[TU Berlin] Medieninformation Nr. 172 - 20. Juli 1998
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Millionenschwere Chance für den Nachwuchs

TU Berlin beim Nachwuchsgruppen-Programm der Volkswagen-Stiftung führend

Die TU Berlin kann sich mit ihrer Nachwuchsarbeit sehen lassen: Von den sechs Arbeitsgruppen, die in diesem Jahr für das Programm "Nachwuchsgruppen an Universitäten" der Volkswagen-Stiftung ausgewählt wurden, kommen zwei von der TU Berlin. Die Gruppe "Bedienermodelle in dynamischen Mensch-Maschine-Systemen" erhält für die kommenden fünf Jahre 1,94 Millionen DM Forschungsgelder, die Gruppe "Geschlecht, Ressourcen und Gesundheit in der Erwerbs- und Familienarbeit" 1,58 Millionen DM. Bereits im vergangenen Jahr wurde mit der Arbeitsgruppe für Mathematische Musiktheorie: "Computergestützte Repräsentation, Analyse und Vermittlung musikalischer und musiktheoretischer Strukturen" (1,5 Millionen DM Förderung) eine TU-Gruppe in das Programm aufgenommen. Keine andere Universität stellt damit so viele Nachwuchsgruppen wie die TU Berlin. Insgesamt fördert die Volkswagen-Stiftung im Rahmen ihres Programms, das 1996 eingerichtet wurde, 22 Nachwuchsgruppen. Beworben hatten sich in diesem Jahr 47 Arbeitsgruppen deutscher Universitäten, im Jahr davor waren es sogar 297.

Ziel des Programms ist es, jungen, herausragend qualifizierten Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen frühzeitig eigenständige Forschung zu ermöglichen. Sie sollen eine mit Mitarbeiterstellen und Sachmitteln ausgestattete Arbeitsgruppe selbständig leiten. Der Antrag muß allerdings von zwei Hochschullehrern stammen, die Stelle des Leiters wird nach der Bewilligung international ausgeschrieben. Die Forschung der Gruppe soll auf ein interdisziplinäres und besonders innovatives, eventuell auch risikobehaftetes Arbeitsgebiet gerichtet sein. Auch die Etablierung neuartiger Methoden in traditionellen oder sich entwickelnden Arbeitsgebieten kann Arbeitsziel sein. Grundsätzlich ist eine fünfjährige Förderung mit 1,5 bis maximal 2,5 Millionen DM pro Nachwuchsgruppe vorgesehen.

Zu den Nachwuchsgruppen der TU Berlin im einzelnen:

Was tut der Mensch im Notfall?

Nachwuchsgruppe "Bedienermodelle in dynamischen Mensch-Maschine-Systemen"

Dank der fortgeschrittenen Rechentechnik kann heute das Verhalten technischer Systeme schon in der Entwurfsphase mit hoher Genauigkeit vorhergesagt werden. Die Modellbildung wird mehr und mehr zu einer Schlüsseltechnologie, die Entwicklungszeiten und -kosten drastisch reduzieren hilft und viele Entwicklungen erst ermöglicht. Beispielsweise werden Verkehrsflugzeuge heute fast ausschließlich im Rechner entwickelt und ihr Flugverhalten mit Hilfe der Simulation vorhergesagt. Indessen gibt es bislang kaum Modelle, die auch den Einfluß des Menschen in dynamischen Mensch-Maschine-Umgebungen bei komplexen Aufgaben ausreichend genau vorausbestimmen können. Insbesondere für Notfallsituationen ist deshalb eine Vorhersage des Gesamtsystemverhaltens noch nicht möglich. Die Nachwuchsgruppe am Zentrum Mensch-Maschine-Systeme (ZMMS) der TU Berlin wird sich mit der Modellbildung und Simulation menschlichen Verhaltens in dynamischen Mensch-Maschine-Umgebungen beschäftigen. Schon seit mehreren Jahren sind an der TU Berlin Arbeitsgruppen in der Kognitionspsychologie (Prof. Dr. Klaus Eyferth), der Flugführung (Prof. Dr.-Ing. Gerhard Hüttig), der Fahrzeugtechnik (Prof. Dr.-Ing. Hans-Peter Willumeit), der Künstlichen Intelligenz (Prof. Dr. Fritz Wysotzki) und der Anlagentechnik (Prof. Dr.-Ing. Günter Wozny) mit der Nachbildung von Bedienerverhalten befaßt. In Zusammenarbeit mit diesen Gruppen wird die Nachwuchsgruppe entsprechend der Ausrichtung der beteiligten Fachgebiete die Modellierung des Verhaltens von Fluglotsen, Piloten, Kraftfahrzeugführern und Operateuren chemischer Anlagen aus übergeordneter Sicht untersuchen. Es sollen hierbei Methoden der ingenieurwissenschaftlichen Modellbildung dynamischer Systeme mit den Erkenntnissen und Theorien der Grundlagenforschung in Psychologie und Künstlichen Intelligenz zusammengeführt werden.

Weitere Informationen: Dr.-Ing. Thomas Jürgensohn, Institut für Straßen- und Schienenverkehr der TU Berlin, Tel.: 030/314-72996, Fax: -72505, E-Mail: juergensohn@zmms.tu-berlin.de.

