1.2 Profilbildung als Entwicklungsstrategie
Die Universität hatte in den Jahren 1995/96 mehrfach Anlaß,
über ihre Grundsatzpositionen in Forschung und Lehre und
die Zukunftsperspektiven einer Technischen Universität in
der Wissenschaftslandschaft von Berlin und Brandenburg nachzudenken.
Den Anlaß mit der größten faktischen Verbindlichkeit
bildeten die Sparvorgaben des Berliner Senats. Ein weiterer Anlaß
war das 50jährige Jubiläum der Neugründung der
Hochschule als Technische Universität im Jahre 1946. Beide
Anlässe führten in ihrer Wirkung zu einer Vielzahl von
Aktivitäten und Veranstaltungen in den akademischen Gremien,
den Fachbereichen und fachbereichsübergreifenden Arbeitskreisen.
Allen Überlegungen gemeinsam war die Fragestellung, wie die
Universität ihren programmatischen Gründungsauftrag
fortführen und mit einem ausgeprägten Zukunftsprofil
verbinden kann, das trotz massiver Fächerkonzentration und
Studienplatzabbau in der Lage ist, ein attraktives Lehrangebot
und international wettbewerbsfähige Forschungsleistungen
bereitzustellen.
Eine zentrale Bedeutung hatte in diesem Zusammenhang ein von der
Hochschulleitung vorgelegter Hochschulstrukturplan, der im Wintersemester
1994/95 zu heftigen Auseinandersetzungen in der Universität
über die vorgeschlagenen Prioritätensetzungen in Forschung
und Lehre führte. Dieser Versuch, die Diskussion über
das Zukunftsprofil der TU Berlin anzuregen, wurde mit Hilfe von
drei Klausurtagungen weitergeführt, die im März/Juni/September
1996 stattfanden. In diesen Klausurtagungen, an denen die Mitglieder
des Akademischen Senats, des Leitungsbereiches und der Ständigen
Kommissionen sowie die Dekane teilnahmen, entwickelte sich ein
konstruktiver und freimütiger Dialog über die Ziele
und methodischen Ansätze der Hochschulentwicklungsplanung
sowie über die profilbildenden Schwerpunkte und Wissenschaftsbereiche
in Forschung und Lehre. Die Verständigung ging jedoch nicht
so weit, daß daraus auf breiter Basis verbindliche Absprachen
und neue Impulse für die Beschlußfassung in den akademischen
Entscheidungsgremien entstehen konnten.
Der Festakt zum
50jährigen Jubiläum der TU Berlin
fand am 15. April 1996 statt und thematisierte vor dem Hintergrund
der TU-Historie nach 1945 ebenfalls in seinem Begleitprogramm
und in der Jubiläumsausstellung die zentralen Fragestellungen
zukünftiger Hochschulentwicklung: Das Profil des Fächerspektrums,
die Möglichkeiten der Forschungsförderung, die Weiterentwicklung
eines qualitativ hochwertigen Lehrangebots und die Konzeption
neuer Entwicklungsplanungsinstrumente, die notwendige Strukturreformen
vorrangig am gesellschaftlichen Auftrag und am Selbstverständnis
der TU Berlin sowie an international anerkannten Wettbewerbsmaßstäben
orientieren. Abschließende Ergebnisse waren im Zusammenhang
mit den Jubiläumsveranstaltungen nicht zu erwarten. Jedoch
hat der wechselseitige Blick in die Vergangenheit und Zukunft
der TU Berlin bei vielen Mitgliedern der Universität das
Problembewußtsein geschärft und die Diskussionsbereitschaft
und aktive Mitarbeit bei der Bewältigung der zukünftigen
Herausforderungen angeregt.
