Medieninformation Nr. 277 vom 18. November 2005 - Bearbeiter/-in: cho |
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TU-Wissenschaftlerin Barbara van Schewick sieht Internet am Scheideweg
Das Internet ist mit Entwicklungen wie E-Mail oder der Internet-Telefonie ein
Tummelplatz für Innovationen. „Noch“, so warnt die TU-Wissenschaftlerin Dr.-Ing.
Barbara van Schewick vom Fachgebiet
Telekommunikatiosnetze. Denn der bisherige Garant des Fortschritts, die
Offenheit der Übertragungsnetze, droht ins Wanken zu geraten.
Das Mobilfunkunternehmen Vodafone spekuliert zum Beispiel über die Sperrung von
Internet-Telefonie-Signalen im UMTS-Netz. Die Deutsche Telekom AG droht, nur
dann neue Hochgeschwindigkeitsnetze mit einer Übertragungsrate von 50 Megabit
pro Sekunde zu bauen, wenn der Konzern die Netze entgegen der bisherigen
Regelungen für einige Jahre alleine nutzen darf.
Einschränkungen
der Offenheit haben jedoch einschneidende wirtschaftliche Konsequenzen, sie
behindern die Entstehung neuer Innovationen, wie Barbara van Schewick (Foto:
TU/Böck) in ihrer Dissertation „Architecture and Innovation: The Role of the
End-to-End Arguments in the Original Internet” festgestellt hat. Für ihre Arbeit
wurde die Informatikerin und Juristin mit dem
Wissenschaftspreis der Deutschen Stiftung für Recht und Informatik (DSRI)
ausgezeichnet. Der Preis ist mit 2.000 Euro dotiert.
Die TU-Wissenschaftlerin konnte erstmals die Theorie belegen, dass die
Vielzahl der Innovationen im Internet kein Zufall ist, sondern durch die
ursprüngliche Architektur des Internets ermöglicht wurde. Die
Internetarchitektur beruht auf einem Design-Prinzip, das End-to-End Argument
genannt wird. Bei diesem Prinzip laufen die Anwendungen wie etwa ein
Internetbrowser auf dem heimischen PC. Das Netzwerk sorgt lediglich für die
Übertragung der Daten; es kann nicht erkennen, welche Anwendungen gerade laufen.
Inzwischen wird jedoch von der ursprünglichen Architektur abgewichen. So
benutzen Netz-werkbetreiber verstärkt Technologie, die es ihnen ermöglicht,
zwischen Anwendungen zu unterscheiden und ihre Ausführung nach eigenem Gutdünken
zu beeinflussen. Bestimmte Anwendungen könnten ganz ausgeschlossen werden oder
ein Netzwerkbetreiber verlangsamt die Anwendung eines Konkurrenten, ohne dass
die Kunden davon etwas ahnen. In den USA ist genau so etwas mit der Software
eines Internet-Telefonie-Anbieters passiert.
In der Konsequenz würde die Kontrolle des Netzes durch die Betreiber dazu
führen, dass einige Anwendungen vom Markt gedrängt werden oder gar nicht erst
auf den Markt kommen. Für Netzwerkbetreiber kann das durchaus lukrativ sein,
doch für unabhängige Entwickler wird es schwerer, leicht und billig Innovationen
gewinnbringend zu vermarkten. Damit sinkt folglich der Anreiz, überhaupt an
innovativen Anwendungen und Produkten zu forschen.
Neuerungen, die auch den Netzwerkbetreibern neue oder zusätzliche
Einnahmemöglichkeiten eröffnen würden, bleiben aus. Denn planbar sind Erfolge
nicht, wie der Siegeszug von Beispielen wie E-Mail, Word Wide Web oder
Musiktauschbörsen zeigt. „Die Offenheit der Netze ist daher die
Grundvoraussetzung, um weiterhin eine Vielfalt von Innovationen im Internet zu
ermöglichen. Das Internet steht nun am Scheideweg. Wettbewerb alleine ist nicht
die Lösung. Es geht darum, welche Architektur sich in Zukunft durchsetzen wird“,
zieht Barbara van Schewick Bilanz.
Im Mutterland des Internets, den USA, gibt es bereits eine lebhafte
öffentliche Debatte über dieses Thema. Forscher, Politiker, Unternehmen sowie
Interessenverbände von Konsumenten und Bürgerrechtlern fordern die zuständige
Regulierungsbehörde Federal Communications Commission (FCC) auf, die schon
verloren gegangene Neutralität des Netzwerkes durch Regulierung der
Netzbetreiber wiederherzustellen. Entsprechend groß ist dort das Interesse an
den Ergebnissen der „Pionierarbeit“ von Barbara van Schewick. Aber auch in
Deutschland steigt die Aufmerksamkeit. Das zeigt nicht nur der verliehene Preis,
sondern auch die Tatsache, dass die Wissenschaftlerin unmittelbar nach Abschluss
der Promotionsphase von TU-Professor Dr.-Ing. Adam Wolisz als Wissenschaftliche
Mitarbeiterin für das Fachgebiet Telekommunikationsnetze der TU Berlin gewonnen
wurde. Hier soll sie ihre Forschung weiter vorantreiben.
Barbara van Schewick wurde 1972 in Bonn geboren. Sie studierte
Rechtswissenschaften an der FU Berlin sowie Informatik an der TU Berlin. Beide
Fächer schloss sie mit „sehr gut“ ab. Anschließend arbeitete sie als Juristin in
Berlin, unter anderem als Redenschreiberin für den damaligen Regierenden
Bürgermeister Eberhard Diepgen, sowie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin und
Unternehmensberaterin bei Coopers & Lybrand UK in London (Großbritannien). Ihr
Zweites Staatsexamen in Rechtswissenschaften legte sie im August 2000 mit der
Note „sehr gut“ ab, die im Jahr 2000 nur zwei von 12.212 Prüflingen verliehen
wurde. Anschließend arbeitete sie an ihrer Promotion, die sie im September 2004
mit summa cum laude abschloss. Ihre Dissertation wurde von Prof. Dr. Bernd
Lutterbeck von der TU Berlin und Prof. Lawrence Lessig von der Stanford Law
School betreut. Die Dissertation entstand zum Teil während zweier
Forschungsaufenthalte bei Prof. Lawrence Lessig am Center for Internet and
Society der Stanford Law School. Seit 2001 ist sie dort Non-Residential Fellow.
Seit Oktober 2004 arbeitet sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet
Telekommunikationsnetze der TU Berlin.
Das Foto von Dr.-Ing. Barbara van Schewick finden Sie im Internet unter:
http://www.pressestelle.tu-berlin.de/pi/2005/van_schewick_300dpi.jpg