TU intern - November 1999 - Aktuelles

Ein ziemlich weit gefasster Begriff

Was ist soziale Gerechtigkeit?

"Durch soziale Gerechtigkeit zur solidarischen Gesellschaft" heißt es im Wahlprogramm einer deutschen Volkspartei. Fast alle Parteien streben die soziale Gerechtigkeit in ihren Wahlprogrammen oder Grundsatzpapieren an - auch wenn darüber, wie das geschehen soll, nicht immer Einigkeit herrscht. Doch was eigentlich ist soziale Gerechtigkeit? TU intern fragte Menschen auf dem Campus

Richard Büssow
Physikalische Ingenieur- wissenschaften
7. Semester
Unter sozialer Gerechtigkeit könnte man sich vielleicht vorstellen, dass nicht so große Einkommensunterschiede herrschen, dass die Benachteiligten Bildung bekommen und ihnen auch andere Möglichkeiten offenstehen, die Leute mit mehr Geld haben. Auch Bemühungen, dass mehr Menschen Arbeit bekommen, tragen zur sozialen Gerechtigkeit bei.

Joanna Konarzewska
Betriebswirtschaft
13. Semester
Soziale Gerechtigkeit betrifft jeden Bereich. Sozial gerecht ist zum Beispiel, wenn Studierende nicht benachteiligt werden, weil sie finanziell schwach stehen. Beispiel Studiengebühren: Soziale Gerechtigkeit würde für mich bedeuten, dass man da Hilfe bekommen und nicht benachteiligt würde. Ich bin dagegen, dass diese eingeführt werden. Selbst wenn es dann Stipendien gäbe, können sich vielleicht nicht alle durchsetzen. Ich als Ausländerin habe zurzeit eigentlich kaum eine Möglichkeit, Stipendien zu bekommen. Ich muss mein Studium aus eigener Kasse finanzieren. Das ist auch ein Anreiz, hier zu studieren, da die Kosten des Studiums nicht so hoch sind.

Yunus Demirtas
Absolvent der Energie- und Verfahrenstechnik
Unter sozialer Gerechtigkeit verstehe ich, dass der Staat die Gesetze so macht, dass es allen gleich gut geht. Dass nicht die Reichen und die gut Verdienenden durch die Gesetze Vorteile bekommen und dass die Armen in schlechte Verhältnisse gebracht werden. Zurzeit ist es teilweise so, dass die gut Verdienenden mehr Vergünstigungen haben als die Leute, denen es schlechter geht.

Anthony Giddens
Direktor der London School of Economics
Soziale Gerechtigkeit ist der Versuch, durch ein Netz von Beziehungen und finanziellen Regelungen soziale Ungleichheit und Benachteiligungen abzubauen und stattdessen Chancengleichheit und soziale Solidarität zu garantieren
Quelle: Spiegel 1. 11. 99

Roman Beyer
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Institut für Prozess- und Anlagentechnik
Das Ziel ist, dass es allen Leuten halbwegs gut geht. Ich denke, dass wir in Deutschland eigentlich soziale Gerechtigkeit haben, weil diese für mich damit anfängt, dass dafür gesorgt ist, dass alle ein Dach über dem Kopf und ausreichend zu essen haben. Alles andere ist eigentlich Luxus. Die momentane Diskussion finde ich etwas überspitzt. Die Staatsverschuldung ist sehr groß. Der Staat muß schon dafür sorgen, dass er auch weiterhin alle Randgruppen versorgt, aber ich denke, dass das mit den derzeitigen Mitteln noch sehr gut geschieht. Die Maßnahmen, die die jetzige Regierung unternimmt, sind von der Richtung her okay. Als jetzt Anfang-Dreißig-Jähriger möchte ich, dass dieser Staat auch in zehn oder zwanzig Jahren noch handeln kann und nicht pleite ist.

Susanne Dill
Angestellte im Technischen Umweltschutz
Soziale Gerechtigkeit ist eine gerechte Verteilung der anfallenden Kosten, z. B. Krankenversicherung, Mieten, BVG. Die Preise müssen so sein, dass die Angebote von allen genutzt werden können. In Deutschland ist das auf alle Fälle noch verbesserungswürdig, aber ich denke, es geht eher in die andere Richtung. Familienfreundlichkeit gehört auch zur sozialen Gerechtigkeit, aber das ist der Staat nicht.

Kerstin Irrgang
Landschafts- gestaltung und Sozialkunde für Lehramt
1. Semester
Soziale Gerechtigkeit sollte sein, dass jeder Mensch jeden Alters, jeden Standes, jedes Geschlechtes gleichberechtigt behandelt werden sollte. Völlig egal ob Frau oder Mann, ob homosexuell, ob Kind oder Oma. Ich denke, dass es die geben könnte. Man sollte versuchen die Abgrenzungen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Klassen abzubauen. Wie das gehen soll, das kann ich auch nicht beantworten.

Günther Seeba
Verkehrswesen
3. Semester
Soziale Gerechtigkeit wird für mich heute in der Politik nicht realisiert. Ich bin ein wenig unzufrieden, wie das mit der Sozialhilfe läuft. Man sieht Sozialhilfeempfänger, die haben sie bitter nötig, und andere, die bekommen Sozialhilfe und haben ein supergutes Leben. Das müsste besser überprüft werden. Mit den Rentenkürzungen bin ich nicht einverstanden, weil die Leute jahrelang ihren Beitrag geleistet haben. Jetzt sollen sie weniger bekommen, das ist ein Unding.

© 11/'99 TU-Pressestelle