Bezogen auf grundsätzliche Strukturreformmaßnahmen
in der Lehre fand im Juni 1995 ein Symposium statt, das sich mit
der Thematik des Studium Generale und der Integrierten Studiengänge
befaßte. Auch diese Fragestellungen betreffen sowohl die
langfristigen Entwicklungsperspektiven der Universität wie
die Konsequenzen aus den politischen Sparvorgaben. Es geht beim
Studium Generale und bei der Konzeption Integrierter Studiengänge
im allgemeinen um die Abwägung der Ausbildungserfordernisse
im fachlichen und überfachlichen Bereich und somit um eine
erweiterte Definition der Ausbildungsqualität. Im konkreten
geht es um curriculare Konzepte zur Integration disziplinübergreifender
Ausbildungsinhalte, die den zukünftig verstärkt nachgefragten
Leistungsanforderungen an Hochschulabsolventen/innen entsprechen.
Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der wechselseitigen Kooperation
verschiedener Fächergruppen und eine weitere Rechtfertigung
für das geistes- und sozialwissenschaftliche Fächerspektrum
an einer Technischen Universität. In der langfristigen Perspektive
geht es allerdings nicht nur darum, veränderte Erwartungen
der Gesellschaft an die universitäre Ausbildung zu reflektieren,
sondern auch auf Prozesse der Ausdifferenzierung der Wissenschaften
und der Lockerung traditioneller disziplinärer Zusammenhänge
angemessen zu reagieren. Am Symposium hat ein repräsentativer
Kreis von Mitgliedern der Universität teilgenommen, so daß
aus allen Statusgruppen wictige Diskussionsbeiträge geliefert
werden konnten, die in einem Tagungsband ausführlich dokumentiert
sind. Zur Entwicklung von Vorschlägen für die praktische
Umsetzung der Diskussionsergebnisse wurde die Einrichtung eines
Arbeitskreises aus Beauftragten der Fächergruppen geplant.
Aus heutiger Sicht muß festgestellt werden, daß der
gestalterische Impuls des Symposiums nicht ausgereicht hat, um
die vorgetragenen Ideen und Anregungen auch praktisch umzusetzen.
Insgesamt ergibt sich aus den geschilderten Aktivitäten,
daß die Bemühungen der Universität zur strukturierten
und profilierten Gestaltung ihrer Zukunftsaufgaben noch nicht
zu einem erfolgreichen Ende gekommen sind. Diese Feststellung
ist um so bedeutsamer, als alle diesbezüglichen Anstrengungen
der letzten Jahre unter einem bisher noch nie dagewesenen politischen
Druck und wiederholten gravierenden Haushaltsrestriktionen erfolgten.
Wer daraus nur die Unbeweglichkeit der Universität ableitet,
greift zu kurz. Die Verantwortung der autonomen akademischen Entscheidungsgremien
gebietet es nämlich, in erster Linie Planungssicherheit der
politischen Rahmenbedingungen einzufordern, um auf dieser Grundlage
eine solide Hochschulentwicklungsplanung verabschieden zu können,
die sich an inhaltlichen Gesichtspunkten in Forschung und Lehre
und nicht nur an den Sparzwängen im Universitätshaushalt
orientiert. Insofern hat das Fehlen der Planungssicherheit einer
zukunftsorientierten Hochschulentwicklungsplanung die notwendige
Basis entzogen.
Die Ziele der Universität sind eine oberste Orientierungslinie
für strukturelle Entscheidungen zur Hochschulentwicklung,
für die Evaluation aller universitären Leistungsbereiche
und für die Ressourcenverteilung an die institutionellen
Leistungsträger. Insbesondere müssen die Ziele Antworten
geben können auf das Selbstverständnis der TU Berlin
im Hinblick auf
- ihre Stellung innerhalb des Hochschulsystems in Abgrenzung
zu den Fachhochschulen und im Verhältnis zu den außeruniversitären
Forschungseinrichtungen
- ihre Stellung innerhalb der Berliner Universitätslandschaft
im Vergleich zu den anderen Berliner Universitäten
- ihre Wettbewerbsposition unter den deutschen technischen Universitäten
und Hochschulen sowie im internationalen Vergleich und
- die besonderen Anforderungen, die sich aus dem Standort in
der deutschen Hauptstadt und in der Region Berlin/Brandenburg
ergeben.
