Medieninformation Nr. 34 - 19. Februar 2001 - Bearbeiter/in: mir
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Wie kann man die Arbeitswelt von morgen sozial gestalten?
Memorandum der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft zum
Strukturwandel
Die Arbeitswelt ist gegenwärtig durch schnellen Wandel und
tiefgreifende Veränderungen gekennzeichnet. Die Globalisierung
der Märkte, die Durchdringung aller Arbeits- und Lebensbereiche
durch Informations- und Kommunikationstechnik, die Entwicklung
zur Wissensgesellschaft und der demographische Wandel, aber auch
Arbeitslosigkeit und neue Formen der Arbeit und Beschäftigung
stellen Unternehmen, Beschäftigte und Politik täglich
vor neue Probleme.
Die Potenziale der Informations- und Kommunikationstechnologie
verringern die räumliche und zeitliche Bindung von Arbeit,
z.B. in Form von Telearbeit und virtuellen Unternehmen. Diese
Tendenzen werden durch die voranschreitende Globalisierung verstärkt.
Die erforderlichen Veränderungen müssen - bedingt durch
den demographischen Wandel - mit immer älteren Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern bewältigt werden. Die Szenarien für
die Beschäftigten reichen von einer weiteren Verringerung
traditioneller Erwerbsarbeit durch Produktivitätsfortschritte,
z.B. bei Banken und Versicherungen, über Mehrfacharbeitsverhältnisse
mit gesteigerter (zeitlicher) Inanspruchnahme bis hin zum "Arbeitskraftunternehmer",
der ein Portfolio von Fähigkeiten und Kenntnissen auf dem
freien Markt anbietet. Für die - zahlenmäßig abnehmenden
- Stammbelegschaften der Unternehmen werden stärkere Möglichkeiten
zur Selbstbestimmung, aber auch zunehmende und z.T. neuartige
Belastungen prognostiziert.
Aus diesem Grund hat die Gesellschaft für Arbeitswissenschaft
- unter Beteiligung mehrerer Wissenschaftler der TU Berlin - ein
Memorandum herausgegeben, in dem Handlungsfelder und mögliche
Beiträge der Arbeitswissenschaft benannt werden, um zu einer
sozialverträglichen Gestaltung der zukünftigen Arbeitswelt
zu gelangen.
In der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft finden sich Wissenschaftler
so unterschiedlicher Disziplinen wie Ingenieurwissenschaften,
Psychologie, Soziologie und Medizin, Praktiker aus den Bereichen
Arbeits- und Gesundheitsschutz, Produktgestaltung, Arbeits- und
Organisationsgestaltung sowie Organisationsentwicklung zusammen.
Eine wichtige Leitlinie ist dabei, dass unterschiedliche Zielsetzungen
integriert werden, wobei humane und wirtschaftliche Ziele eine
besondere Rolle spielen. Dies wird auch von den Organisationen
der Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die mit der Gesellschaft für
Arbeitswissenschaft kooperieren, anerkannt und unterstützt.
Der Inhalt des Memorandums
Beschäftigung sichern
- Die Entwicklung benutzungsfreundlicher, ergonomischer Produkte
- ein klassisches Handlungsfeld der Arbeitswissenschaft - entwickelt
sich zu einem zentralen Wettbewerbsfaktor: Bei vergleichbaren
Kosten- und Preisstrukturen kann Nutzerfreundlichkeit zu einem
entscheidenden Verkaufsargument werden und zugleich die Nachfrage
nach entsprechend gestalteten Produkten fördern.
- Zunehmender internationaler Wettbewerb erfordert auch Reorganisationsprozesse
in den Unternehmen, die Bildung von überregionalen Netzwerken
und neue Führungsmodelle. Die abnehmenden Halbwertszeiten
der aktuell diskutierten technisch-organisatorischen Strategien
und Konzepte schlagen sich aber in zunehmend fragwürdigeren
Modewellen nieder. Es besteht dringender Bedarf für nachhaltige
Konzepte der Organisationsentwicklung, in die Erkenntnisse einer
gesundheits-, lern- und persönlichkeitsförderlichen
Arbeits- und Technikgestaltung eingehen.
