine Rente bekommen wird. Insofern ist es Panikmache, wenn man sagt, die Renten sind nicht sicher.

Im übrigen können Änderungen der Finanzierung die Rentenprobleme der Zukunft nicht lösen, da es im Grunde genommen nicht um die Geldströme, sondern um die laufende Produktion geht. Ein größer werdender Anteil an Älteren wird auf die Produktionsmengen der Erwerbstätigen zugreifen. Haben die Rentner im Rahmen eines Kapitaldeckungsverfahrens größere Summen angespart, können sie aufgrund ihrer hohen Kaufkraft den Jüngeren die Güter "wegkaufen". Zahlen die Jüngeren sehr viel in die Rentenkassen ein, bleibt ihnen selbst weniger Geld, um Güter zu erwerben. Der Effekt ist derselbe. Neue Regelungen der Rentenfinanzierung können lediglich helfen, die Belastungen gleichmäßiger zu verteilen.


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