TU intern - Februar/März 2000 - Aktuelles

Die TU Berlin als führende Technische Universität in Europa

Neujahrsrede von TU-Präsident Prof. Dr. Hans-Jürgen Ewers

Beim diesjährigen Neujahrsempfang sorgte die Ausstellung "1799-1999" für ein festliches Ambiente
TU-Präsident Prof. Dr. Hans-Jürgen Ewers begrüßte am 21. Januar 2000 zahlreiche Gäste aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zum Neujahrsempfang im Lichthof der Universität. Dabei sorgte die bis zum 20. Februar verlängerte Ausstellung "1799-1999. Von der Bauakademie zur Technischen Universität" für ein besonderes Ambiente. Prof. Dr. Ewers blickte in seiner Rede auf die erreichten Reformziele zurück und formulierte die vor der TU Berlin liegenden Herausforderungen. Im Folgenden Auszüge aus seiner Rede.

Wir möchten uns mehr und mehr als Trendsetter universitärer Entwicklung sehen und so verstanden wissen. Unser Ziel ist es, am Ende des jetzt begonnenen Jahrzehnts zu den zehn besten Technischen Universitäten Europas zu gehören. Ein ambitioniertes, aber unseres Erachtens nicht unerreichbares Ziel. Wir könnten uns die Realisierung dieses Ziels sogar noch schneller vorstellen, wenn da nicht die Lasten aus den hinter uns liegenden Jahrzehnten wären.

NEUE STRUKTUREN - ALTE PROBLEME

Eingefädelt ist eine Reform an Haupt und Gliedern, die bei laufendem Betrieb und gleichzeitig kräftig geschrumpftem Budget absolviert werden muss. Zum Pflichtprogramm der Reform gehörte zunächst die Entwicklung einer neuen, veränderten Budgetlage und einer zukunftsfähigen, den veränderten wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Rechnung tragenden Sollstruktur der Universität.

Nach Realisierung dieser Sollstruktur in etwa fünf bis sieben Jahren wird die Technische Universität Berlin nur noch 335 Professuren in acht Fakultäten - statt etwa 590 Professuren in 15 Fachbereichen Mitte der 80er Jahre - haben. Jede dieser Professuren wird im Durchschnitt über etwa 3,6 wissenschaftliche Mitarbeiter und 2,9 nichtwissenschaftliche Mitarbeiter in ihrem Bereich verfügen. Wir sind damit keineswegs üppig ausgestattet, wenn wir uns etwa mit anderen, disziplinär ähnlich strukturierten Technischen Universitäten vergleichen

Verkürzung der Studiendauer durch Entschlackung des Lehrstoffs und durch verbesserte Beratung
Mit dem Übergang auf diese Sollstruktur sind insbesondere zwei gravierende Probleme verbunden. Zum einen werden wir ein erhebliches, auf viele Jahre kostenträchtiges Überhangproblem haben, weil wir auf betriebsbedingte Kündigungen verzichten. Zum anderen stehen wir vor einem Investitionsproblem. Denn in den nächsten sechs Jahren werden altersbedingt etwa 210 Professorinnen und Professoren aus dem aktiven Dienst unserer Universität ausscheiden. Mindestens 150 der dadurch freiwerdenden Professuren müssen wiederbesetzt werden. Da jede Berufung nach unserer Erfahrung im Durchschnitt etwa 500.000,- DM an Investitionsmitteln erfordert, müssen wir in eben diesem Zeitraum 75 Millionen DM zusätzliche Investitionsmittel mobilisieren, wenn wir auch nur unseren jetzigen Standard halten wollen. Von den jährlich 21 Millionen DM an Investitionsmitteln, die wir momentan bekommen und von denen 11 Millionen DM für nicht mehr aufschiebbare Baumaßnahmen ausgegeben werden, reicht der Rest bei weitem nicht mehr (und das schon seit langem!) für die notwendigen Reinvestitionen in unseren Gerätepark, in die Informations- und Kommunikationsinfrastruktur und die Computerausstattung.

