[TU Berlin] Medieninformation Nr. 95 - 28. April 1998
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2. Vorankündigung: KNÜLLERLISTE

International Congress of Mathematicians - Weltkongreß

Berlin ist vom 18. bis 27. August 1998 das Zentrum der mathematischen Welt

Mit unserer Medieninformation Nr. 19 vom 19. Januar 1998 haben wir Sie in einer ersten Ankündigung darüber informiert, daß die größte und wichtigste, alle vier Jahre veranstaltete mathematische Tagung weltweit, der "International Congress of Mathematicians" in Berlin stattfindet. (Die Medieninformation senden wir Ihnen gern noch einmal zu: Tel.: 030/314-22919.)

Natürlich wird es auf dem Kongreß viele mathematische Themen geben, die nur unter Fachleuten Aufmerksamkeit erregen. Doch sowohl im wissenschaftlichen Programm als auch im populärwissenschaftlichen Tagungsprogramm an der Berliner Urania finden sich allgemein zugängliche Themen.
Für Ihre Berichterstattung haben wir Ihnen deshalb schon jetzt eine Liste von Themen zusammengestellt, die - bei der Schwere des Metiers - allgemein verständliche Themen sind. Wir hoffen, mit dieser "Knüllerliste" Fragen und Probleme der Mathematik einem breiten Publikum näherzubringen:

In den vergangenen Jahren hat die Mathematik bereits öfters das Interesse der Öffentlichkeit geweckt. Folgende Themenbereiche, die auch während des Kongresses in Berlin eine Rolle spielen werden, spiegeln aktuelle Entwicklungen der mathematischen Forschung wider:

Zu den folgenden fünf Themen werden in Berlin hochrangige Wissenschaftler - in einer durchaus verständlichen Form - vortragen:

Evolution und Mathematik

1. Die Spielpläne der Natur

Fördert die Evolution die Kooperation unter den Lebewesen, oder haben die Ausnützer und Falschspieler per Naturgesetz die Oberhand? Eine Frage, der Spieltheoretiker bereits Ende der 70er Jahre nachgingen. Berühmt geworden ist das von Robert Axelrod initiierte Turnier unter Computerprogrammen. Gewonnen hat damals die Strategie "Tit-for-Tat": Kooperiere, wenn auch der andere kooperiert - breche die Zusammenarbeit ab, wenn der andere sich unkooperativ zeigt. Lange wurde angenommen, "Tit-for-Tat" spiegele die Wirklichkeit gut wider. Doch die reale Welt ist bedeutend komplizierter: Zufälle stören die Kommunikation, Mutationen sind zu berücksichtigen. Werden sie modelliert, entsteht bei einer Tit-for-Tat-Population eine Kultur der Kooperation, die durch neue Lebewesen schnell ausgenutzt werden kann. In einer Reihe von Veröffentlichungen in "Nature" stellten Karl Sigmund aus Wien und Martin Nowak aus Oxford 1992/93 verfeinerte Modelle und eine Strategie vor, die der Umwelt besser zu entsprechen scheint: die sogenannte Pavlov-Strategie. Scientific American hat die Ergebnisse von Sigmund als "mindestens so interessant wie das Computer-Turnier von Axelrod" bezeichnet (Ausgabe Oktober 1993, Seite 12). In Deutschland sind diese neuen Theorien bislang wenig beachtet worden.

Prof. Dr. Karl Sigmund hält einen der Plenarvorträge auf dem Kongreß (Adresse: Universität Wien, Institut für Mathematik, Boltzmanngasse 9, A-1090 Wien). Prof. Sigmund veröffentlichte ein populärwissenschaftliches Buch zum Thema "Spielpläne", erschienen 1997 als Knaur-Taschenbuch. Beachten Sie auch den Beitrag "The Arithmetics of Mutual Help" von Martin Nowak, Robert May und Karl Sigmund, in Scientific American, Band 272 Nr. 6 (Juni 1995), Seiten 50 - 55.

