TU intern - Januar 2001 - Aktuelles

Nachgefragt

Wirtschaft und Wissenschaft rücken enger zusammen

"Es ist ein Irrtum zu glauben, Unternehmen würden künftig die Themen der Wissenschaft vorgeben."
Herbert Reichl

Die Industrie baut seit rund zehn Jahren ihre eigenen Forschungsabteilungen immer weiter ab und sucht immer stärker den Kontakt zu öffentlichen Forschungseinrichtungen. Die Universitäten spielen dabei eine ganz zentrale Rolle, wie eine Studie belegt.

TU intern fragte Herbert Reichl, Professor für Mikroelektronik an der TU Berlin und Direktor des Fraunhofer-Instituts für Zuverlässigkeit und Mikrointegration, vor welchen Herausforderungen die Universitäten stehen, wenn sie mit Unternehmen kooperieren.

Herr Prof. Reichl, welche Chance sehen Sie für die Wissenschaft durch Kooperationen mit der Wirtschaft?

Ich sehe durch Kooperationen mit der Wirtschaft die Möglichkeit, unsere wissenschaftlichen Ergebnisse zu verwerten. Es ist inzwischen so, dass Ergebnisse nicht mehr in Form von Berichten, sondern in Form von Demonstratoren präsentiert werden. Kooperationsprojekte zeigen den beteiligten Wissenschaftlern schon in einem frühen Stadium, an welche Verwertung gedacht ist und wie wichtig ihre Forschungsergebnisse sind. Das motiviert vor allem junge Wissenschaftler.

Voraussetzung für Kooperationen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft ist allerdings, dass die so genannte Vorfeld-Forschung bzw. Grundlagenforschung von den Forschungseinrichtungen ausgeht. Aus meiner Erfahrung interessieren sich Unternehmen erst dann für Forschungsprojekte etwa an den Universitäten, wenn erste Ergebnisse vorliegen. Diese werden dann daraufhin geprüft, ob sie sich zu Produkten weiterentwickeln lassen.

Steht die Freiheit der Forschung durch Kooperationen auf dem Spiel?

Keineswegs. Es ist ein Irrtum zu glauben, Unternehmen würden künftig die Themen der Wissenschaft vorgeben. Selbst dann nicht, wenn es sich um Projekte handelt, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gemeinsam mit Unternehmen ausgelobt werden und Forschungseinrichtungen als Kooperationspartner einsteigen. Hier werden die Fragestellungen zwar stark von Unternehmen geprägt, aber nur die Forschungseinrichtungen kommen als Partner in Betracht, die bereits die anfangs erwähnte Vorfeld-Forschung abgeschlossen haben.

Gehen Kooperationen immer nur von Unternehmen aus, oder treten auch die Universitäten als Ideengeber auf?

An Ideen mangelt es mitnichten. An finanziellen Ressourcen aber, um diese Ideen in einer ersten Phase zu erforschen, mangelt es ganz erheblich. Sie können als Wissenschaftler eine noch so gute Projektidee haben, wenn Sie keine ersten Forschungsergebnisse, keine Vorfeld-Forschung aufweisen können, werden Sie in Deutschland keinen einzigen Interessenten in der Industrie finden. Das liegt an dem System der öffentlichen Forschungsförderung. In Amerika ist das ganz anders. Am Massachusetts Institute of Technology (MIT) etwa gibt es Projekte, die einzig auf einer Idee beruhen und deren Vorfeld-Forschung durch Mitgliedschaften von Unternehmen finanziert werden. Obwohl völlig offen ist, ob dabei etwas herauskommt, sagen sich die weltweit renommierten Firmen: Dabei sein ist alles.

Was müssen die Universitäten bieten, um sich als Kooperationspartner zu empfehlen?

Meines Erachtens kommt es weniger darauf an, wie sich eine Universität der Wirtschaft gegenüber als Institution präsentiert, als vielmehr darauf, wie sich der einzelne Wissenschaftler präsentiert. Die Kontakte werden zu einem erheblichen Teil auf internationalen Konferenzen geknüpft. Wenn ich meine Ergebnisse auf dem "deutschen Markt" vorstelle, interessiert sich kaum jemand dafür. Sobald ich aber auf internationalem Parkett auftrete, steht die Industrie Schlange.

Das Gespräch führte Thomas Schulz


Leserbriefe

  TU intern -
    Januar 2001


© 1/2001 TU-Pressestelle