Was Frauen gesund erhält

Nachwuchsgruppe "Geschlecht, Ressourcen und Gesundheit in der Erwerbs- und Familienarbeit"

Vor einigen Jahren stand in der Gesundheitswissenschaft noch das Risikofaktorenkonzept im Vordergrund: Über sogenannte Einflußfaktoren wurde versucht herauszufinden, wie hoch das Risiko ist, an einer bestimmten Krankheit zu leiden. Heute fragt man eher nach der ganzen Lebensweise eines Menschen, wenn man seine gesundheitliche Lage herausfinden will. Neben Faktoren wie Entstehung oder Verhütung einer Krankheit sollen auch soziale und psychische Bedingungen mit einbezogen werden. Eine entscheidende Rolle bei diesem Konzept spielen die gesundheitsbezogenen Ressourcen. Darunter verstehen die Forscher die Vielfalt und Chancen bzw. Wahl- und Handlungsmöglichkeiten, die eine Person hat, um ihre Gesundheit zu erhalten.

Die Nachwuchsgruppe wird sich in diesem Zusammenhang mit dem Themenkomplex "Arbeit in Beruf und Familie" unter der Berücksichtigung sozialer, (arbeits-) prozeßbezogener und technologischer Aspekte von Frauenarbeit beschäftigen. Frauen haben eine deutlich höhere Lebenserwartung als Männer, fühlen sich jedoch häufiger gesundheitlich beeinträchtigt und nehmen mehr und häufiger gesundheitliche Versorgungsleistungen in Anspruch.

Ziel der Nachwuchsgruppe ist es, einen Forschungsbereich zum Thema "Geschlecht, Ressourcen und Gesundheit in der Erwerbs- und Familienarbeit" aufzubauen und damit die wissenschaftliche Etablierung der geschlechtsspezifischen Gesundheitsforschung in Deutschland voranzutreiben. Gleichzeitig sollen die für die Public Health Wissenschaften notwendigen interdisziplinären Arbeitszusammenhänge intensiviert werden. Dadurch wird ein die Fachgrenzen überschreitendes, geschlechtsspezifisches Modell des Zusammenhangs von Gesundheit und Ressourcen angestrebt. Auf diese Weise möchte die Nachwuchsgruppe neue Impulse für eine Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung bieten.

Beteiligt sind das Institut für Gesundheitswissenschaften (Prof. Dr. Ulrike Maschewsky-Schneider), das Zentrum für Interdisziplinäre Frauen und Geschlechterforschung (Prof. Dr. Karin Hausen) und das Institut für Angewandte Informatik (PD Dr. Rainer Oesterreich).

Weitere Informationen: PD Dr. Rainer Oesterreich, Institut für Angewandte Informatik der TU Berlin, 030/314-22684, Fax: -25397, E-Mail: oester@cs.tu-berlin.de.

Der Computer versteht Musik

Arbeitsgruppe für Mathematische Musiktheorie: "Computergestützte Repräsentation, Analyse und Vermittlung musikalischer und musiktheoretischer Strukturen"

Die Menschen verständigen sich nicht alleine durch Sprache, sondern auch durch nichtsprachliche Zeichensysteme und Kommunikationsformen wie etwa die Musik. Um musikalisches "Verstehen" in adäquater Weise erforschen zu können, müssen zunächst einmal die musikalischen und musiktheoretischen Zeichenkomplexe modelliert werden.

Doch Modellierung allein hilft nicht weiter. Um etwa die Struktur eines kleinen Musikstücks von vielleicht 60 Takten zu repräsentieren und zu analysieren, hat man es schnell mit zehn- bis hunderttausend Motiven aus 3 bis 5 Tönen zu tun. In diesen Größenordnungen ist ohne Computertechnologie nichts zu machen. Diese hat in der Musikwissenschaft bislang nur in einigen Bereichen Einzug gehalten: zum Beispiel in der Archivierung, Musikstatistik oder Klangverarbeitung. Die rechnergestützte Erforschung musikalischer und musiktheoretischer Strukturen ist neu und führt mit ihren komplexen Fragen auch an die Grenzen heutiger Rechnerleistung.

Die theoretischen Ansätze der Arbeitsgruppe sind in der Mathematischen Musiktheorie verankert. Die Gruppe knüpft an die Forschungsergebnisse und Softwaretechnologie des Forschungsprojekts RUBATO an, das von dem Schweizer Mathematiker und Musiker Guerino Mazzola geleitet wurde.

Für die rechnergestützte Repräsentation, Analyse und Vermittlung der musikalischen Strukturen wird ein Zeichensystem entwickelt und in Datenformaten, Browsern und Analyseprogrammen umgesetzt. Das gängige MIDI-Format kann komplexere musikalische Inhalte nicht abbilden.

An dem Projekt beteiligt sind von der Technische Universität Berlin das Institut für Kommunikations- und Softwaretechnik (Prof. Dr. Bernd Mahr), das Institut für Kommunikationswissenschaft, Medienwissenschaft und Musikwissenschaft (Prof. Dr. Manfred Krause) und das Institut für Linguistik (Prof. Dr. Roland Posner) sowie von der Humboldt-Universität zu Berlin das Institut für Musikwissenschaft (Prof. Dr. Wolfgang Auhagen). Zum Leiter wurde inzwischen Dr. Thomas Noll, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Interdisziplinären Forschungsprojekt "Gebärdenerkennung mit Sensorhandschuhen" an der TU Berlin, gewählt.

Weitere Informationen: Dr. Thomas Noll, Arbeitsstelle für Semiotik der TU Berlin, Tel.: 030/314-25403, Fax: -21116, noll@cs.tu-berlin.de.