Medieninformation Nr. 3 vom 11. Januar 2005 - Bearbeiter/in: stt |
TU-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen der Frage nach, warum Deutschland Weltmeister bei der Windenergie ist
Wenn sich Deutschland wie kürzlich auf der Klimaschutzkonferenz der Vereinten Nationen in Buenos Aires als Vorreiter beim Verringern des Treibhausgas-Ausstoßes bezeichnet, wird als wichtiger Faktor fast immer die Windenergie genannt. In mehr als 16.000 dieser modernen Windmühlen ist am Ende des Jahres 2004 mit knapp 16.000 Megawatt fast die gleiche Leistung installiert wie in den zur gleichen Zeit noch betriebenen 19 deutschen Kernkraftwerken mit 19.400 Megawatt. Zwar liefern die Windräder im Gegensatz zu einem Atommeiler nicht kontinuierlich Strom, sondern stellen bei Flaute oder Sturm ihre Arbeit ein. Aber immerhin wurde mit den 2003 eingespeisten 19 Terawattstunden Windenergie 3,7 Prozent des deutschen Nettostromverbrauchs geliefert, theoretisch hätte damit Berlin komplett versorgt werden können. Mit solchen Zahlen gilt Deutschland als Windenergieweltmeister – und alle Welt fragt sich, welche Faktoren diesen Boom ausgelöst haben. Dörte Ohlhorst und Susanne Schön vom Zentrum Technik und Gesellschaft (ZTG) der Technischen Universität Berlin, sowie Johann Köppel vom Fachgebiet Landschaftsplanung der gleichen TU möchten diese Frage in den kommenden zweieinhalb Jahren mit Hilfe der VW-Stiftung beantworten. Die Fördersumme beträgt 260.000 Euro.
Dabei schauen die Forscher sich alle Aspekte der Windenergie von Fördermaßnahmen über Hindernisse bis hin zu allgemeinen Diskussionen in der Gesellschaft an. Vor einem Vierteljahrhundert eroberte zum Beispiel das "Waldsterben" die Schlagzeilen in den Medien. Ursache war damals vor allem die kräftige Luftverschmutzung durch Heiz- und Stromkraftwerke. Aktivisten stellten daraufhin erste, kleine Windräder auf und demonstrierten mit ihnen eine dezentrale Energieversorgung ohne Luftschadstoffe, die letztendlich das Waldsterben ausgelöst hatten.
Diese wenigen Windkraftanlagen mit ihrer geringen Leistung änderten an der Luftverschmutzung natürlich fast nichts. Verringert wurden die Schadstoffe wie Schwefeldioxid und Stickoxide vor allem durch bessere Filter in den Kraftwerken und Katalysatoren in den Autos. Inzwischen aber eroberte ein anderes Thema den Spitzenplatz in der Umweltdiskussion: Beim Verbrennen von Kohle, Öl und Gas entstehen so große Mengen des Treibhausgases Kohlendioxid, dass sie das Klima beeinflussen. Kohlendioxid aber lässt sich nicht mit preiswerten Methoden aus der Abluft von Kraftwerken, Autos und Flugzeugen heraus filtern. Um den Klimawandel zu bremsen, waren daher Methoden gefragt, die Heizenergie und elektrischen Strom ohne Kohlendioxid als Abgas liefern.
Und da hatte die Windenergie gegenüber anderen Konkurrenten wie Sonnenenergie oder Wasserkraft den doppelten Vorteil, bereits in kleinerem Maßstab zu funktionieren und gleichzeitig kräftige Ausbaumöglichkeiten zu bieten. Platz für weitere Windräder war schließlich vorhanden, zeigen die Windkraftanlagen, die seither entstanden sind. Eine wichtige Rolle für den Boom der Windenergie spielt inzwischen auch die so genannte Nachhaltigkeitsdebatte: Energie sollte demnach langfristig nur noch aus Quellen wie Sonnen-, Wind- oder Wasserkraft bezogen werden, die dauerhaft zur Verfügung stehen, nicht aber aus Quellen wie Kohle, Öl und Gas, deren Lagerstätten in absehbarer Zukunft erschöpft sein dürften.
Mit dem Rückenwind solcher gesellschaftlicher Diskussionen begann die Bundesregierung, Windenergie zu fördern. Trotz solcher wirtschaftlicher Anreize aber wäre Windenergie immer noch teurer als Energie aus Öl, Kohle und Gas. Daher schreibt die Regierung Mindestpreise vor, die für jede ins Leitungsnetz eingespeiste Kilowattstunde bezahlt werden müssen. Erst diese Einspeisevergütung hilft der Windenergie über die Hürde der Wirtschaftlichkeit.
Mit dem Bau immer neuer Windkraftanlagen beschleunigte sich auch die technische Entwicklung, vor allem wurden die Windräder immer größer. Lieferte ein Windrad vor zwanzig Jahren noch weit weniger als hundert Kilowatt Leistung, geht heute praktisch keine Anlage mit weniger als tausend Kilowatt ans Netz, manche Windmühlenflügel liefern sogar eine Leistung von fünftausend Kilowatt. Und während früher einzelne Windkraftanlagen auf die Felder oder an die Küste gebaut wurden, baut man heutzutage erheblich preiswerter große Windparks mit etlichen Einzelanlagen.
Die Forscher der TU Berlin wollen aber nicht nur die Rolle solcher fördernder Faktoren unter die Lupe nehmen, sondern schauen sich auch hemmende Einflüsse genauer an: Das Land Brandenburg hat den Ausbau der Windenergie zum Beispiel inzwischen stark konzentriert und gesteuert, weil relativ viele Vögel bis hin zum Adler von den extrem schnellen Flügelspitzen der Windräder verletzt werden. Auch bei den riesigen Windparks, die etliche Meilen vor der Nordseeküste geplant sind, befürchten Umweltschützer eine Beeinflussung des Vogelflugs oder eine Gefährdung der Schifffahrt. Am Ende des Projektes im Jahr 2007 möchten die TU-Forscher wissen, wie stark jeder einzelne dieser Faktoren den Windenergie-Boom in Deutschland beeinflusst hat.
Roland Knauer