TU intern - Oktober 1999 - Aktuelles

Nur ein skurriler Einzelfall?

Wer klaut, wird bestraft: Wer in den USA beim Plagiat erwischt wird, fliegt von der Uni

Ein Plagiat kommt in der Uni nicht vor. So dachte ich, als ich meine Arbeit als Lehrbeauftragter an der TU Berlin begann. Im Laufe des Semesters wurde ich eines Besseren belehrt. Wissenschaftliches Fehlverhalten beginnt anscheinend schon im Studium.

Wie ein Kind freute ich mich auf die erste Hausarbeit, die bei mir als Lehrbeauftragtem abgegeben wurde. Ich hatte versucht, meine Studierenden der Anglistik dazu anzuregen, auf Englisch zu schreiben, und diese schwierige Aufgabe unternahm die erste Verfasserin in der Tat. Zuerst war ich erstaunt und tief beeindruckt; welch großartiges Englisch, welch streng wissenschaftlicher Aufbau, welch einfallsreiche Interpretationen! Doch eins machte mich stutzig: Einige Sätze, die zwischen der großen Anzahl wohlgeformter Ausdrücke hier und da verstreut waren, wimmelten vor Fehlern, Unklarheiten und Unwissenschaftlichkeiten. Mit klopfendem Herzen öffnete ich eine Suchmaschine im Internet und gab als Begriff die Autorin ein, über die die Studentin schreiben wollte. Ich wußte es vorher nicht, aber die Autorin hatte eine Fan-Page, auf der ein Link stand, bei dem man wissenschaftliche Aufsätze über ihre Werke lesen konnte. Und dort fand ich die erste bei mir abgegebene Hausarbeit. Heruntergeladen und ausgedruckt. So einfach geht das. Fünf Minuten nach meiner Suchangabe hatte auch ich eine Kopie der Arbeit auf meinem Tisch, wortgetreu - allerdings von einem Wissenschaftler in Großbritannien verfasst. Ich habe fast geheult. Es ist kein schönes Wort, aber kein besseres passt: ich fühlte mich regelrecht verarscht. Ein Plagiat und das bei der ersten Arbeit. Das machte zu dem Zeitpunkt 100 Prozent der bei mir abgegebenen Arbeiten, keine ermutigende Zahl.

Es folgte ein unangenehmes Gespräch mit der Studentin. Ich war zugleich neugierig: was war ihr durch den Kopf gegangen? Hatte sie gedacht, dass sie nicht erwischt werden würde? Oder gar, dass dies akzeptabel wäre? Klare Antworten konnte ich nicht erhalten. Es täte ihr leid; schließlich habe sie einige Sätze mit ihren eigenen ergänzt, und das, so habe sie gedacht, würde ja dem wissenschaftlichen Anspruch genügen. An ihrer Stimme konnte ich erkennen, dass auch sie dies nicht wirklich glaubte.Wir sprachen darüber, was zur wissenschaftlichen Hausarbeit gehört und was als Plagiat gilt, und ich ließ die Studentin eine neue Arbeit verfassen. Fall erledigt. Ich wollte nicht mit anderen über diese Blamage reden. Schließlich wurde ich für dumm verkauft.

Das, so dachte ich, war eine Ausnahme, ein skurriler Einzelfall, ein Ausrutscher. In meiner Heimat, den USA, ist das Plagiat ein Grund, sofort von der Uni exmatrikuliert zu werden - ohne Rückgabe der enormen Hochschulgebühren. Das wird bekanntgegeben, und zwar in Großbuchstaben. Das lernt man bereits an der Schule.

Ein Plagiat, so etwas kommt nicht vor, dachte ich. Nach meinem letzten Semester als Lehrbeauftragter an der TU denke ich anders. Das Sommersemester 1999 bescherte mir zwei Plagiate. Der Student, der das letzte aufgeschrieben hat, wusste sehr wohl, was er tat. Als ich ihn damit konfrontierte, fiel er buchstäblich auf die Knie und flehte um Vergebung. Ich musste fast lachen.

Das Lachen ist mir mittlerweile vergangen. Auch wenn der Anteil der Plagiate bei den Hausarbeiten inzwischen unter 100 Prozent gesunken ist, steht er immer noch viel zu hoch. Ich möchte nicht wissen, wie viele Plagiate unbemerkt durch die Hände der Dozenten fließen. Besonders seit dem leichten Zugang zur World Wide Web ist es allzu einfach.

In den nächsten Semestern werde ich auf die Grundsätze des wissenschaftlichen Textverfassens sowie die Bedeutung und die Folgen des Abschreibens während der Kurse stärker eingehen. Offenbar fehlt vielen Studierenden solche Information. Oder die Bereitschaft, sie umzusetzen.

Ian Kaplow


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