Hier fragt man sich wirklich, ob die Investitionsprioritäten des Koalitionsvertrages, die nahezu ausschließlich bei den außeruniversitären Wissenschaftsstandorten liegen, nicht der Änderung bedürfen. Bekanntermaßen spielt für die erhofften Spin-off-Unternehmen und die High-Tech-Blue-Chips, die man zum Wohle des Berliner Arbeitsmarktes und des Berliner Steueraufkommens anlocken möchte, nach allen Erfahrungen mit den weltweit erfolgreichen Standorten die Anwesenheit hochqualifizierter Universitätsabsolventen in größerer Zahl eine gewichtige Rolle.

DAS REFORMPAKET

Die erforderliche Effizienzsteigerung haben wir durch ein Bündel von Maßnahmen in Angriff genommen. Drei davon möchte ich herausgreifen.

Im Wege einer Verwaltungs- und Organisationsreform werden Fachkompetenz, Handlungskompetenz, Entscheidungskompetenz und Finanzverantwortung auf der niedrigstmöglichen Hierarchieebene zusammengeführt. Damit werden Kosten und zeitaufwendige Mehrfachentscheidungen vermieden und die Prozessabläufe verkürzt. In der Praxis läuft dies auf eine Stärkung der Fakultätsebene und auf eine Professionalisierung des Managements auf allen Ebenen hin. Insgesamt wird in nicht unerheblichem Maß Verwaltungspersonal eingespart. Gleichzeitig wird Verwaltungspersonal von der Zentralen Universitätsebene zu den Fakultäten transferiert. Am Management und Controlling dieser Reformprojekte ist eine Vielzahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern über ihre normale Tätigkeit hinaus beteiligt. Ihnen möchte ich an dieser Stelle ganz besonders danken.

Zweitens: Im Wege einer Informations- und Kommunikationsreform werden die Datennetzinfrastrukturen in der Technischen Universität grundlegend modernisiert und ergänzt, sowie die Netzwerkdienstleistungen neu organisiert und erweitert. Dies schafft zusätzliche Rationalisierungspotenziale und zum Teil ganz erhebliche Qualitätsverbesserungen. Ende nächsten Jahres soll die Informations- und Kommunikationsreform beendet sein.

Im Wege der Budgetierung auf allen Ebenen, das ist die dritte Maßnahme, wird ein leistungsorientiertes System der Mittelverteilung und -verwendung implementiert, von dem wir eine erhebliche Steigerung der Effizienz des Mitteleinsatzes erwarten. Voraussetzung dafür ist der Übergang zu einem kaufmännisch gestalteten Rechnungswesen und die Einrichtung eines Controllings. Zeitziel für die Einführung der Budgetierung ist Anfang 2001.

Darüber hinaus sollen bei der Einführung eines computergestützten Gebäude- und Raummanagements die Kosten für Flächenvorhaltung, Mieten und Raumbewirtschaftung erheblich unter das heutige Niveau gesenkt werden. Um keinen falschen Eindruck zu erwecken oder Begehrlichkeiten bei eventuell aufhorchenden Haushältern zu provozieren: Die aus diesen Maßnahmen resultierenden bzw. realisierten Kostensenkungspotenziale stehen auch nicht im entferntesten als weitere Kürzungspotenziale zur Verfügung. Wir benötigen sie dringend, um bei den jetzt in den Hochschulverträgen fixierten Budgets trotz dramatischer Auslichtung unserer Kapazität ohne größere Qualitätseinbrüche überleben zu können und im europäischen Vergleich wettbewerbsfähig zu werden bzw. zu bleiben. Denn erstens belastet uns auf Jahre hinaus ein Personalüberhang, dessen Kosten wir in wenigen Monaten genau beziffern können und dessen Höhe wir derzeit zwischen 30 und 40 Millionen DM jährlich veranschlagen. (Nur zum Vergleich: Das sind die Jahreskosten einer mittelgroßen Fakultät.) Zweitens: Wir müssen unsere Aufwendungen in der Forschung, vor allem aber unsere Betreuungsrelationen in der Lehre in Zukunft erheblich verbessern, um konkurrenzfähig zu bleiben. Und drittens: Wir haben, wenn ich die Koalitionsverträge des Berliner Senats richtig gelesen habe, davon auszugehen, dass uns in Zukunft die Lohn- und Gehaltssteigerungen sowie die inflationsbedingten Kostensteigerungen nicht mehr vom Land Berlin kompensiert werden. Mit anderen Worten: Wir brauchen schon aus diesem Grunde eine jährliche Produktivitätssteigerung von mindestens 2 %, um real nicht zu verlieren.