2. Die Gene verraten unsere Abstammungsgeschichte

Um den Stammbaum der Lebewesen zu ermitteln, sammeln Biologen vor allem die äußeren Merkmale der Tiere und Pflanzen. Doch auch die Analyse ihres genetischen Materials kann deren Stammesgeschichte verraten und erlaubt teilweise sogar weitreichendere Schlußfolgerungen als die bisherigen Methoden. Das Problem: Die in dem Erbmaterial gespeicherte Information ist so groß, daß die Auswertung nur mit Computern und effizienten Algorithmen möglich ist. Andreas Dress aus Bielefeld hat (zusammen mit Nobelpreisträger Manfred Eigen, Göttingen, und Hans-Jürgen Bandelt aus Hamburg) mathematische Methoden entwickelt, um aus dem enormen Datenmaterial der mikrobiologischen Institute Stammbäume - beispielsweise von Bakterienarten - zu rekonstruieren. Dabei entstand eine überraschend geschlossene und inhaltsreiche mathematische Theorie. Sie erlaubt es, Sequenzdaten als Überlagerung elementarer Strukturen aufzufassen (vergleichbar der Fourier-Analyse, die Signale in ihre periodischen Bestandteile zerlegt).

Prof. Dr. Andreas Dress trägt in der Abteilung "Angewandte Mathematik" auf dem Kongreß vor. Er ist vor einigen Jahren durch die Klassifizierung der Pflasterungen der Ebene bekannt geworden (Adresse: Universität Bielefeld, Postfach 10 01 31, 33501 Bielefeld). Bitte beachten Sie den Beitrag "Die Formensprache der Natur als Gegenstand der Mathematik" von Andreas Dress, in dem Heft Forschung an der Universität Bielefeld, Nr.5/1992.

Mathematik und Alltag
Populärwissenschaftliche Vorträge an der Berliner Urania

3. Die Mathematik des CD-Players

Beim Abtasten einer CD können Fehler auftauchen: Der Laser kann sich verstellen, Schmutz oder Kratzer können das Licht ablenken. Daher ist die Musik auf der CD so gespeichert, daß der CD-Player trotz fehlerhaftem Lesen die Musik richtig wiedergeben kann. Dafür sorgen mathematische Codierungsverfahren, die der ISBN-Nummer bei Büchern vergleichbar ist. Hier ist die letzte Ziffer eine Prüfziffer; paßt sie mit den vorangegangenen Zahlen nicht zusammen (was mit einer einfachen Formel auszurechnen ist), so muß ein Abschreib- oder Druckfehler vorliegen. Die Codierung der CD ist nun so geschickt gewählt, daß Fehler nicht nur erkannt, sondern auch automatisch korrigiert werden können.

Referent: Jacobus H. van Lindt, Techische Universität Bos 513, NL-5600 MB Eindhoven.

4. Finanzmathematik

Seit den 70er Jahren wird an den Finanzmärkten mit sogenannten Derivaten gehandelt - eine Art Versicherung für den Aktien- oder Währungshandel: Kunden können gegen eine Gebühr bei der Bank die Garantie kaufen, bestimmte Wertpapiere zu einem bestimmten Zeitpunkt zu einem vorher festgelegten Preis zu erstehen oder abzugeben. So schützt man sich gegen unvorhersehbare Kursschwankungen. Mit Hilfe der sogenannten Black-Scholes-Formel kann der Preis dieser Derivate berechnet werden. Im vergangenen Jahr wurden die Erfinder dieser mathematischen Formel mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet. Um einen realistischen Wert zu finden, versucht man, das zugrundeliegende mathematische Modell weiter der komplexen Finanzwelt anzupassen - ein boomendes Gebiet innerhalb der mathematischen Finanzwissenschaften.

