Das Politische an der Technik
Frauen in Naturwissenschaft und Technik sollen Standard werden
Der Kirchentag auf dem Südcampus der TU Berlin hatte durchaus
Konkurrenz. Das Nord-Gelände bot spannende Alternativen: "Frauen
in Naturwissenschaft und Technik" hieß ein viertägiger
Kongress, der 29. seiner Art. 1977 in Aachen gegründet, wird
er mittlerweile jährlich in wechselnden Städten durchgeführt.
Er wurde von "Käthe und Clara - Verein zur Förderung
von Mädchen und Frauen in Naturwissenschaft und Technik e.V."
veranstaltet und mit viel ehrenamtlicher Arbeit organisiert.
Über 300 Frauen nutzten den Kongress, um sich über ihre
Situation als Studentin, Ingenieurin, Handwerkerin, Naturwissenschaftlerin
oder Informatikerin in Männerdomänen auszutauschen, über
feministische Naturwissenschaftsforschung oder über das Selbstverständnis
von Frauen in Naturwissenschaft und Technik zu Beginn des 21. Jahrhunderts
zu diskutieren.
Schirmfrau Prof. Hildegard Maria Nickel von der HU Berlin, Prof.
Christina Thürmer-Rohr und Dr. Helga Satzinger vom Zentrum
für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung
der TU Berlin führten in das Schwerpunktthema des Kongresses
"standard:abweichung" ein. Standardisierung und Normierung
beeinflusse unsere Wahrnehmung der Welt erheblich. In Naturwissenschaft
und Technik gelten Standards und Raster als Garanten für klare
und reproduzierbare Ergebnisse. Diese scheinbar objektiven Richtwerte
wurden hinterfragt.
Kontroversen gab es darüber, welchen Anteil Frauen an der
Macht, Technologien zu formen, haben. Technik werde in sozialen
Räumen gestaltet und genutzt, die von Geschlechterhierarchie
durchtränkt sind. Highlight unter den knapp 100 Einzelveranstaltungen
war eine interaktive und kreative Kommunikations- und Diskussionsrunde,
eine so genannte Open-Space-Veranstaltung, auf der die Frauen ihren
eigenen Zugang zum Thema "standard:abweichung" reflektierten.
Diese Methode des Gedankenaustausches wurde zum ersten Mal auf einem
FiNuT-Kongress angeboten.
Internationales Flair verbreiteten vier ukrainische Referentinnen,
die dazu aufforderten, auch nach Osten zu schauen. Sie stellten
ihre Arbeiten zur Frauenförderung vor.
Noch ist ein reiner Frauen-Kongress an sich schon eine Abweichung.
Doch leider ist sie weiterhin nötig, um Frauen im Naturwissenschafts-
und Technikbetrieb so zu fördern, dass sie dort irgendwann
auch zum Standard gehören.
Jenny Schmithals
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