TU intern - Erstsemester-Special WS 2000/2001 - Gentechnik
Gen-Debatte:
Zwischen Hoffen, Bangen und Verwirrung
Kürzlich ist es kanadischen Forschern erstmalig gelungen,
künstliche Chromosomen in das Erbgut von Mäusen einzuschleusen.
Damit scheint der genoptimierte Mensch in erreichbare Nähe
zu rücken. Gegnern der Gentechnologie erscheint es wie ein
Szenarium aus Mary Shelleys "Frankenstein": Menschen
werden vor ihrer Geburt genetisch gecheckt. Sind körperliche
Makel wie Übergewicht, falsche Augenfarbe oder die schiefe
Nase erkannt, ist die pränatale Korrektur problemlos möglich.
Der Mensch nach Maß ist Wirklichkeit geworden. Befürworter
der neuen Biotechnologien sehen vor allem die Chancen für
Mensch und Natur: Krankheiten wie Diabetes, Parkinson oder Alzheimer
können geheilt werden, lange bevor das Kind das Licht der
Welt erblickt. Pflanzen müssen nicht länger mit Pestiziden
vor dem Appetit von Insekten geschützt werden. Ernteerträge
lassen sich vervielfachen. Der Hunger auf der Welt ist nicht länger
ein Problem.
DEBATTE UM EMBRYO-ZELLEN
Neue Nahrung haben die Diskussionen um die Möglichkeiten
und Grenzen der neuen Technologien durch einen Vorstoß britischer
Politiker erhalten, die darüber nachdenken, das "therapeutische
Klonen" von Embryo-Zellen zu erlauben. Dabei geht es darum,
die Stammzellen eines wenige Tage alten Embryos zu nutzen, aus
denen fast jede Art menschlichen Gewebes einschließlich
Nerven, Muskeln, Blut und Knochen entstehen kann. Ein Argument
der britischen Wissenschaftler: In den USA sei das Klonen von
Embryonen möglich. Um den Anschluss an die Weltspitze zu
erhalten, müssten auch den englischen Wissenschaftlern entsprechende
Möglichkeiten gewährt werden. Andernfalls, drohen einige
Forscher, werde man in die USA auswandern. Diesen Vorstoß
weist der Vorsitzende der Bioethik-Arbeitsgruppe der konservativen
Fraktion des Europaparlaments, Peter Liese (CDU) entschieden zurück.
Die Staats- und Regierungschefs müssten deutlich machen,
dass das Klonen von embryonalen Zellen zu medizinischen Zwecken
oder zur künstlichen Befruchtung nicht erwünscht ist.
Schließlich gebe es andere Methoden, wie zum Beispiel die
Nutzung von Nabelschnurblut, die das Klonen überflüssig
machten. Die deutsche Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne)
plädiert in dieser Diskussion ebenfalls für "Zurückhaltung".
Bei der Entscheidung über das therapeutische Klonen gehe
es zwar auch um die Frage, ob ein Forschungszweig möglicherweise
vernachlässigt werde. Mit Standortargumenten ethische Bedenken
grundsätzlich beiseite zu wischen hält sie aber für
falsch. Damit folgt sie der rot-grünen Koalitionsvereinbarung:
"Der Vorrang des Schutzes von Mensch und Umwelt", heißt
es dort, "muss im deutschen und europäischen Gentechnikrecht
gewährleistet sein."
WAHRUNG DER MENSCHENWÜRDE
Bereits im Mai hatte die Bundesregierung, wie bislang 70 weitere
Staaten, ein Protokoll über biologische Sicherheit unterzeichnet.
In diesem "Biosafety-Protokoll" werden Mindeststandards
festgelegt, die den internationalen Handel mit genetisch veränderten
Organismen regeln.
Auch der Deutsche Bundestag
ist sich der Brisanz des Themas bewusst. Im Mai hatte die Enquete-Kommission
"Recht und Ethik in der modernen Medizin" ihre Arbeit
aufgenommen.
Zu den Aufgaben der Kommission gehört es unter anderem, Kriterien
für die Grenzen medizinischer Forschung, Diagnostik und Therapie
sowie ihrer Anwendungen zu entwickeln. Diese Kriterien sollen
vor allem eines beinhalten: das "unbedingte Gebot zur Wahrung
der Menschenwürde".
Der Einsatz der "grünen" Gentechnik in der Nahrungs-
und landwirtschaftlichen Produktion wird auch von Umweltschutzverbänden
und den Kirchen mit großer Skepsis beobachtet. Durch den
Einsatz der Gentechnik sowie die Patentierung von Pflanzen wachse
die Abhängigkeit der Bauern von wenigen internationalen Konzernen,
meint die Evangelische Kirche in Deutschland
(EKD). Sie fordert den Einsatz regionaler Saatgutsorten und die
"Rückbesinnung" auf altes bäuerliches Wissen.
Greenpeace beklagt, dass
zum Beispiel "Genraps völlig außer Kontrolle"
gerät und sich veränderte Gene "wie ein E-Mail-Virus
verbreiten." Die Forderung des Umweltverbandes an die Bundesregierung:
Sofortiger Anbaustopp genmanipulierter Pflanzen. Ähnlich
denkt auch die Mehrzahl der Bundesbürger. Nur 34 Prozent
befürworten den Einsatz der "grünen" Gentechnik
in der Nahrungsmittelproduktion und in der Landwirtschaft.
Volker Engels
Leserbriefe
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