TU intern - Oktober 1999 - Forschung

Intelligent und schön

Geschwungene Dächer sind immer häufiger zu sehen

Nicht nur schön, sondern auch praktisch: flexible Dächer können auf Belastungen reagieren
Man trifft sie mittlerweile an vielen Orten, in Einkaufs- und Freizeitzentren, in Stadien, auch in Industriekomplexen - faszinierende Überdachungen aus mehrfach gekrümmten Formen. Der Internationale Flughafen in Denver, Colorado, das Münchener Olympiastadion und der Millennium Dome in London, alle haben eines gemeinsam: Sie werden aus flexiblen Materialien gebaut. Gegenüber den klassischen Alternativen haben sie viele Vorteile. Ist der Wind zu stark, verändern sie ihre Form und passen sich an. Schneit es, bringen beheizte Metallfäden, die in das Material eingebracht sind, den Schnee zum Schmelzen. Hin und wieder bezeichnet man textile Dächer u. a. deshalb auch als intelligente Systeme.

Doch was in der Praxis den Eindruck von Leichtigkeit und Anmut vermittelt, ist in der Planung nicht ohne Tücke. Welche Form erhält das Dach, wenn die Stützen eine bestimmte Länge und Höhe haben? Wie müssen die Textilstücke zugeschnitten werden, damit das Ergebnis am Ende den Erwartungen der Auftraggeber entspricht? Was geschieht bei Schnee und Sturm?

ZEHN SEKUNDEN ZEIT

Eine der einfachsten Möglichkeiten, sich eine Vorstellung über die Form eines textilen Daches zu verschaffen, besteht darin, einen Vorentwurf aus Stäben und Bindfäden in eine konzentrierte Seifenlauge zu tauchen. Etwa zehn Sekunden Zeit bleiben dem Baumeister dann, sich Änderungen seines Modells zu überlegen, bevor das Dach wie eine Seifenblase zerplatzt. Langlebiger ist da schon der Bau eines Modells aus Nylon. Hochpunkte werden fixiert, Nylon darüber gespannt und Ränder zugeschnitten. Eine detaillierte Planung lässt sich dagegen im Computerlabor durchführen. Dazu wurde unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Lothar Gründig vom Fachgebiet für Geodäsie und Ausgleichungsrechnung der TU Berlin das Programmsystem EASY entwickelt. Mit diesem lässt sich die Form eines Daches mit einer mehrfach gekrümmten radialen Struktur, Sattelstruktur oder einer Kombination aus beiden exakt bestimmen. Darüber hinaus bietet dieses System die Möglichkeit, die Statik des Dachs zu berechnen. Dabei werden Belastungen durch das eigene Gewicht, Schnee, Wind u.a. berücksichtigt. Am Ende entsteht - in Anlehnung an die Darstellung der Erdgestalt in der Ebene durch Kartenprojektion - ein Zuschnittplan der Teilmembranen.

Diese und ähnliche Aspekte des Textilen Bauens waren Thema des 4. Internationalen Workshops Textile Roofs '99. Fast 100 Gäste aus 22 Nationen waren der Einladung von Prof. Dr.-Ing. Lothar Gründig vom Fachgebiet für Geodäsie und Ausgleichungsrechnung der TU Berlin gefolgt, um über die neusten Entwicklungen auf diesem Gebiet zu diskutieren. Als Co-Veranstalter konnte die Lightweight Structures Research Unit (LSRU) der University of New South Wales in Sydney, Australien, gewonnen werden. Sie präsentierte eine Datenbank, in der über 1000 Projekte gespeichert und kategorisiert sind. Die Datenbank soll dem Architekten oder Ingenieur bei der Entscheidung zugunsten einer Form oder eines Materials helfen.

FLIEGENDE DÄCHER

Dass textile Dächer - im weitesten Sinne - manchmal auch fliegen können, erfuhren die Teilnehmer des Workshops während der Vortragsserie. Dort ging es nicht nur um technische und ökonomische Aspekte beim Bau des Millennium Dome in London, sondern zum Beispiel auch um Optimierungen bei der Entwicklung eines Zeppelins an der TU München.

Björn Beckert

Weitere Informationen zu Textile Roofs '99 und der LSRU unter: http://www.fbe.unsw.edu.au/units/LSRU/, http://www.survey.tu-berlin.de/


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