TU intern - Mai 1999 - Aktuelles
Kriege, Tyrannen und das Völkerrecht
Der Krieg in Jugoslawien dauert an. Fast acht Wochen sind vergangen, seitdem sich die Nato dazu entschloß, ihre Forderungen mit Luftangriffen durchzusetzen. Ein Mandat des UN-Sicherheitsrates dazu gibt es nicht. Welche Möglichkeiten bietet das Völkerrecht bei innerstaatlichen Konflikten, bei Verbrechen gegen das Menschenrecht, von außen einzugreifen? Welchen Schutz genießen Staatsmänner aufgrund ihres Amtes, und welche Möglichkeiten gibt es trotzdem, sie für ihre Taten zur Verantwortung zu ziehen? TU intern sprach mit Dr. Georg Nolte vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg. Unter welchen Voraussetzungen ist bei Auseinandersetzungen oder Verbrechen innerhalb eines Staates ein Eingriff von außen möglich? Solange sich die "Auseinandersetzungen oder Verbrechen" innerhalb eines Staates abspielen, dürfen fremde Staaten oder Institutionen nach Art. 2 Ziff. 4 der Charta der Vereinten Nationen grundsätzlich keine Gewalt anwenden. Anerkannte Ausnahmen von dieser Regel sind nur das Selbstverteidigungsrecht und ein entsprechender Beschluß des Sicherheitsrates. Umstritten ist jetzt, ob es darüber hinaus auch eine sogenannte humanitäre Intervention in solchen Situationen geben darf. Manche plädieren jetzt dafür, da dies dem Geist, wenn auch nicht dem Wortlaut der Charta entspreche. Demgegenüber meine ich - wie die Mehrheit der Völkerrechtler -, daß das formale Gewaltverbot aus guten Gründen formal ist, nämlich auf der historischen Erfahrung beruht, daß zwischenstaatliche kriegerische Konflikte kaum kalkulierbar sind und häufig selbst bei den besten Absichten zu einer größeren Katastrophe führen, als damit verhindert werden sollte. Auch dies gehört zum Geist der Charta. Da es im Augenblick viele blutige Sezessionskonflikte auf der Welt gibt, führt die Behauptung eines Rechts zur einseitigen humanitären Intervention zu einer großen Rechtsunsicherheit mit den entsprechenden Risiken. Welche Immunität hat ein Staatsoberhaupt aufgrund seines Amtes, und welche Möglichkeit gibt es, moralisch und rechtlich, Staatsoberhäupter für begangene Verbrechen auch als Person zur Verantwortung zu ziehen? Ein ehemaliges Staatsoberhaupt wie Pinochet besitzt nur eine völkergewohnheitsrechtliche Immunität für seine Amtshandlungen. Dem Spruch des House of Lords zufolge können ehemalige Staatsoberhäupter nur dann für das Foltern zum Zweck der politischen Unterdrückung belangt werden, wenn ihr Staat zuvor der UN-Folterkonvention beigetreten ist. Amtierende Staatsoberhäupter genießen absolute Immunität, weil die Sicherheit der internationalen Beziehungen dies erfordert. (Soll der türkische Staatspräsident bei seinem nächsten Staatsbesuch in Deutschland tatsächlich verhaftet werden?) Eine Ausnahme von diesen Grundsätzen gilt dann, wenn der UN-Sicherheitsrat ein Kriegsverbrechertribunal für die in Frage kommenden Taten eingerichtet hat. Dies ist für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda geschehen. Aus diesem Grund kann Milosevic auch wegen der gegenwärtigen Greueltaten im Kosovo in Den Haag angeklagt werden, und es ist nicht auszuschließen, daß die Anklägerin Arbour bereits eine geheime Anklage vorbereitet hat. Welche Handlungsmöglichkeiten ergeben sich daraus für andere Staaten und Institutionen ? Andere Staaten und Institutionen sind verpflichtet, die UN-Kriegsverbrechertribunale zu unterstützen und sich an das Völkerrecht zu halten. Ist ein Geheimdienstmord ein völkerrechtswidriger Eingriff in die Souveränität eines Staates? Selbstverständlich! Wo liegt nach der Verurteilung/Beseitigung eines Staatsoberhauptes die Souveränität, bzw. wer darf die neue Regierung stellen? Die Souveränität bleibt unter allen Umständen beim Staat und beim Volk. Dies ist sogar im Fall der totalen Anarchie, im Fall Somalia, immer betont worden. Normalerweise wird es einen stellvertretenden Staatspräsidenten geben, oder die Verfassung sieht eine Nachfolgeregelung vor. Wenn auch dies keine Lösung bringt, müssen Wahlen veranstaltet werden, sei es zu einer verfassunggebenden Versammlung, sei es für das Parlament oder Präsidentenwahlen. Es ist vorgekommen, daß dritte Staaten oder Institutionen bei der Organisation oder Durchführung solcher Wahlen geholfen haben. Sie müssen dabei aber immer das Selbstbestimmungsrecht des Volkes beachten und dürfen sich nicht in den politischen Prozeß einmischen. Eine Ausnahme gilt für Entscheidungen des UN-Sicherheitsrates (die es im Fall Bosnien-Herzegowina neben der Zustimmung der Konfliktparteien gegeben hat).
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