[TU Berlin] Medieninformation Nr. 238 vom 17. Oktober 2005 - Bearbeiter/-in: sn


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Praxisgebühr reduziert die Zahl unnötiger Arztbesuche

TU-Forscher untersuchten die Auswirkung der 10-Euro-Gebühr

Es ist relativ still geworden um die 10-Euro-Praxisgebühr, die seit Januar 2004 die meisten Kassenversicherten zahlen müssen, wenn sie innerhalb eines Vierteljahres erstmals zum Arzt gehen. Das könnte nicht nur am Gewöhnungseffekt liegen, sondern auch daran, dass diese zusätzliche Abgabe im Sinne des Erfinders wirkt, vermuten Reinhard Busse, Professor für Management im Gesundheitswesen an der TU Berlin, und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Dr. Jonas Schreyögg. In einer gemeinsamen Studie mit Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin finden die Wissenschaftler jedenfalls nicht nur einen Rückgang der Arztbesuche, sondern auch wichtige Hinweise, dass vor allem auf unnötige Arztbesuche oder mehrfache Untersuchungen des gleichen Leidens verzichtet wurde. Genau auf eine solche Verhaltensänderung hatte der Gesetzgeber gezielt, um der gesetzlichen Krankenversicherung Geld zu sparen, mit dem wichtige Behandlungen finanziert werden können.

Die Forscher schickten aber nicht etwa eigene Interviewer los, sondern nutzten das so genannte sozio-ökonomische Panel (SOEP) des DIW. Dort befragen die Forscher seit 1984 jedes Jahr die gleichen Personen nach sehr unterschiedlichen Dingen. Unter anderem erkundigen sich die Interviewer nach dem Einkommen, nach dem Gesundheitszustand und fragen auch nach der Zahl der Arztbesuche in den letzten drei Monaten. 

Bei insgesamt 20 821 befragten Menschen über 18 Jahren – Jüngere sind von der Praxisgebühr befreit – liefert das Ergebnis in den Augen der Statistiker einen brauchbaren Querschnitt und bestätigt auch die Abnahme der Arztbesuche: Während 1995 noch statistische 3,2 Arztbesuche im letzten Vierteljahr zu Buche schlugen, waren es 2004 mit 2,5 ein gutes Fünftel weniger Praxisgänge im Quartal. Mehr als ein Drittel dieser Abnahme fiel genau auf den Übergang vom letzten Jahr ohne Praxisgebühr 2003 auf das erste Jahr mit dem Zehn-Euro-Obolus 2004. Obendrein ist dieser Effekt nachhaltig, zeigen erste Ergebnisse der Kassenärztlichen Vereinigung in Berlin: Obwohl die Zahl der Arztbesuche im ersten Vierteljahr 2005 verglichen mit dem ersten Quartal 2004 um 1,5 Prozent zunahm, war sie insgesamt immer noch zehn Prozent niedriger als in den ersten drei Monaten 2003. Einige Patienten mögen also Ende 2003 Arztbesuche "vorgezogen" haben, insgesamt aber zeigt die Praxis-Gebühr die gewünschte Wirkung einer deutlichen Abnahme der Arztbesuche und damit eine Verringerung der Gesundheitskosten.

Aber fallen auch die unnötigen Arztbesuche weg, fragen sich die Forscher bei solchen Zahlen natürlich sofort? Schließlich wäre es nicht gut, wenn vor allem kränkere und ärmere Menschen auf nötige Arztbesuche verzichten, weil sie sich die zehn Euro Praxisgebühr nicht leisten können. Untersuchen aber lässt sich diese Frage nur schwer, weil die ärztliche Schweigepflicht eine Auskunft über nötige und unnötige Praxisbesuche nicht sehr einfach macht.

Die Forscher griffen zu einem Trick und fragten die Interviewten auch nach ihrem Gesundheitsempfinden. Von den Befragten, die sich 2003 gesund oder sehr gesund fühlten, gingen 2004 signifikant weniger zum Arzt als der Durchschnitt aller Befragten. Und wer 2003 über einen weniger guten oder gar einen schlechten Gesundheitszustand klagte, tauchte 2004 erwartungsgemäß häufiger in den Praxen auf als der Durchschnitt. Da liegt die Vermutung natürlich nahe, dass medizinisch notwendige Behandlungen auch nach Einführung der Praxisgebühr vorgenommen werden. Da in allen Einkommensklassen die Arztbesuche ungefähr gleich stark verringert wurden, scheinen auch die Armen nicht stärker unter dem neuen Gesetz zu leiden.

Ein paar Lücken bleiben bei einer solchen Studie natürlich trotzdem: Gleichzeitig mit der Einführung der Praxisgebühr wurden die meisten Medikamente, die es auch ohne Rezept gibt, von den Kassenleistungen ausgeschlossen. Da mag sich manch ein Schnupfenpatient die zehn Euro Praxisgebühr gespart haben, weil der Arzt ihm das Schnupfenmittel ohnehin nicht mehr verschreiben kann. Aber auch das könnte unter die Rubrik unnötige Arztbesuche fallen, weil die meisten Menschen auch ohne diese Hilfe wissen, wie man mit dem lästigen Leiden umgehen sollte. Im Großen und Ganzen scheint das Ziel des Gesetzgebers also erreicht, unnötige Praxisbesuche mit der 10-Euro-Gebühr zu verringern, ohne nötige Arzttermine zu sehr einzuschränken. 

Roland Knauer
 


Weitere Informationen erteilt Ihnen gern: Prof. Dr. Reinhard Busse, Institut für Gesundheitswissenschaften der TU Berlin, Fachgebiet Management im Gesundheitswesen, Straße des 17. Juni 145, 10623 Berlin, Tel.: 030/314-28420, Fax: 030/314-72505, E-Mail: mig@tu-berlin.de, Dr. Jonas Schreyögg, Tel.: 030/314-22627, Fax: 030/314-28433, E-Mail: Jonas.Schreyoegg@tu-berlin.de

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