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Mit der Frage "Doktor-Ingenieur - Homo faber oder homo
politicus" setzte sich Hans-Peter Keitel, Vorstandsvorsitzender
der HOCHTIEF AG, in seinem
Festvortrag zum Doppeljubiläum der TU Berlin auseinander.
Keitel beschäftigte sich zunächst mit einer Analyse
zu Zustand und Perspektive der Bauindustrie. Für die Strukturkrise
der Bauindustrie nannte er drei Gründe: Bauen in Deutschland
habe über viele Jahrzehnte hinweg seine eigenen Randbedingungen
gehabt, sei es in Rüstung und Kriegswirtschaft oder im Wiederaufbau.
Gebaut wurde, so Keitel, was technisch machbar und unter Ausnutzung
aller Kapazitäten zu leisten war, ohne dass die Preise dabei
streng marktbezogenen Gesetzen folgten. Hinzu kam, dass die Auslandstätigkeit
deutscher Bauunternehmer anders als in England oder Frankreich
zwar durchaus vorhanden, nicht aber strategisch geplant und organisiert
war. Als dritten Grund für die Krise der deutschen Bauwirtschaft
nannte Keitel das Fehlen starker unabhängiger Bauingenieure
mit betrieblicher und betriebswirtschaftlicher Kompetenz. Zur
Gesundung der Bauindustrie forderte er das Ende der Universalbauunternehmung,
alternative Vertragsmodelle sowie ein verbessertes Risiko-Management
der Unternehmen.
Mit besonderem Interesse dürfte das Auditorium die Thesen
Keitels zur Ausbildung der Bauingenieure zur Kenntnis genommen
haben.
"Die gebührenfreie Massenuniversität ist unsozial"
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Er begann mit der These "Wir müssen unseren jungen Bauingenieuren
mehr beibringen als exzellente Technik". Anstelle der "Ingenieure
und Forscher, denen die technische Lösung einzige Herausforderung
ist, die Entwicklung hochleistungsfähiger Produkte, die letztlich
keiner haben will" forderte er den unternehmerischen Ingenieur,
der sich mit dem Nutzen seiner Arbeit auseinandersetzt. Neben
der Technik sind "Kenntnisse in Ökonomie und Ökologie
zu vermitteln, in Personalführung und Management; es geht
um die Schaffung zukunftsträchtiger institutioneller Strukturen,
die sich an der Ganzheitlichkeit von Produktionsprozessen orientieren;
international muss das Ganze sein; vernetztes Denken und lebenslanges
Lernen sind selbstverständlich. Dazu kommen ,soft skills'
wie Kommunikations- und Teamfähigkeit oder interkulturelles
Verständnis auf der Basis ethnischer Toleranz", erklärte
Keitel. Diese Forderungen können jedoch nicht ohne Konsequenzen
sein: "Die jahrelange Überbetonung der Technik darf
nicht umschlagen in ein solides technisches Halbwissen. Ich sage
dies gerade an einer Technischen Universität, die als eine
der wenigen einen umfassenden und attraktiven Studiengang für
Wirtschaftsingenieure anbietet: es reicht nicht, von dem einen
und dem anderen jeweils die Hälfte zu wissen, man muss an
einer Stelle auch wirklich fest verankert sein; Berlin zeigt,
dass die Universität im regulären Studium bei vernünftigen
Studienzeiten eine sichere Grundlage vermitteln kann, auf der
sich zusätzliche Qualifikationen aufbauen lassen." Keitel
forderte ein "fest umrissenes System persönlicher Werte
und sozialer Kompetenzen" für die angehenden Ingenieure.
"Wer ethnische Toleranz üben soll, muss seine eigene
Herkunft kennen, sich mit seinem eigenen Denk- und Wertesystem
auseinandersetzen." Er erinnerte daran, dass die TU Berlin
"als einzige (Hochschule) in Deutschland ein Humanistisches
Pflichtstudium für Ingenieure gekannt hat. Dass dies ausgerechnet
1968 fast gleichzeitig mit der Einführung weitgehender universitärer
Mitbestimmungsmodlle abgeschafft wurde, ist zumindest eine bemerkenswerte
historische Fußnote". Kritisch äußerte sich
Keitel in diesem Zusammenhang über die nach seiner Meinung
intensiven Bemühungen, "möglichst vielen den Weg
zum Abitur zu ebnen, als Regelfall ein akademisches Studium anzubieten,
aus Ingenieurschulen Fachhochschulen und aus graduierten Ingenieuren
Diplom-Ingenieure zu machen".
"Wir müssen unseren jungen Bauingenieuren mehr beibringen
als exzellente Technik"
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Dies nivelliere unterschiedliche
Begabungen und presse herausragende Talente in schematische Bildungsgänge.
Er bezeichnete es als verfehlt, den praktisch veranlagten Studierenden,
welche von der Industrie gebraucht würden, eine wissenschaftlich
orientierte Ausbildung aufzwingen zu wollen. "Fachhochschulen
und Hochschulen haben unterschiedliche Aufgaben", sagte Keitel,
"wir brauchen eigenständige praxisorientierte Studiengänge
für eine große Zahl von Studierenden. Wir sollten dabei
von neuem über die Eingangsvoraussetzung nachdenken und die
Fachhochschulen mit den notwendigen Mitteln ausstatten, um die
Ausbildung in der Breite zu bewältigen." Keitel forderte
aber auch eine adäquate Ausbildung der Elite. Immer hochtrabendere
Anforderungen, so sagte er, können von einer relativ geringen
Anzahl begabter und fleißiger junger Menschen nur bei einer
richtigen Ausbildung erfüllt werden. "Universitäten,
die seit mehr als zwei Jahrzehnten gezwungen sind, eine über
jede vernünftige Größenordnung hinausgehende Zahl
von Studierenden auszubilden, sind dabei überfordert."
