TU intern - Mai 1999 - Studium

Ingenieurstudiengänge im Umbruch?

Über Anspruch und Wirklichkeit

Die Studienanfängerzahlen in den Ingenieurfächern sinken zum Teil seit einem halben Jahr nicht weiter, der Arbeitsmarkt entspannt sich, die Talfahrt der Finanzen wird wenigstens kontrollierbar: Ist die Krise überstanden?

Es könnte sein, daß sich einige Fachbereiche täuschen, die daraus auf geringeren Reformbedarf schließen und, sich zurücklehnend, auf "business as usual" umschalten. Denn der Druck auf mehr und fachübergreifende Qualität der Ingenieurausbildung wächst eher, und die Konkurrenz z. B. der Fachhochschulen, die stracks Richtung Masterabschluß marschieren, wird schärfer. Absolventen und Absolventinnen, die nur technisch-fachliche Qualifikationen aufweisen, werden von den Beschäftigern immer weniger akzeptiert; international sinkt die Akzeptanz der deutschen Ingenieurausbildung weiter ab - diese sei, so zum Beispiel die TeilnehmerInnen einer Konferenz in Sta. Barbara/USA im Herbst 1998, zwar fachlich sehr gut, aber bezüglich der "Schlüsselqualifikationen" nicht konkurrenzfähig. Und immer noch ist der Anteil der Frauen, die zum Ingenieurstudium bereit sind, in Deutschland am geringsten - in den "harten" Kernbereichen der Ingenieurwissenschaften liegt er unter 10 Prozent, in der Informatik ist er seit einigen Jahren am Sinken.

Als Defizite der Ingenieurausbildung werden in Vorträgen und Studien, von Beschäftigern, Verbänden und Absolventen immer die gleichen, für moderne Ingenieurarbeit konstitutiven Elemente genannt: Es fehlt an Problembezug und Interdisziplinarität, an Methodenkompetenz insbesondere für Projektarbeit, an Kommunikations- und Teamfähigkeit, an "überfachlichen" Kenntnissen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften.

All dies wurde in den letzten beiden Jahren auf großen Konferenzen - die letzte im November 1998 mit rund 250 Teilnehmern in Bonn - von führenden Professoren der Ingenieurwissenschaften, Industrievertretern, Ingenieurverbänden, Gewerkschaften und Politiker mit zunehmender Deutlichkeit kritisiert. Studienreform, so z. B. Prof. Wiendahl (Hannover), sei immer noch ein "Überlister"-Geschäft, das gegen den main-stream der Fachbereiche und in ungeeigneten Organisations- und Entscheidungsstrukturen stattfinde.

Was tut sich an den Fachbereichen der TU in diesen Fragen? Immerhin wurden in den letzten Jahren einige Studienreformaktivitäten entwickelt: Im Maschinenbau wurde im Grund- und Hauptstudium Projektarbeit etabliert, unterfüttert durch eine Studie "Neue Wege zur Produktentwicklung - Berufsfähigkeit und Weiterbildung". In den Fachbereichen 6 (Verfahrenstechnik, Umwelttechnik, Werkstoffwissenschaften) und 10 (Verkehrswesen und Angewandte Mechanik) gibt es eine zunehmende Zahl von Hochschullehrern, die Projektarbeit anbieten. Auf Initiative des Präsidenten werden in Zusammenarbeit mit großen Firmen Studienprojekte organisiert. Ein bundesweites Netzwerk "Innovative Ingenieurausbildung - Ingenieurinnen und Ingenieure für die Zukunft" ist an der TU Berlin angesiedelt und organisiert Workshops, z. B. zu "Aktivierenden Lehr- und Lernformen". Anfang Februar fand unter Beteiligung der Fachbereiche 6, 10 und 11 (Maschinenbau und Produktionstechnik) ein ganztägiger Workshop zum Thema "Projektstudium" statt. Mit den Studienbüros schließlich wurden erste organisatorische Voraussetzungen erprobt, um Studienreform systematischer voranzutreiben. Dennoch: Die Rückmeldungen von Studierenden zur TU-Ausbildung (und auch die rankings) sind für die meisten technischen Fachbereiche der TU eher negativ. Gerade diejenigen unter den Studierenden, die bereits Erfahrung in ihrem künftigen Berufsfeld haben, machen ihrer Enttäuschung am deutlichsten Luft (siehe TU-intern, Januar 1998: "Studierende in der inneren Emigration?").

