Shiing-Shen Chern ist Mathematik-Ehrendoktor der TU Berlin
EIN BESONDERER EHRENDOKTOR
Der Mathematiker Shiing-Shen Chern ist am 9. Oktober mit der Ehrendoktorwürde der TU Berlin ausgezeichnet worden. Das ist nicht nur für die neue
Fakultät II die erste Ehrenpromotion - es ist auch der erste Mathematik-Ehrendoktor seit Gründung der TU Berlin im Jahr 1946. Eine Ehrendoktorwürde ist die höchste akademische Ehrung, die eine
Universität vergeben kann.
EIN BESONDERER GEOMETER
Die TU Berlin ehrt einen herausragenden Menschen, Lehrer und Wissenschaftler. Chern gilt weltweit als bedeutendster Geometer der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die TU Berlin würdigt mit dem Ehrendoktorat seine überragenden mathematischen Leistungen, seine hohe
mathematische Intuition und Kreativität, seinen nachhaltigen Einfluss auf die Entwicklung der Mathematik, seine vorbildliche Förderung des mathematischen Nachwuchses aus vielen Ländern (er hatte mehr als 40 Doktoranden, eine in der Mathematik unglaublich große Zahl) und seine
Förderung internationaler Kooperationen.
PROMOTION IN HAMBURG 1936
Cherns "Internationalität" spiegelt sich in seinem Lebenslauf: Er wurde 1911 in Kashing/China geboren, erhielt 1930 seinen BSc von der Nankai University in Tianjin und 1934 seinen MSc von der Tsinghua University -
heute eine TU-Partner-Universität. Er studierte von 1934 bis zu seiner Promotion 1936 in Hamburg, sein Doktorvater war Wilhelm Blaschke, einer der führenden Geometer der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Anschließend ging Chern über die Sorbonne (1936-37) und
Zwischenstationen in China (1937-43 Tsinghua U, 46-48 Direktor des von ihm aufgebauten Mathematischen Instituts in der Academia Sinica) in die USA, wo er 1961 die US-Staatsbürgerschaft annahm; seine Stationen:
1943-45 Princeton, 1949-60 Chicago und ab 1960 Berkeley. Dort wurde 1981 das erste universitätsunabhängige mathematische US-Forschungsinstitut gegründet, dessen Direktor er wurde. 1984 gründete er ein zweites
Forschungsinstitut in Tianjin, wo er 1930 seinen BSc erworben hatte und wo er seit etwa einem Jahr wieder ständig wohnt. Beide Forschungsinstitute gehören zu den weltweit ersten Adressen in Mathematik.
CHERNS BEZIEHUNGEN ZU DEUTSCHLAND
Cherns Hamburger Jahre sind die Grundlage seiner speziellen Beziehungen zu Deutschland. Er kam mehrfach zurück, 1982 weilte er als Humboldtpreisträger in Bonn; er schickte Schüler zur Promotion nach Deutschland, speziell nach Hamburg und an die TU Berlin, er empfahl
junge Mathematikerinnen als Humboldt-Fellows. Cherns wissenschaftliche Kooperation mit Erich Kähler, ebenfalls einem weltbekannten Mathematiker, der von 1958-1965 als Professor, danach als Honorarprofessor an der TU lehrte, geht noch auf die frühen Hamburger
Jahre zurück; in den 50er Jahren begann Cherns bis heute anhaltende Kooperation mit Friedrich Hirzebruch, dem Primus unter den deutschen Mathematikern. Die Mathematik-Partnerschaft Berkeley/TU Berlin wurde von
Chern nachdrücklich unterstützt. Zwischen der Peking U und der TU Berlin besteht seit 2000 eine Mathematik-Partnerschaft, die auf chinesischer Seite getragen wird von TU-Alumni, die Chern seinerzeit an die TU
empfohlen hatte.