Die Ziele müssen so konkret benannt werden, daß sie
für die Profilierung der allgemeinen Aufgabenfelder der Universität
in Forschung und Lehre einen unmittelbaren Beitrag leisten können
und für die Arbeit der einzelnen Organisationseinheiten -
Fachbereiche, wissenschaftliche Serviceeinrichtungen, Verwaltung
- richtungsweisend sind.
Aus dem Selbstverständnis als Universität ergeben
sich die folgenden Ziele:
- die Einheit von Forschung und Lehre und ihre wechselseitige
Orientierung aufeinander
- die Orientierung der Forschung auf disziplinäre Grundlagenforschung
und auf problemorientierte Forschungsfelder an disziplinären
Schnittstellen
- die Orientierung der Lehre auf Methodenkompetenz und Orientierungswissen
- die Förderung des weiblichen wissenschaftlichen Nachwuchses
und
- die Förderung des interdisziplinären Diskurses über
die gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaft.
Aus dem Selbstverständnis als "Technische" Universität
ergeben sich die folgenden Ziele:
- Entwicklung eines Fächerspektrums und eines Leistungsprofils
in Forschung und Lehre, das die regionale Monopolstellung in den
Ingenieurwissenschaften als Verpflichtung be greift und gleichzeitig
in der Lage ist, die Voraussetzungen und Folgen der Technikentwicklung
unter Mitwirkung der Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften
zu untersuchen.
- Vorrangiger Erhalt der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit
in den ingenieur- und naturwissenschaftlichen Fachbereichen, wenn
Ressourcenknappheiten Verteilungsprioritäten erzwingen.
- Steigerung der Attraktivität der Studiengänge, insbesondere
in den Ingenieurwissenschaften angesichts einer rückläufigen
Studierneigung in diesem Fächerspektrum.
- Ausbau der Kommunikations- und Kooperationsbeziehungen zum
gesellschaftlichen Umfeld der Universität, insbesondere zur
Industrie und zu industrienahen Interessengruppen mit dem Ziel
einer Profilierung der Universität als Träger von Innovationen
auf dem Felde der Technikentwicklung und der damit zusammenhängenden
gesellschaftlichen Fragen zur Technikvorsorge und Technikfolgenabschätzung.
Aus der Wettbewerbsposition der Universität ergeben
sich die folgenden Zielsetzungen:
- Förderung der Leistungsorientierung in allen Aufgabenbereichen
- Intensivierung der Beteiligung am Forschungswettbewerb auf
der Grundlage von Forschungsförderungsprogrammen und der
hochschulinternen Forschungsförderung
- Verbesserung der Qualität der Lehre durch die Entwicklung
aussagefähiger Instrumente zur Lehrevaluation und die Honorierung
herausragender Lehrleistungen
- Differenzierte Ausstattung der Studiengänge gemäß
ihres Beitrages zum TU-Profil und zur Studienreform
- Förderung und Pflege des wissenschaftlichen Nachwuchses
vorrangig mit Blick auf die Stärkung der TU-profilbildenden
Fächergruppen und
- Reform der Selbstverwaltung und Verwaltung der Universität
durch Dezentralisierung von Verantwortung und Entpolitisierung
von Entscheidungsprozessen.
Aus den regionalen Bezügen der Universität ergeben
sich die folgenden Ziele:
- Stärkung des Wissens- und Technologietransfers für
die Region Berlin/Brandenburg
- Profilierung der Universität als Instanz für qualifizierte
Politikberatung
- Stärkung der internationalen Präsenz und Ausstrahlung
der Universität durch Kooperationen in Forschung und Lehre
unter besonderer Berücksichtigung des vergrößerten
europäischen Raumes und
- Stärkung der kulturellen Bedeutung der Universität
in der Hauptstadt Berlin.