Wir möchten uns Allianzen zwischen Unternehmen und Universitäten öffnen
DIE INNOVATIVE FORSCHUNG DER ZUKUNFT

Was die Forschung anbetrifft, so versuchen wir, unsere Kräfte auf eine nicht allzu große Zahl von interdisziplinären Forschungsschwerpunkten zu konzentrieren. Wir verstehen darunter im wesentlichen technologisch umrissene Themenfelder, in denen ein hoher gesellschaftlicher Bedarf an Grundlagen- und anwendungsorientiertem Wissen besteht. Wir wollen deutliche Anreize setzen können, um das Forschungsinteresse auf bestimmte Gebiete zu lenken mit dem Ziel, auf diesen Gebieten profilbildende Exzellenz zu erlangen. Dazu genügen 10 bis 15 % des Gesamtbudgets, wenn man berücksichtigt, dass die Einwerbung von Drittmitteln im Verbund eines interdisziplinären Forschungsschwerpunktes leichter sein wird und dass wir mit der Berufungspolitik und der Ausrichtung der Berufungspolitik auf diese Forschungsschwerpunkte einen der wichtigsten Parameter für die Universitätsentwicklung überhaupt in der Hand haben, um diese Schwerpunkte und die dazu erforderliche Exzellenz zu verwirklichen.

Profilbildende interdisziplinäre Forschungsschwerpunkte sollen u. a. an bereits vorhandene Stärken der Technischen Universität Berlin anknüpfen, technisch geprägte Themenfelder mit zukünftig hoher wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Priorität betreffen, Grundlagenforschung, anwendungsorientierte Forschung sowie Technologie-Transfer umfassen, ganzheitlich im Sinne interdisziplinärer Lösungsansätze bearbeitet werden, eine größere Zahl von TU-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftlern einbeziehen und auf die Präferenzen im Rahmen der Technologie-Politik ausgerichtet sein.

Wir unterstützen damit explizit den Versuch Berlins, im Rahmen der Wirtschafts- und Technologie-Politik Kompetenzzentren zu erzeugen, indem wir - bei vorhandener Stärke - dazu parallel jeweils einen Forschungsschwerpunkt bilden. Vor diesem Hintergrund gibt es eine Reihe von Kandidaten, die für den Ausbau zu einem "exzellenten" interdisziplinären Forschungsschwerpunkt in Frage kommen. Ich denke hier etwa an Mikrosystemtechnologien, Verkehrssystemtechnologien, Nanotechnologien, Technologien der Stadtsanierung, Medizintechnologien, Biotechnologien.

Unser Problem ist, dass der Personalüberhang die zum zügigen Ausbau solcher Schwerpunkte erforderlichen Mittel im Augenblick und auf absehbare Zeit blockiert. Wir sind deshalb auf die verstärkte Einwerbung von Drittmitteln angewiesen - und zwar auf allen Ebenen der Forschung. In Konsequenz werden wir unsere Bemühungen um die Einwerbung von Sonderforschungsbereichen in den in Frage kommenden Bereichen verstärken, um auf der Ebene der Grundlagenforschung präsent zu sein.

