[TU Berlin] Medieninformation Nr. 43 - 17. Februar 2004 - Bearbeiter/in: sn


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Die Logik des Handy-Menüs ist nicht für Ältere gemacht

Das TU-Forschungsprojekt SENTHA liefert Grundlagen für die Entwicklung seniorengerechter Produkte und formuliert neue Herausforderungen an die Technologen. Mit dem Forschungsbericht zusammen erscheint ein Roman über fünf ziemlich verrückte alte Menschen in Berlin

Senioren haben keine Angst vor Technik - aber handhabbar muss sie sein.
Senioren haben keine Angst vor Technik – aber handhabbar muss sie sein.       Foto: TU/Göbel

Neben der seit Jahren massiv anhaltenden Arbeitslosigkeit sprengt ein anderes gesellschaftliches Phänomen die Renten- und Sozialkassen des Landes: die Überalterung der Gesellschaft. Etwa 23 Prozent der Deutschen sind gegenwärtig über 60 Jahre alt. 

Als Reaktion auf den demografischen Wandel im Lande, der auch für die gesamte Arbeits- und Lebenswelt nicht folgenlos bleibt, wurde 1997 SENTHA gegründet, ein DFG-Forschungsprojekt an der Technischen Universität Berlin, das nun abgeschlossen wurde. SENTHA steht für "Senioren-gerechte Technik im Haushalt“. Das Projekt stellte den gesunden Senior in den Mittelpunkt der Forschung und thematisierte die mit dem demografischen Wandel einhergehenden neuen Anforderungen an Haushaltstechnik und Wohnumfeld mit dem Ziel, durch eine bessere, gebrauchsgerechtere Technik die selbstständige Lebensführung der Rentner in den eigenen vier Wänden so lange wie möglich aufrechtzuerhalten, da dies ein sehr hohes Gut für den älteren Menschen ist. Für die Entwicklung seniorengerechter Produkte sollten wissenschaftliche Grundlagen geliefert werden. An dem Projekt forschten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus sieben verschiedenen Teilgebieten an der TU, ebenso waren beteiligt die Universität der Künste

das Berliner Institut für Sozialforschung, das Deutsche Zentrum für Alternsforschung an der Universität Heidelberg und die Brandenburgische Technische Universität Cottbus. Die Forscher fragten, was ist eigentlich eine seniorengerechte Technik und wie grenzt sie sich von einer behindertengerechten ab. 

"Gleich zu Beginn mussten wir einen Paradigmenwechsel vornehmen“, sagt TU-Professor Wolfgang Friesdorf, Sprecher der Forschergruppe. "Gingen wir anfangs davon aus, Defizite bei den Fähigkeiten der älteren Probanden im Umgang mit der Technik analysieren zu müssen, sprachen wir alsbald schon von Ressourcen, die zu nutzen sind, denn die gesunden Senioren verfügen ja über alle sensorischen und motorischen Fähigkeiten. Seniorengerechte Technik ist also eine, die all die vorhandenen Ressourcen nutzt und – ganz wichtig – nicht verkümmern lässt, jedoch der allmählichen Abnahme der Fähigkeiten Rechnung trägt.“ So verabschiedeten sich die Wissenschaftler auch von einem barrierefreien Wohnumfeld als Anspruch, sondern postulierten die Anpassung an die "Barrierebehinderung“. 

Das neue Leitbild, nicht von Defiziten auszugehen, die das Produkt ausgleichen soll, sondern von vorhandenen geistigen und körperlichen Fähigkeiten, die der Senior auch nutzen will, stellt für die Produktentwicklung eine neue Herausforderung dar. "Die Senioren wünschen sich nicht einen vollautomatischen Hightech-Haushalt, der sie tatenlos im Sessel sitzen lässt“, sagt TU-Arbeitswissenschaftler Dr. Matthias Göbel. Genauso wenig genüge es, die Tasten des Handys einfach nur größer zu machen. Untersuchungen ergaben, dass das Hauptproblem für ältere Menschen beim Handy die Handhabung des Menüs ist. "Dessen Logik“, so Prof. Friesdorf "ist nicht für ältere Menschen gemacht.“ Für den Produktentwickler bedeute das, eine völlig neue Haltung gegenüber dem Kunden einzunehmen: Die Frage sei nicht, wie bringe ich die entwickelte Technik an den Kunden, sondern, was braucht der ältere Kunde wirklich. Prof. Friesdorf : "Der Technologe muss sich in die Lage des älteren Anwenders hineinversetzen.“ Deshalb sei ein seniorengerechtes Gerät nicht unbedingt eines, was alle Funktionen anbietet, die technisch möglich seien, so Dr. Göbel. Weniger kann manchmal mehr sein. 

Zu dem SENTHA-Forschungsbericht schrieb die österreichische Schriftstellerin Doris Mayer den Roman "Knesebeckstraße oder: Einmal Kuba und zurück“, eine Geschichte über fünf ziemlich verrückte alte Menschen in Berlin, die zocken, über Mauern klettern, eine Reality-Show im Internet produzieren, um an Geld heranzukommen, und Günther Jauch in seiner "Wer-wird-Millionär“-Show betrügen. 


Weitere Informationen erteilt Ihnen gerne: Prof. Dr. med. habil. Wolfgang Friesdorf, Institut für Psychologie und Arbeitswissenschaft der TU Berlin, Tel.:030/314-79506, E-Mail: wfr@awb.tu-berlin.de, Doris Mayer, Tel.: 0043-1-406 08 04, E-Mail: doris-mayer@chello.at
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