TU intern - Mai 2001 - Lehre & Studium
Alter Wein in neuen Schläuchen?
Diskussion zum "Positionspapier" ist notwendig
In der letzten "TU intern" wurde unter der Überschrift
"Zur Zukunft der Ingenieurausbildung"
über das "Positionspapier" berichtet. Zur Sicherung
von Qualität und Zukunftsfähigkeit der Ingenieurausbildung
an der TU Berlin sollte über dieses Papier ausführlich
diskutiert werden.
Für welches Berufsbild gestalten wir die zukünftige
Ingenieurausbildung? Diese zentrale Frage bestimmt die Berufschancen
der TU-Absolventinnen und Absolventen ebenso wie die internationale
Akzeptanz der Abschlüsse und die Qualität der Ausbildung
selbst. Das zentrale Leitbild für das Positionspapier ist
der "berufsfähige Forschungsingenieur" (Profil
2). Er wird scharf abgegrenzt vom "berufsfertigen, praxisorientierten
Problemlöser" (Profil 1), der bisher an Fachhochschulen
ausgebildet wurde. Diese Zweiteilung entspricht dem überkommenen,
spezifisch deutschen Modell der Ingenieurausbildung an zwei verschiedenen
Institutionen - seit der Verleihung des Promotionsrechts an die
Technischen Hochschulen haben sich aus den damaligen "Technischen
Mittelschulen" die "Ingenieurschulen" (1937), seit
1970 "Fachhochschulen" entwickelt. Diese sollten den
"anwendungsorientierten", die TH's den "theorieorientierten"
Ingenieur hervorbringen.
Diese Zweiteilung ist ein Produkt der klassischen Großindustrie,
die seit der Jahrhundertwende mit vielstufigen Hierarchien und
hoch arbeitsteiligen Funktionen das mit Abstand wichtigste Berufsfeld
für Ingenieure war. Der größte Einsatzbereich
in diesen Betrieben war Forschung und Entwicklung sowie die Konstruktion
(ca. 50 Prozent der Ingenieurarbeitsplätze).
Hier allerdings fing schon das Problem mit der Zweiteilung der
Ingenieurausbildung an: Mit leicht unterschiedlicher Akzentsetzung
- Ingenieurschul-/Fachhochschul-Absolventen etwas weniger in Forschung
und Entwicklung, etwas mehr in Konstruktion als TU/TH-Absolventen
- war die Verteilung der beiden Absolventengruppen auf die Einsatzbereiche
so ähnlich, dass zwei "Profile" im Berufsfeld inhaltlich
nie herausgearbeitet oder gar nachgewiesen werden konnten. Allerdings:
Beim Status, also der hierarchischen Position war immer klar,
dass Diplom-Ingenieure von den Technischen Hochschulen/Universitäten
deutlich bessere Chancen auf Führungspositionen hatten und
mehr Geld verdienten als Absolventen der Ingenieur-/Fachhochschulen.
Dies gilt bis heute - trotz immer wieder fast gebetsmühlenartig
wiederholten anderslautenden Aussagen über die angebliche
"Gleichwertigkeit" beider Abschlüsse.
Nun haben sich in den letzten 12 Jahren (genau: Seit der Veröffentlichung
einer MIT-Studie zur vergleichsweise schlechten Produktivität
deutscher Großbetriebe im internationalen Vergleich) erhebliche
strukturelle Veränderungen in den Kernbereichen der Industrie
ergeben. Stichworte sind: Flache Hierarchien, Zusammenfassung
bisher arbeitsteiliger Funktionen, Projektarbeit und Kundennähe.
Diese Veränderungen haben - neben einer erheblichen Verschiebung
des Qualifikationsprofils hin zu "Softskills" bzw. "Schlüsselqualifikationen"
- zu einer weiteren Angleichung des Einsatzes der beiden Absolvententypen
geführt und zu einem relativen Bedeutungsverlust der "klassischen"
Bereiche, insbesondere Forschung und Entwicklung.
Für just diese Bereiche ist aber der "berufsfähige
Forschungsingenieur" des "Profils 2" konzipiert.
Da angesichts zunehmend flacher Hierarchien die Zahl der "Verantwortungsträger"
in der Industrie gegenüber früher stark reduziert wurde,
verbleibt für die nach diesem Konzept ausgebildeten Absolventinnen
und Absolventen ein Marktsegment, das mit einem Zehntel der
Ausbildungskapazität der deutschen TU's/TH's mehr als ausreichend
bedient werden könnte. Eine solche Reduzierung kann aber
wohl kaum das Ziel sein. Wenn also Zahlen so bleiben wie bisher
(Verhältnis FHs - TU/THs bei Absolventinnen/Absolventen 1,8
: 1), nehmen die TUs/THs bei diesem Profil ihrer Ausbildung in
Kauf, dass 90 Prozent ihrer Absolventinnen und Absolventen am
Markt vorbei und praxisfern qualifiziert werden.
Ingenieure müssen heute auf weitaus vielfältigere Berufsfelder
hin ausgebildet werden als früher, und auch die Verweildauer
auf einem Arbeitsplatz sinkt. Eine Spezialisierung auf "Forschungsorientierung"
(F+E) ist ebenso verfehlt wie z. B. auf "Organisation"
oder "Konstruktion". Noch verfehlter ist es, wenn die
Fachausbildung lediglich auf die Wissenschaft bezogen wird. Auch
TUs/THs zielen mit ihrer Ausbildung auf die berufliche Praxis,
und das nicht erst seit heute, sondern seit hundert Jahren. Das
heißt nicht, die Ausbildung rezepthaft auf die heutige Praxis
zu beziehen - schon deshalb nicht, weil die "Halbwertszeit"
des Fachwissens im Ingenieurbereich inzwischen unter fünf
Jahren liegt. Auch aus diesem Grund ist das den Fachhochschulen
im Positionspapier "zugewiesene" "Profil 1"
ebenfalls an den Notwendigkeiten vorbeigezielt: "Unmittelbar
zur Berufsfertigkeit" ausbilden heißt veraltet ausbilden.
Eine zukunftsbezogene Ingenieurausbildung sollte also weder einseitig
theorie- bzw. forschungs-, noch einseitig praxisbezogen sein.
Warum es zwei Typen von Ingenieuren geben soll, ist aus dem Berufsbild
weder bisher noch für die Zukunft ableitbar.
Angesichts der in den letzten Jahren deutlich gewordenen Probleme
von Qualität und Praxistauglichkeit der deutschen Ingenieurausbildung
sind gründliche inhaltliche und didaktische Reformen angezeigt.
Neue Etiketten für die alte Ausbildung dagegen sind nicht
gefragt.
Dr. Wolfgang Neef
Leserbriefe
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