TU intern - Juni 1999 - Studium
Angst vor der Prüfung?Streß haben manchmal auch die Professoren Ein gewisses Maß an Prüfungsangst gehört wohl zu jeder Prüfung. Wird sie aber zu groß, kann dies dazu führen, daß Prüfungen ständig verschoben werden. Arbeitsstörungen oder psychosomatische Probleme tauchen auf, oder es kommt zu Blackouts in der Prüfung. Was macht Prüfungen manchmal so problematisch? Eine Prüfungssituation ist eine Leistungssituation auf der Grundlage der Beziehung zwischen Prüfer und Prüfling. Sie ist für beide Seiten nicht immer einfach zu bewältigen. Prüfer sind oft gezwungen, stundenlang hintereinander Prüfungen abzunehmen, und womöglich gestreßt, was das adäquate Eingehen auf den Prüfling erschwert. Für Studierende ist die universitäre Prüfung nicht die erste Prüfung. Sie wird nicht selten unter dem Blickwinkel von Vorerfahrungen gesehen, die einer angemessenen Herangehensweise im Wege stehen. DROHENDER EINBRUCH DES SELBSTWERTGEFÜHLS Etwa, wenn als Kind die Erfahrung gemacht wurde, daß Anerkennung als Person nur durch gute Leistungen zu bekommen ist. Dann steht mehr auf dem Spiel als das Bestehen oder Nicht-Bestehen der Prüfung. Es geht auch darum, die Autorität nicht zu enttäuschen und den drohenden Einbruch des Selbstwertgefühls zu vermeiden. Die Prüfung wird überfrachtet, und jedes auch noch so belanglose Verhalten des Prüfers als wertend in Bezug auf sich selbst gewichtet. Scheint er gelangweilt, unzufrieden? Weshalb hebt er die Augenbrauen? Wenn einige Prüfer ahnten, wie sehr ein Gähnen, ein kurzes Wegschauen oder ähnliches den Prüfling irritieren können, sie wären vermutlich sehr erstaunt. Begünstigend für solche "Übertragungsphänomene" wirkt die Anonymität und Distanz zwischen Professor und Student, die typisch für eine Massenuniversität ist und die es auch dem Prüfer nicht gerade leicht macht, mit Prüfungsängsten von Studenten umzugehen. Daß aber auch der Prüfer auf Signale des Prüflings reagiert, ist wiederum den Studenten oft nicht klar. Wohl die wenigsten vermuten,daß zum Beispiel große Unsicherheit, ein Blackout oder Weinen des Prüflings auch einen Prüfer unter Streß setzen können. In den letzten Jahren kam die Erfahrung hinzu, daß Kinder keine Reaktion auf ihre Leistungen bekommen haben, daß die Eltern ihnen mit einer Art "toleranter Gleichgültigkeit" begegneten. In Bezug auf Prüfungen kann das zur Folge haben, daß es bei fehlender Unterstützung und Ermutigung schwierig wird, die Energie aufzubringen, langfristige Ziele zu verfolgen und die eigenen Fähigkeiten einzuschätzen. Wie auch immer die vorangehenden negativen Erlebnisse aussehen mögen, mögliche korrigierende Erfahrungen durch Austausch mit Dozenten, mit anderen Studierenden über Prüfungserfahrungen und gemeinsames Vorbereiten auf Prüfungen, fehlen häufig in einer großen Universität. Welche Wege gibt es nun, der Prüfungsangst zu begegnen? Eine Möglichkeit ist der Besuch der Prüfungsangst-Gruppe, die jedes Semester von der Psychologischen Beratung in der Allgemeinen Studienberatung der TU angeboten wird. Zunächst geht es hier um Austausch. Denn so banal es auch klingen mag: Mitzubekommen, daß andere auch Prüfungsangst haben, wirkt entlastend. Darüber hinaus ist es das Ziel der Prüfungsgruppe, in Bezug auf jeden einzelnen zu erkennen, was es so schwierig macht, in die Prüfung zu gehen. PRÜFUNG IM ROLLENSPIEL Prüfungsängste werden bearbeitet, indem sie auf die konkret anstehende Prüfung bezogen werden. Wobei jeder/jede Teilnehmer/in die Aufgabe hat, eine im Semester anstehende Prüfung zu absolvieren. Da aus Angst oft die Auseinandersetzung mit dem Prüfungsstoff verschoben wird und die Stoffülle einen am Ende "erschlagen" kann, ist es wichtig, rechtzeitig mit dem Lernen anzufangen. Lern- und Arbeitsstrategien sowie Zeitpläne sind hilfreich, allerdings nicht solche der Art "ab morgen stehe ich ganz früh auf und lerne regelmäßig jeden Tag acht Stunden", die ziemlich regelmäßig mit Enttäuschungen enden. Um das Prüfungsverhalten verstehen zu können, werden Prüfungssimulationen im Rollenspiel durchgeführt. Wichtig ist, zu erkennen, wo Schwierigkeiten auftauchen, und zu merken, daß man sie lösen kann. Bisweilen ist aber die Angst so groß, daß es kaum möglich ist, sich auf die Prüfungsvorbereitung oder die Prüfungssituation zu konzentrieren. Um hier gegenzusteuern, wird ein Entspannungsverfahren vermittelt. In den Prüfungsgruppen wird immer wieder deutlich, wie viel Angst vor der nächsten Prüfung besteht, wie viel Zeit vergeht mit Selbstquälerei oder Verdrängung. Es hat sich gezeigt, daß es möglich ist, diese Leistungsbarrieren abzubauen. Der Schritt, der weiterhilft, steht oft in keinem Verhältnis zu der Energie, die es kostet, mit der Prüfungsangst und den sich daraus ergebenden Schwierigkeiten umzugehen. Mechthild Rolfes
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