TU intern - Erstsemester-Special WS 2000/2001 - Gentechnik

Konfliktregelung ist gefragt

Neuen Technologien muss die gesellschaftliche Einbettung gelingen

Wie wird High-Tec-Forschung in der Gesellschaft wahrgenommen, und welche Konsequenzen hat das? Dr. Gabriele Abels vom Institut für Sozialwissenschaften hat eine Fallstudie zur Rekonstruktion und Analyse technologischer Verhandlungsprozesse in der EU erstellt.

Sie untersuchten in ihrer Dissertation den Prozess der Technikgenese unter den spezifischen Bedingungen des politischen Systems der EU anhand des Humangenom-Projekts (HGP). Was kann sich ein Laie unter darunter genau vorstellen?

Forschungsprojekte, insbesondere solche der Großforschung, sind das Ergebnis technologiepolitischer Entscheidungsprozesse. Ich habe untersucht, wie das europäische Forschungsprogramm zur Entschlüsselung des menschlichen Genoms entstanden ist. Das heißt: Welche programmatischen und institutionellen Faktoren haben die Gestaltung des Projekts beeinflusst? Welche Akteure waren an dem Entscheidungsprozess beteiligt? Wie wurden Konflikte um unterschiedliche Interessen und Konzepte beigelegt? Und welche Rolle spielte die öffentliche Debatte um die gesellschaftlichen Folgen der Genomforschung?

Sie umreißen in ihrer Arbeit den Begriff der "dezentralen Großforschung" als neuartiger Organisationsstruktur. Was verändert sich in Wissenschaft und Technik?

Neu ist diese Art von Forschung für die Biologie, wo dezentrale, kleinteilige Forschung üblich war. Genomforschung hat die Kapazitäten einzelner Staaten überstiegen, hier bedurfte es einer internationalen Forschungskooperation. Allerdings musste diese in einem Umfeld wissenschaftlicher Unsicherheit und zunehmender ökonomischer Konkurrenz organisiert werden, denn mit der Genomforschung verbindet sich die Hoffnung auf neue Medikamente. Dadurch, dass die Genomforschung immer "marktnäher" wird, verschärft sich auch die Konkurrenz; damit verändern sich auch wissenschaftliche Kulturen. Außerdem findet zwischen den "Genjägern" ein Wettlauf um wissenschaftliche Reputation statt.

Wie greifen beim europäischen Humangenom-Projekt Politik und Wissenschaft ineinander?

Die Protagonisten des europäischen Projekts waren international renommierte Wissenschaftler, die im Verbund mit wissenschaftspolitischen Akteuren - allen voran der Europäischen Kommission - das Forschungsvorhaben auf die politische Tagesordnung setzten. Dieses Muster ist typisch für die Genese verschiedener Genomprojekte. Im Verlaufe der Programmgenese kamen weitere politische Akteure wie zum Beispiel das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten hinzu, die ihre jeweils eigenen strategischen Interessen in das Programm einzubringen suchten. In der Forschungspolitik sind Politik und Wissenschaft aufeinander angewiesen; insbesondere in neuen Forschungsfeldern hat Wissenschaft große Einflussmöglichkeiten.

Welchen Einfluss haben biotechnologische Forschungen auf die gesellschaftlichen Debatten über Wissenschaft und ihre Folgen?

Ihre Frageformulierung spiegelt die vorherrschende Perspektive wider, nämlich wie beeinflusst die Technisierung die Gesellschaft. Derzufolge produziert die Technik Folgen. Ethik und Sozialwissenschaften sind bemüht, diese Technikfolgen abzuschätzen, die von der Gesellschaft diskutiert und von der Politik schließlich reguliert werden. Doch Technikentwicklung ist ein sozialer Prozess. Deshalb ist die spannende Frage, wie diese in einer Weise gestaltet werden kann, die aus dem Wettlauf zwischen Hase und Igel, zwischen Technikgenese und Technikfolgen, herauskommt. Dafür müssen nicht zuletzt Wissenschaft und Wissenschaftspolitik demokratisiert werden.

Welche Folgerungen kann man aus ihrer Untersuchung für die Zukunft der Technologie ziehen?

Neue Technologien haben nur dann eine Zukunft, wenn ihnen die gesellschaftliche Einbettung gelingt. Die gesellschaftliche Debatte um die Biotechnologie auf deren Folgen zu reduzieren bedeutet, den Kern von Technikkontroversen zu verkennen. Denn hierbei geht es immer auch um Macht-, Prioritäten- und Verteilungskonflikte, politologisch gesagt: auch um Fragen des guten Lebens, und diese bedürfen einer politischen, republikanischen Konfliktregelung.

Interview: Lars Klaaßen


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