Aber auch für viele Unternehmen mag die Beteiligung an solchen Engagements von strategischem Interesse sein. Viele unserer potenziellen Schwerpunktthemen betreffen Bereiche der Infrastruktur, die im vor uns liegenden Jahrzehnt zunehmend in Form von Public-Private-Partnership betrieben und ein erhebliches Wachstum aufweisen werden. Wir sind auf Grund unserer nach wie vor bestehenden disziplinären Vielfalt in der Lage, nicht nur die technischen, sondern auch die organisatorischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen zur Etablierung neuer Lösungen zu analysieren und in richtungsweisende Konzepte umzusetzen. Und wir möchten uns solchen, in den USA längst üblichen Allianzen zwischen Unternehmen und Universitäten öffnen, sofern dadurch unsere Unabhängigkeit nicht unangemessen beschränkt wird.

In der Lehre sind wir dabei, eine sehr grundsätzliche Überprüfung und Überarbeitung aller unserer Studien- und Prüfungsordnungen vorzunehmen. Die wichtigsten Ziele sind Internationalisierung der Lehre, Modularisierung der Lehrinhalte und Einführung des Kreditpunktesystems.

STUDIENREFORM

Internationalisierung bedeutet nicht nur, ausländische Dozenten zu gewinnen und englischsprachige Lehrveranstaltungen anzubieten, sondern auch Studienortwechsel vom und ins Ausland zu erleichtern. Dazu beitragen werden modularisierte Lehrinhalte, für die man Kreditpunkte erhält. Ein so gestaltetes Studienangebot ist transparent und wird die deutsche Lehre für ausländische Studierende wieder attraktiver machen.

Darüber hinaus wollen wir eine Verkürzung der Studiendauer bewirken, und zwar zunächst durch Entschlackung des Lehrstoffs und durch verbesserte Beratung, denn einfach Kurzstudiengänge wie Bachelor und Master einzuführen, lässt das Problem der Studiendauer unberührt. Wir diskutieren im Akademischen Senat derzeit durchaus kritisch und mit geteilten Meinungen über Bachelor und Master, das letzte Wort ist hier noch nicht gesprochen.

Stärkung der Fakultätsebene und Professionalisierung des Managements auf allen Ebenen
Außerdem sind wir dabei, zusammen mit den anderen Universitäten Angebote in Berlin zu schaffen, um unsere eigene Attraktivität zu erhöhen. Dies betrifft zwei Pläne, die alle drei Universitätspräsidenten gemeinsam befördern. Der eine zielt auf ein hochkarätiges Doktorandenprogramm im Rahmen einer International Graduate School ab.

Das zweite Engagement betrifft eine International School of Technology and Management, die außerhalb der Hochschulen angesiedelt werden soll und das (im Prinzip alte) Erfolgsrezept des Wirtschaftsingenieurs von vornherein englischsprachig und vor allem mit einem international bekannten Personal umsetzen wird.

Ich habe darauf verzichtet, Wünsche an die Politik zu formulieren. Aber ein einziger sei mir dennoch gestattet. Ich hoffe, dass die Lücken - oder positiv formuliert: die Freiräume -, die das Hochschulrahmengesetz im Hinblick auf die Organisation der Universitäten gelassen hat, nicht durch ein neues Berliner Hochschulgesetz wieder geschlossen werden.

Die Technische Universität Berlin hat ihren Weg gewählt. Wir beobachten das, was die anderen Universitäten tun, mit großem Interesse. Wir gehen auf einigen Gebieten voran und werden uns dann, wenn wir die inneren Reformen durchgeführt haben, wenn wir wissen, wo wir in der Forschung und der Lehre genau hin wollen, fragen, mit welcher Informationsstruktur, mit welcher Gremienstruktur und mit welcher Leitungsstruktur wir das am besten schaffen. Und ich freue mich, dass wir dann auf Erfahrungen der Humboldt- und der Freien Universität zurückgreifen können.


© 2-3/2000 TU-Pressestelle