Die Konkretisierung dieses Zielkatalogs betrifft alle Aufgabenbereiche
der Universität und zwingt zur Festlegung profilbestimmender
Schwerpunkte und unverzichtbarer Wissenschaftsbereiche in Forschung
und Lehre. Erst vor dem Hintergrund derartiger inhaltlich-thematischer
Festlegungen sind grundsätzliche Aussagen zur konkreten Weiterentwicklung
von Forschung und Lehre sowie zur Stärkung der Wettbewerbsposition
der Universität im wissenschaftlichen Umfeld möglich.
Auch für Entscheidungen über neue Instrumente derHochschulentwicklungsplanung
sind entsprechende Schwerpunktsetzungen unverzichtbar.
Die Festlegung von profilbestimmenden wissenschaftlichen Schwerpunktfeldern
der TU Berlin muß sich primär an folgenden Gesichtspunkten
orientierten:
- an den vorhandenen Forschungspotentialen der Universität
- an den Forschungsfeldern, deren Ergebnisse für die Gesellschaft
von besonderer Bedeutung sind
- an der Abstimmung mit anderen wissenschaftlichen Einrichtungen
im regionalen Umfeld und
- an den Erwartungen des Landes Berlin hinsichtlich wissenschaftlicher
Beiträge der Universität zu landesspezifischen Problemstellungen.
Aus der Festlegung der Forschungsschwerpunkte leiten sich die
unverzichtbaren Wissenschaftsbereiche der TU Berlin und die Struktur
ihres Lehrangebotes ab. Im Einzelfall ist nicht auszuschließen,
daß sich diese Kausalität umkehrt, wenn Studiengänge
existieren oder eingerichtet werden, die das Profil der Universität
maßgeblich prägen.
Die genannten Klausurtagungen haben einen konkreten Einstieg in
diese Thematik versucht und Vorschläge zur Schwerpunktbildung
und zukünftigen Ausstattung der TU Berlin mit Fachgebieten/Professuren
zur Diskussion gestellt. Dabei fanden vorrangig zwei Gesichtspunkte
Berücksichtigung:
- Die Fachgebiete müssen so ausgestattet sein, daß
sie auch zukünftig konkurrenzfähig sein können.
Dies bedeutet einerseits eine sachgerechte Ausstattung mit wissenschaftlichem
Personal und andererseits eine adäquate Ausstattung mit technischem
und Verwaltungspersonal.
- Der Umfang der Fachgebiete und damit das Profilspektrum der
TU Berlin muß sich an den unabweisbaren finanziellen Rahmenbedingungen
orientieren, die vom staatlichen Zuwendungsgeber durch Beschlüsse
mit Gesetzeskraft vorgegeben wurden. Die Bilanzierung der Auswirkungen
aller bisherigen Sparauflagen ergibt, daß das für den
Personalhaushalt verfügbare Finanzvolumen zum Jahreswechsel
1996/97 nur noch eine Ausstattung der TU Berlin mit insgesamt 340 wettbewerbsfähigen Fachgebieten
bzw. Professuren zuläßt. Diese drastische Ausstattungsreduzierung
kann keine universitäre Einrichtung in Forschung, Lehre,
Service und Verwaltung unberührt lassen. Im Rahmen der jeweils
vorgegebenen Aufgabenstruktur müssen überall Ausstattungsanpassungen
vorgenommen werden.
Vor diesem Hintergrund wurde ein Vorschlag des Präsidenten
zur TU-Profilbildung diskutiert, der hier nicht explizit vorgestellt
wird, weil die Überprüfung der kapazitären Schlußfolgerungen
für die Fachbereiche und die hochschulpolitischen Bewertungen
noch nicht abgeschlossen sind. Es bleibt demnach eine vorrangige
Zukunftsaufgabe der Universität, die vorgestellten Ansätze
zur TU-Profilbildung auf der Basis der genannten TU-Ziele zu vertiefen,
um die Hochschulentwicklung auf eine verbesserte und finanzierbare
Grundlage zu stellen.
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