- Die Gestaltung der Arbeitszeit spielt für die Frage der
Beschäftigungssicherung eine zentrale Rolle. Alternative
Arbeitszeitmodelle dienen nicht nur der Umverteilung von Arbeit,
z.B. durch betriebliche Arbeitszeitabsenkungen und Teilzeitarbeit,
sondern haben auch ein erhebliches Potenzial für die Flexibilität
der Betriebe und die Zeitsouveränität der Beschäftigten.
Arbeitsfähigkeit erhalten
- Technische Innovationen und neue Organisationsstrukturen verändern
Arbeitstätigkeiten. Die Arbeitenden sollten befähigt
sein, sich fehlendes Wissen selbstständig anzueignen und
ihre Kompetenzen weiterzuentwickeln. Förderliche und hemmende
Bedingungen für Lern- und Entwicklungsprozesse in der Arbeit
müssen identifiziert und Konzepte organisierten Lernens gefördert
werden.
- Die Veränderungen der Arbeitswelt stellen neue Anforderungen
an den präventiven Arbeits- und Gesundheitsschutz. Psychosoziale
Faktoren und die Multikausalität arbeitsbedingter Erkrankungen
müssen stärker berücksichtigt werden, um auch unspezifischen
Erkrankungen und Befindlichkeitsstörungen wie etwa dem Burnoutphänomen
entgegenzuwirken. Dazu müssen gesundheitsrelevante Aspekte
von vorne herein in Managementsysteme integriert werden.
Arbeit neu werten
- Arbeit ist nicht nur Erwerbsarbeit. Der Arbeit in Haushalt
und Familie sowie ehrenamtlichen und gemeinnützigen Tätigkeiten
kommt nicht nur hohe soziale Relevanz zu, sondern auch erhebliche
volkswirtschaftliche Bedeutung, z.B. durch Entlastung der öffentlichen
Haushalte. Die Entwicklung existenzsichernder Kombinationen aus
Erwerbsarbeit und unbezahlter Arbeit eröffnet neue Perspektiven
für Beschäftigungssicherung und befriedigende Arbeitsbedingungen.
- In mehrfacher Hinsicht neu zu werten ist auch der gesamte
Bereich personenbezogener Dienstleistungen in Erziehung, Unterricht,
Pflege, Sport und Freizeit. Dies betrifft zum einen die Berücksichtigung
der emotionalen Belastungen, mit denen diese Tätigkeiten
oftmals verbunden sind, zum anderen aber auch die Beurteilung
der Qualität dieser Leistungen.
Arbeit von morgen gestalten
- Die Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnik
einerseits und die globalere Ausrichtung der Wirtschaft fördern
Kooperationsformen, in denen die Einzelnen räumlich isoliert
in "virtuellen Organisationen" arbeiten. Direkte und
unmittelbare Kooperation und Kommunikation nehmen dabei ab; gerade
diesen wird aber eine wichtige Rolle für Wissensgenerierung
und Innovationsleistungen bescheinigt. Es muß sichergestellt
werden, dass die Innovationsfähigkeit auch unter den zukünftigen
Rahmenbedingungen erhalten bleibt.
- Das ganztägige auf Dauer ausgerichtete "Normalarbeitsverhältnis"
wird durch ein breites Spektrum ersetzt: Leiharbeit, Teilzeitarbeit,
befristete Arbeitsverträge, geringfügige Beschäftigungen
und Ein-Personen-Unternehmen, möglicherweise im Wechsel und
unterbrochen von Phasen der Arbeitslosigkeit. Eine Existenz als
"Arbeitskraft-Unternehmer" bietet vielfältige Chancen,
Beruf und Privatleben besser aufeinander abzustimmen, es steht
aber auch zu befürchten, dass derartige Tätigkeitswechsel
mit hohen Anforderungen an die Selbststeuerung von Arbeit und
Weiterbildung große Teile der Erwerbstätigen überfordert.
Die Broschüre "Die Zukunft der Arbeit erforschen - Ein
Memorandum der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e.V.
zum Strukturwandel der Arbeit" ist zu beziehen bei der Gesellschaft
für Arbeitswissenschaft, Ardeystraße 67, 44139 Dortmund
oder im WWW unter http://www.gfa-online.de/Inhalt_Zukunft.html.
Weitere Informationen erteilt Ihnen gerne Dr.-Ing. Thomas Müller
von Institut für Arbeitswissenschaften
der TU Berlin, Tel.: 030/314-79523 oder E-Mail: mueller@mms.tu-berlin.de