Referent: Walter Schachermayer, Institut für Statistik und Operations Research der Universität Wien, Bruenner Str. 72, A-1210 Wien.

5. Früherkennung von Brustkrebs

Mathematik und Medizin sind enger verflochten, als man gemeinhin annimmt. Klassisches Beispiel ist die Computertomographie: Mathematische Verfahren, die Schnittbilder des Kopfes eines Menschen zu einem Gesamtbild zusammensetzen, bilden den Kern dieser Technik. Neuere medizinische Anwendungen der Mathematik kommen aus dem Institut von Prof. Hans-Otto Peitgen in Bremen. Er stellt Methoden zur computerunterstützten Leberchirugie und zur Früherkennung von Brustkrebs vor.

Referent: Hans-Otto Peitgen (Centrum für Medizinische Diagnosesysteme und Visualisierung GmbH, Universitätsstr.29, 28359 Bremen).

Die weiteren Vorträge in der Berliner Urania gehen der kulturellen Rolle der Mathematik nach. Wir freuen uns besonders, daß der Schriftsteller Hans-Magnus Enzensberger sein Kommen zugesagt hat. Ein Schwerpunkt der Urania-Vorträge liegt bei der Beziehung von Mathematik und Musik. Peter Hoffmann vom Xenakis-Institut in Paris berichtet von den mathematischen Spuren in der Musik von Xenakis. Der Komponist und Direktor des Instituts für Neue Musik der Hochschule der Künste Berlin, Orm Finnendahl, spricht über die mathematischen Verfahren in seinen Kompositionen; eine Aufführung einer Auswahl seiner Stücke ist geplant.

Daß Mathematik im wörtlichen Sinne erlebbar sein kann, möchte die Ausstellung "Mathematik zum Anfassen" beweisen, die während des Kongresses in der Urania zu sehen sein wird. Sie wurde von dem Gießener Mathematik-Professor Albrecht Beutelsbacher initiiert und war bereits im März in Gießen zu sehen, wo sie großes Lob von Mathematikern, Lehrern, Schülern und Journalisten erhielt. Die Exponate reichen vom meterhohen Zylinder aus Seifenhaut, über Geheimschriften, bis zu einem Kaleidoskop, in das man hineinkrabbeln kann. Prof. Beutelspacher plant in Gießen ein eigenes Mathematik-Museum, bei dem Spaß und Ausprobieren genauso im Vordergrund steht.

Übrigens: eine der Urania-Veranstaltungen wird das Verhältnis von Mathematik und Medien beleuchten. "Geisterfahrer des Journalismus - Wie kommt die Mathematik in die Zeitung?" ist der Vortrag von Gero von Randow ("Die Zeit") überschrieben. Antworten, Anregungen und vor allem aktuelle Beispiele in gedruckter oder gesendeter Form sind herzlich willkommen.

Vasco Alexander Schmidt
Deutsche Mathematiker-Vereinigung

Anfang August erhalten Sie weitere Informationen zum Kongreß, das vollständige Programm des populärwissenschaftlichen Beiprogramms sowie die Einladung zur Pressekonferenz (Termin: voraussichtlich 18. August - bitte vormerken!).


Weitere Informationen erteilen Ihnen Prof. Dr. Martin Grötschel, Fachbereich Mathematik der TU Berlin und Vizepräsident Konrad-Zuse-Zentrum für Informationstechnik Berlin (ZIB), Tel.: (030) 84185-210, E-Mail: groetschel@zib.de, Prof. Dr. Martin Aigner, Öffentlichkeitsarbeit zum Kongreß, Tel.: (030)838-75443, E-Mail:aigner@math.fu-berlin.de sowie Dr. Kristina Zerges, Leiterin des Presse- und Informationsreferates der TU Berlin, Tel.: 030/314-22919, Fax: 23909, E-Mail: pressestelle@tu-berlin.de.

Weitere Informationen zum Kongreß finden Sie auch unter http://elib.zib.de/ICM98.