TU intern - Mai 1999 - Aktuelles

... das würde mir nicht im Traum einfallen

Was sagen die Berliner zur Umbenennung des Reichstags?

Am 19. April war es soweit. Der Umbau des Reichstags war beendet, und die Bundestagsabgeordneten konnten Einzug halten zur ersten Sitzung im neuen Plenarsaal. Während im großen und ganzen darüber Einigkeit herrschte, daß der Umbau gelungen sei, schien in einer anderen Frage die Diskussion noch nicht beendet: Wie soll der Reichstag in Zukunft heißen? Die offizielle Bezeichnung "Plenarbereich Reichstagsgebäude" stößt nicht überall auf Gegenliebe. Während ein Vertreter der SPD, so die Presse, von "provozierenden Schildern" mit der Aufschrift "Reichstag, Sitz des Bundestages" sprach, startete die Berliner CDU eine Bierdeckelaktion unter dem Motto "Wir Berliner sagen Reichstag". Und was sagen die Menschen an unserer Uni? TU intern hat nachgefragt:

Heinz Reif
Professor am Institut
für Geschichtswissenschaft

Ich halte die Umbenennung des Reichstags für einen verunglückten Versuch von political correctness. Für mich gibt es zwei Gründe, den Namen zu lassen: das Gebäude als solches ist - gerade zuletzt noch einmal durch die Christo-Aktion - als Reichstag im Alltagsbewußtsein der Menschen fest verankert. Es war auch in der Zeit der Mauer immer der Reichstag, und daran sollte man nicht rühren. Das ist ein praktisches Argument. Das historische Argument: Unser Parlamentarismus, der sich im Reichstag abgespielt hat, hat keine glänzende Geschichte, aber es war immerhin ein Parlamentarismus, und er hat auch einiges getan, um dieses schwach integrierte Deutsche Reich, sowohl im Kaiserreich als auch in der Weimarer Republik, ein Stück weit zu einem Einheitsgebiet zu machen. Insofern kann man es auch historisch legitimieren, daß man sich in die Tradition dieses Reichstags stellt. Er ist eben der Ort, an dem Deutschland wieder zusammenwächst, und das ist eine gute Tradition, in der er auch schon im Kaiserreich und in der Weimarer Republik stand.

Sabine Berten
Betriebsärztin

Ich finde diesen Namensstreit unsinnig. Ich denke, wir Deutschen machen es, wie so häufig, viel zu kompliziert. Das Wort Reichstag ist eine Bezeichnung für das Gebäude, welches zugegebenermaßen ein geschichtsträchtiger Ort war. Der Begriff Deutscher Bundestag dagegen beinhaltet für mich unser Parlament. Das ist also keine Gebäudebezeichnung, auch wenn das Wort in Bonn oft als Bezeichnung für das Parlamentsgebäude benutzt wurde. Warum kann man nicht den Deutschen Bundestag als Institution, also als unser Parlament, als solches bestehen lassen, und der tagt im Reichstagsgebäude? Das wäre eine Erklärung, die ich akzeptieren würde. Ich unterscheide zwischen dem Gebäude und der Institution, die dort tagen soll, und hoffentlich etwas Zukunftsträchtiges für uns erarbeitet.

Marianne Walther
von Loebenstein
Umweltschutzingenieurin,
Sicherheitstechnische
Dienste und Umweltschutz

Ich denke, man sollte den Reichstag umbenennen, weil doch aus der Geschichte heraus der Begriff "Reich" vorbelastet ist. Vielleicht sollte man Parlamentsgebäude sagen. Das wäre neutral und funktionsbezogen, und es bestände nicht die Gefahr einer Verwechslung mit dem Bundestag in Bonn. Ich glaube schon, daß man eine Namensänderung durchsetzen kann, das geschieht doch auch bei Straßen. Gerade in Ostberlin sind viele Straßennamen geändert worden, ohne daß man auf eine politische Bedeutung Rücksicht genommen hat.

Matthias Koeppel
Professor am Institut für
Darstellung und Gestaltung
Ich bin für "Reichstag", und ich weiß auch aus Erfahrung, daß man das gar nicht ändern kann. Viele Leute sagen ja auch heute noch Stalinallee zur Frankfurter Allee, da sie eben in der Stalinzeit entstanden ist. Mir würde es nicht im Traum einfallen, den Reichstag umzubenennen, selbst wenn alle das anders machen. Die Namensgebung war eine Folge der Reichsgründung 1871. Das ist ein historischer Vorgang, den man nicht ungeschehen machen kann, das war nicht das dritte, sondern das zweite Reich. Ich habe mich sehr gewundert, daß bei der Kunstausgestaltung des Reichstages nicht daran gedacht wurde, dieses berühmte Bild von Anton von Werner, welches die Reichsgründung im Spiegelsaal von Versailles zeigt, in den Reichstag zu holen. Ein solches Bild, das deutsche Geschichte zeigt und noch dazu so ein hervoragendes Bild ist, das gehört in den Reichstag.

Reinhard Pfab
Planungsgruppe

Ich finde, daß der Reichstag Reichstag heißen sollte. Man sollte nicht immer diese Bilderstürmerei betreiben, sondern auch die Geschichte, so wie sie abgelaufen ist, anerkennen mit all ihren Licht- und Schattenseiten. Ich möchte meinen Enkeln einmal Beispiele der Geschichte vorführen können, ob das Gebäude sind, Straßen oder Namen. Ich halte überhaupt nichts davon, wenn man immer "tabula rasa" macht und von Null anfängt.

Rudolf Rapp
Leiter des Referats für
Aus- und Weiterbildung
Ich denke, das Gebäude hat ein Stück Historie als Reichstag, und deshalb sollte man den Namen so lassen. Dort tagte das erste deutsche Parlament, von daher verbindet man damit auch ein Stück demokratische Geschichte, nicht nur Reichsgeschichte. Die Diskussion um die Namensgebung finde ich überflüssig. Man hätte vielleicht eher deutlich machen sollen, welche demokratische Geschichte im Reichstag geschehen ist, und auch, daß mit dem Reichstagsbrand das vorläufige Ende der Demokratie eingeläutet wurde. Anstatt über den Namen zu diskutieren, hätte man über die Funktion des Reichstags in der Demokratie sprechen sollen.

Udo Treide
Allgemeine
Studienberatung
Ich bin für den historisch überlieferten Namen, weil ja das Gebäude nichts Unrechtes getan hat, sondern Menschen etwas Unrechtes getan haben. Das Gebäude stand ja auch gar nicht im Zentrum irgendwelcher Machtinstanzen, sondern war diesen wohl eher ein Dorn im Auge, sowohl beim Kaiser als auch bei Hitler. So, wie wir heute "Deutschland" sagen, so kann man auch ein solches Gebäude "Reichstag" nennen, weil es einmal so genannt wurde, auch wenn jetzt der Bundestag drin tagt. Das kann der Bundestag auf seinem Briefkopf entsprechend markieren, indem er "Bundestag im Reichstag" schreibt. Ich bin in dieser Frage sehr konservativ und denke, das historisch Überlieferte ist auch das Richtige.


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