Scharfe Kritik übte der Vorstandsvorsitzende der Hochtief
AG an den Gremienuniversitäten. "Seit der Schaffung
der Gruppen- und Gremienuniversität sind fast 30 Jahre vergangen
- höchste Zeit, Lehre und Forschung wieder den Primat vor
Bürokratie und pseudodemokratischen Entscheidungen einzuräumen.
Wir öffnen damit automatisch wieder den vielerorts verloren
gegangenen Dialog zwischen engagierten Wissenschaftlern und einer
als Partner verstandenen Wirtschaft, die die Hochschulausbildung
als Grundlage ihrer eigenen Führungskräfteentwicklung
begreift und fördert. Wir schaffen die Basis für einn
Dialog, der nicht auf Gewohnheiten und Ritualen, auf gelegentlichen
Gutachten und Seminarveranstaltungen, sondern auf gemeinsamen
Interessen von Eliten beruht. Die Verantwortung dafür liegt
in gleichem Maß bei der Wirtschaft. Durch projektbezogene
Finanzierung von Spitzenleistungen kann sie einen gesunden Wettbewerb
in und unter den Hochschulen unterstützen, eine Trennung
der Promotion von der Verfügbarkeit öffentlicher Stellen
erleichtern und damit einen Beitrag zur Abkürzung der Promotionsverfahren
leisten."
"Wir brauchen technische Ingenieure"
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Mit seiner zweiten These ging Keitel auf das Thema Studiengebühren
ein. "Die gebührenfreie Massenuniversität ist unsozial",
sagte er. Es sei zu fragen, ob kurze Studienzeiten - ein wichtiges
Kriterium für die Einstellung - an Massenuniversitäten
nur für besonders begabte Studierende möglich seien.
Studiengebühren, so führte er aus, seien ganze Dimensionen
kleiner als die Jahreseinkommen, die den deutschen Absolventen
im Vergleich zu ihren ausländischen Kollegen verloren gingen.
Keitel verwies darauf, dass ernstzunehmende Modelle zufolge Studiengebühren
keineswegs alle gleich belasten würden. Als weitere Folgen
einer mangelnden Qualität der Ausbildung in Deutschland bezeichnete
Keitel auch die Abwanderung der "High Potentials" ins
Ausland. "Unsozial", so Keitel weiter, "sind Universitäten,
die vorgeben, ihre Studierenden auf das lebenslange Lernen und
den Wettbewerb vorzubereiten, für sich selbst aber eine wettbewerbsfreie
Zone reklamieren." Er forderte kürzere Promotionsdauern
und kritisierte die Existenz von "Universitäten, die
ihr Dasein regionalpolitischen Überlegungen verdanken, aber
mangels Masse und Klasse den Anspruch auf öffentliche Mittel
längst verwirkt haben." Schließlich kritisierte
Keitel das Verhalten der Universitäten, sich nicht mit den
beruflichen Perspektiven ihrer Absolventen auseinander zu setzen.
"Wir brauchen politische Ingenieure"
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In seiner dritten These forderte Keitel "politische Ingenieure".
Die Glaubwürdigkeit der Bauingenieure und ihr Ansehen in
der Gesellschaft seien stark gesunken, Bauingenieure müssen,
so Keitel, sowohl ihre zentrale Funktion für die Gesellschaft
als auch die ethischen Grundlagen ihres Tuns überzeugend
vermitteln. "Es muss uns gelingen, durch Transparenz, Verpflichtung
auf ethische Standards, Sensibilität gegenüber dem,
was wir tun und wie wir es tun, Vertrauen zu gewinnen." Keitel
verwies darauf, dass in seinem Unternehmen jeder leitende Mitarbeiter
zusammen mit seinem Dienstvertrag einen Ehrenkodex unterschreibe,
dessen Missachtung arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich zöge.
Er forderte dazu auf, bei Entscheidungen über den Wettbewerb
nicht die ethische Dimension zu vergessen. Dazu, so sagte er,
gehöre auch ein Bewusstsein der Technikgeschichte. "Das
erstaunliche Nichtwissen der Bauwirtschaft zum Thema Zwangsarbeit
bedrückt."
"Wir brauchen technische Ingenieure" lautete die vierte
These Hans-Peter Keitels. Sei es doch die Technik, die die Komplexität
der Welt beherrschbar mache. Aber, so der Schluss der Rede: "Die
Welt ist nicht nur ein Produkt des technischen Gestaltens, sondern
auch des technischen Verstandes. Der technische Mensch muss wissen,
was die Folgen seines Tuns sind." Deshalb könne es eigentlich
nicht ein Entwederoder bei der Frage nach der Zukunft promovierter
Ingenieure geben: der Doktor-Ingenieur müsse homo faber und
homo politicus sein.
urs
© 11/'99 TU-Pressestelle
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