Es gibt also offensichtlich noch Handlungsbedarf. Wie stellen sich die technischen Fachbereiche auf die neuen Bedingungen ein, wie setzen sie die allgemein diskutierten Erkenntnisse in konkrete Veränderungen von Struktur und Inhalt des Ingenieurstudiums um?

tui


Industrievertreter zum Ingenieurberuf und zur Ausbildung:

Ingenieure dürfen nicht technikverliebt sein. Ihre Aufgabe ist es, die Fähigkeit einer Gemeinschaft zu erhöhen.
Erich Lemp, Technischer Werkleiter, Bosch, Stuttgart-Feuerbach

Für die Zukunft sind "soft-skills" mindestens so wichtig wie die fachliche Qualifikation - jede Diskussion über die Reform des Ingenieurstudiums muß dieses berücksichtigen.
Helmut Sander, Wabco-Fahrzeugbremsen, Hannover

I really want to point out that I believe - and the high-tech industry has shown it - the engineer is the entrepreneur. And the task [of an engineer] today is different from 20 to 30 years ago. But the German education system is treating an engineer like 30, 40, 50 years ago. You should cut the engineering education in half and add other things in there. This is a real problem, more in Germany than anywhere else.
Mark Tomlinson, Vice President - Engineering UNOA Inc. Warren, Michigan

Prozeßorientierung statt Funktionsorientierung ist notwendig … Komplexität zu beherrschen ist dabei die zentrale Fähigkeit. Das mechanistische Weltbild, das der bisherigen Ausbildung zugrunde liegt, kann der Gegenwart und vor allem der Zukunft nicht mehr gerecht werden.
Prof. Dr. Joachim Milberg,BMW-Vorstandsvorsitzender

We found teamwork to be a problem with Germans, not with Canadians. Germans are educated to just go through their lives and get the best out of what they can individually do - not in teams. This is something for German universities to look at.
Dr. William J. Spencer, Chairman of the board, Sematech, Austin, Texas


Erfahrungen mit der Universität:

Man kommt als Neuling in die Uni, und erst mal merkt man, daß man eigentlich als Student unerwünscht ist … Offiziell scheinen die Studis als Störer zu gelten, als Forschungsbehinderer.
Henry S., E-Technik-Student und seit drei Jahren Leiter eines kleinen Ingenieurbüros

Wenn uns die Uni in Ruhe gelassen hat, haben wir immer die tollsten Sachen gemacht und am meisten gelernt.
Guido H., E-Technik-Student und nebenbei Hardware-Entwickler

Im Rückblick kann ich nicht sagen, daß sich die Uni nicht gelohnt hätte. Allerdings wäre das, was sich gelohnt hat, in der Hälfte der Zeit möglich gewesen, und wenn man die viele Blindleistung weggelassen hätte, wäre es auch doppelt so gut gewesen.
Guido H.

Es herrscht an der Uni eine eigenartige Vorstellung von konkreter beruflicher Ingenieurarbeit. Viele stellen sich vor, daß morgens der Chef kommt und die Aufgabenblätter austeilt. Abends muß man dann die Ergebnisse abliefern, und Mittwoch ist "Arbeit ohne Hilfsmittel" angesagt.
Henry S.

Quellen für die Zitate: Netzwerk Innovative Ingenieurausbildung - Ingenieurinnen und Ingenieure für die Zukunft, Netzwerk-Report Nr. 1; TU Berlin 1999. _ Konferenz "Engineers in the global economy", Sta. Barbara/USA, Oktober 1998 _ Konferenz "Innovative Ingenieurausbildung", Bonn, November 1998 (beide im Projektbericht der HIS GmbH, März 1999). _ Intensivinterviews mit Studierenden im Rahmen des Projektes "Ingenieurstudentinnen und Ingenieurstudenten zwischen Studium und Beruf", ZEK, TU Berlin 1998/1999.


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