[TU Berlin] Medieninformation Nr. 116 - 8. Juni 2001 - Bearbeiter/in: mir
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Gesundheitsversorgung nach Maß

"Gender Based Analysis (GBA) in Public Health Research, Policy and Practice"

Internationaler Workshop des Berliner Zentrums Public Health (BZPH), des European Women's Health Network (EWHNET) und der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP) vom 7. - 8. Juni 2001 in Berlin

Auf dem Internationalen Workshop "Gender Based Analysis (GBA) in Public Health Research, Policy and Practice", der vom 7. - 8. Juni 2001 in Berlin durchgeführt wird, sind Wissenschaftlerinnen aus dem In- und Ausland zusammengekommen, um darüber zu beraten, wie die Gesundheitsversorgung und die Gesundheitsforschung besser auf die spezifischen Bedürfnisse von Frauen und Männern abgestimmt werden können.

Frau Prof. Maschewsky-Schneider hob in ihrem Einführungsstatement hervor, dass sich die Reformdiskussion im deutschen Gesundheitswesen bislang viel zu wenig damit befasst habe, ob Frauen und Männer eine unterschiedliche Versorgung brauchen. Geschlechtsspezifische Bedarfsgerechtigkeit im Gesundheitswesen könne auch zur Kostensenkung beitragen. Der kürzlich von der Bundesministerin für Familien, Senioren, Frauen und Jugend herausgegebene Frauengesundheitsbericht, an dem einige der Veranstalterinnen des Workshops aktiv mitgewirkt haben, zeige zahlreiche Versorgungsdefizite auf. So z.B. bei der gesundheitlichen Versorgung von Frauen mit Gewalterfahrungen. Diese werden beim Arzt oder im Krankenhaus immer noch unzureichend erkannt und in Hinblick auf ihre psychosozialen und körperlichen Langzeitwirkungen behandelt.

Deutschland könnte an dieser Stelle von Holland lernen: Dr. Joke Haafkens und Dr. Lea den Broder berichteten, dass in ihrem Land die geschlechtsspezifischen Unterschiede und Besonderheiten von Krankheiten und Behinderungen bei der Entwicklung von Behandlungsleitlinien für die Medizin systematisch berücksichtigt werden müssen. Dies sei Voraussetzung, um eine angemessene Versorgung von Frauen und Männern zu gewährleisten und gelte für Herz-Kreislauf-Krankheiten genauso wie für Krebsleiden, Osteoporose oder Diabetes. In diesem Sinne zeigen die Soziologin Paola Vinay und die Psychologin und Philosophin Dr. Vittoria Sardelli, dass Frauen in der psychiatrischen Versorgung und zur Prävention psychischer Erkrankungen ein Angebot brauchen, in dem der Einfluss psychosozialer Faktoren aus Familie, Beruf und Gesellschaft auf die seelische Gesundheit von Frauen in den Mittelpunkt gerückt wird.

Eine angemessene Versorgung von Frauen und Männern setzt wissenschaftliche Erkenntnisse über beide Geschlechter voraus. Um die Unterschiede herausarbeiten zu können, sind wissenschaftliche Methoden und Forschungsstrategien notwendig, die dies ermöglichen. Die bisherige Forschung in der Medizin und in den Gesundheitswissenschaften ist bei Krankheiten, die Frauen und Männer betreffen können, weitgehend geschlechtsneutral oder am männlichen Krankheitsbild orientiert. Dies war z.B. lange Zeit in der Herzinfarktforschung der Fall. Prof. Margrit Eichler von der Universität Toronto, Kanada, hat deshalb eine Methode entwickelt, wie der "gender bias", d.h. geschlechtsspezifische Verzerrungen, in der Forschung identifiziert und wie sie vermieden werden können. Ihre Forschungsrichtlinien für eine "Gender Based Analysis", also eine geschlechtssensible Forschung, sollten für die Gesundheitsforschung und Forschungsförderung in Deutschland übernommen werden.

Um einen Überblick über die Situation in Deutschland zu bekommen, wurde deshalb am Berliner Zentrum Public Health die seit 10 Jahren geförderte Public Health-Forschung untersucht. Frau Dr. Judith Fuchs stellte die Ergebnisse der Befragung von 186 Public Health-Projekten vor. 80% der Projekte haben sowohl Frauen als auch Männer in ihre Studie eingeschlossen, 8% nur Frauen und 1% nur Männer. 48% der Projekte haben gezielt Unterschiede zwischen Frauen und Männern erforscht und in den Ergebnissen auch Unterschiede herausgefunden. Der überwiegende Teil der befragten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen hält es für notwendig, Geschlechterunterschiede in allen Phasen des Forschungsprozesses systematisch zu berücksichtigen.

In einem weiteren Studienteil wurden 268 wissenschaftliche Publikationen nach dem Zufallsprinzip aus den drei zentralen deutschsprachigen Public Health-Zeitschriften ausgewählt und in Hinblick darauf untersucht, ob Frauen und Männer darin angemessen repräsentiert sind. 90% der Studien untersuchten sowohl Männer als auch Frauen, aber nur 40% untersuchten Geschlechterunterschiede systematisch. Knapp 50% berücksichtigten die spezifischen Lebensbedingungen von Frauen und Männern.

Insgesamt zeigen die beiden Studienteile, dass in der deutschen Public Health-Forschung ein hohes Bewußtsein für die Relevanz geschlechtsspezifischer Unterschiede besteht.

Peggy Maguire, Direktorin des European Institute of Women's Health und die englische Professorin Lesley Doyal setzten sich mit Erfolg dafür ein, dass in dem Entwurf für das neue europäische Public Health-Programm die Frauen- und Geschlechterperspektive berücksichtigt werde. Um dieses Ziel zu erreichen, haben sich das European Institute of Women's Health und das EWHNET die Lobbyarbeit auf EU-Ebene zum Ziel gesetzt.

Das EWHNET, so Ute Sonntag von der Landesvereinigung für Gesundheit Niedersachsen e.V. und Sprecherin des EWHNET, vernetze Modelle guter Praxis aus neun Ländern und biete so auch für die Umsetzung von Gender Based Analysis-Prozessen Möglichkeiten des Austausches und des voneinander Lernens. Eine langfristige, enge Vernetzung auf EU-Ebene in Wissenschaft und Praxis sei dringend notwendig, um europaweit mehr Geschlechtssensibilität in der Gesundheitsversorgung zu erreichen. Im EWHNET seien Forscherinnen, Praktikerinnen und politisch Aktive zusammengeschlossen, die von der Entwicklung der Instrumente bis zu Strategien der Implementierung von GBA ihr Know-how anböten.


Weitere Informationen erteilt Ihnen gerne Prof. Dr. Ulrike Maschewsky-Schneider vom Institut für Gesundheitswissenschaften der TU Berlin, Tel.: 030/314-79427, -79426, -21970; Fax: 030/314-73256 oder E-Mail: ums@ifg.tu-berlin.de