INTERNATIONALE EHRUNGEN
Cherns großes Ansehen spiegelt sich in 7 Ehrendoktoraten, 16 Ehrenprofessuren, zahlreichen (Ehren-)Mitgliedschaften in Akademien und wissenschaftlichen Vereinigungen vieler Länder sowie in einer Reihe hochangesehener Preise, außer im Humboldt-Preis u.a. im Wolf Prize und
im Steel Prize (beide 1983/84).
DIE VERLEIHUNG DER TU-EHRENDOKTORWÜRDE IN CHINA
Im Auftrage des TU-Präsidenten hat Prof. Alexander Bobenko aus dem Mathematischen Institut der TU Berlin am 9. Oktober 2001 die Ehrendoktor-Urkunde an Professor Chern überreicht und eine Laudatio gehalten, in der er Cherns überragende mathematischen Leistungen
würdigte; Bobenko ging dabei auf die große mathematische Tradition der TU Berlin und ihrer Vorläufer-Institutionen ein, denn gerade auch auf Cherns Arbeitsgebieten schmücken illustre Namen die TU-Geschichte.
Professor Bobenkos Bericht entnehmen wir folgendes: Zur Feier hatten sich Hunderte von Angehörigen der Nankai University in Tianjin, Wissenschaftler aus ganz China - darunter Nobelpreisträger - und die Teilnehmer eines Physik-Kongresses eingefunden. Der Präsident der Nankai
University, Prof. Dr. Hou Zixin, würdigte im Anschluß an die Laudatio sowohl die große Bedeutung der Ehrenpromotion von Professor Chern als auch die einer Zusammenarbeit mit der TU Berlin. Während der Feierstunde
wurde Prof. Chern außerdem die Blaschke-Medaille verliehen, die von der - nach seinem Hamburger Doktorvater benannten - Blaschke-Stiftung in etwa 5-jährigem Turnus an herausragende Geometer vergeben wird. Das
chinesische Fernsehen zeichnete die Zeremonie auf.
REAKTIONEN AUF DIE VERLEIHUNG
Chern selbst hatte im Sommer 2001 in einer ersten Reaktion auf die Mitteilung der Ehrendoktorwürde ebenfalls die große mathematische Tradition der TU Berlin hervorgehoben; er bezeichnete kürzlich in einem
Interview die TU-Mathematik als "outstanding". In Tianjin schlug er auch den Abschluß eines Kooperationsvertrages in Mathematik zwischen der Nankai University und der TU Berlin vor. Die chinesischen Medien haben
vielfältig auf die Verleihungszeremonie reagiert: Fernsehen und Tageszeitungen, auch die an ein internationales Leser-Publikum gerichtete "China Daily", haben über die Zeremonie und den Wissenschaftler S.S. Chern berichtet. Positiv gewürdigt wird die
wissenschaftspolitische Bedeutung des Ehrendoktorats von der Kultur- und Bildungsabteilung des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland, wobei insbesondere auch Cherns Beziehungen zu Deutschland und seine
Internationalität gesehen werden. Ebenso positiv äußert sich der Chairman der American Chamber of Commerce in Bavaria, Dr. Rüpprich; er betont den außerordentlichen Stellenwert dieser Ehrenpromotion.
CHERN WURDE 90
Mathematik ist der Mittelpunkt in Cherns Leben. Ein lebendiges Interview von 1998, das auch ausführlich auf sein Studium in Deutschland eingeht, ist unter
http://www.ams.org/notices/199807/chern.pdf zu lesen.
Für Chern und für die Mathematik beglückend: Trotz seines hohen Alters - Chern wurde am 26. Oktober 90 Jahre alt - ist er wissenschaftlich aktiv. Offenbar erhält Mathematik jung. Der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Beijing, S.E. Joachim Broudre-Gröger, sprach in einem persönlichen Schreiben an Professor Chern seine Glückwünsche aus. International führende mathematische Zeitschriften widmen Chern Festschriften.
Die TU Berlin und insbesondere die TU-Mathematik wünschen ihrem Ehrendoktor, daß seine mathematische Schaffenskraft und seine Gesundheit noch lange anhalten mögen.
Udo Simon
Institut für Mathematik