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Nr. 6, Juni 2003
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Mit Bachelor und Master zu verbesserter Bildungsqualität

Interview mit Jörg Steinbach, 1. Vizepräsident der TU Berlin, über die Einführung gestufter Studiengänge

 
  Jörg Steinbach ist zuständig für den Bereich Lehre und Studium sowie für Berufungsangelegenheiten

Herr Steinbach, 1500 Bachelor- und Master-Studiengänge gibt es mittlerweile, 250 sind akkreditiert. Wie weit sind wir im europäischen Vergleich? Sind die deutschen Unis zu zögerlich?

Es ist automatisch eine gewisse Skepsis da, wenn man sich von Althergebrachtem plötzlich verabschieden muss. Wie vor wenigen Jahren in Bologna beschlossen, sollen 2010 die meisten deutschen Studiengänge auf das Bachelor- und Mastersystem umgestellt sein. Wir müssen uns offen der Thematik stellen, um nicht den entscheidenden Zug zu verpassen. Viele Gruppierungen bemühen sich sehr um dieses Thema. Es gibt sogar Zusammenschlüsse, zum Beispiel die ETH Zürich, RWTH Aachen und Imperial College London, die sowohl die Einführung gemeinsam diskutieren, als auch inhaltlich vollkommen aufeinander abstimmen.

An der TU Berlin ist die "Missionierung", die Überzeugungsarbeit, meine persönliche Aufgabe. Doch ich brauche auch die Studiendekane und Studienbüros als Multiplikatoren. In Deutschland hat das Diplom eben einen hohen Stellenwert. Von Bachelor und Master befürchten manche einen Qualitätsverlust. Das ist ein Fehler, denn eine Qualitätseinbuße ist definitiv weder gewünscht, noch wird das der Fall sein.

Kritiker haben den Bachelor schon als "Leistungskürzung des Staates" bezeichnet. Welchen Bedarf gibt es tatsächlich?

In der Informatik oder der Elektrotechnik werden uns die Studierenden bereits im Verlauf des Hauptstudiums ohne Abschluss weggeholt. In solchen Bereichen wird der Bachelor ganz klar zu einem berufsqualifizierenden Abschluss führen. In anderen Bereichen sind Anerkennungen durch Kammern notwendig, die eine fünfjährige Ausbildung fordern, zum Beispiel in der Architektur. Hier fördert der Bachelor vor allem die Mobilität, indem er Auskunft darüber gibt, dass bestimmte Module absolviert und über credit points bewertet wurden. Studierende können so ohne Verlust die Uni wechseln, auch international.

Kürzlich hat das European Institute for Quality Assurance, EIQA, eine Berliner Niederlassung gegründet. Wie wichtig ist die Akkreditierung?

Der Verein EIQA kümmert sich speziell um die fächerübergreifende und überregionale Akkreditierung und Evaluation von Studiengängen. Die Berliner Universitäten sind gemeinsam Mitglieder dieses Vereins geworden, was eine Berliner Niederlassung sinnvoll erscheinen ließ. Für die Autonomieinteressen der Universitäten ist es vorteilhaft, wenn inhaltliche Beurteilungen von Studiengängen nicht mehr den Verwaltungen der Länder obliegen. Vor allem aber ist es ein Gütesiegel, das auch gegenseitige Anerkennung garantiert. Daher werden Anträge auf Einführung neuer Studiengänge heute nur noch mit der Auflage genehmigt, sich akkreditieren zu lassen. Mittelfristig wird ein nicht akkreditierter Studiengang von den Studierenden und der Industrie nicht nachgefragt werden.

Bildungsministerin Edelgard Bulmahn warnte kürzlich vor einem möglichen Scheitern der Studienreform. Auch das CHE hält die lang andauernde Parallelität von Bachelor-/Masterund Diplom-/Magisterstudiengängen für schädlich. Wann könnte man von einem Scheitern sprechen?

Scheitern kann nur eine einzelne Universität. Der Prozess ist meines Erachtens so weit fortgeschritten und wird auch von Hochschulen und Universitätszusammenschlüssen national und international so weit getragen, dass er gar nicht mehr aufzuhalten ist. Wir können nur selber Verlierer sein, wenn wir zu langsam sind. An der TU Berlin wird die Parallelität schon aus Sparzwängen heraus nicht stattfinden. Das heißt BA-/MA-Studiengänge, die wir einführen, werden substitutiv für die alten Studiengänge sein.

Wie kann man in Staat und Wirtschaft die Akzeptanz erhöhen? Die Personalabteilungen sind über die zu erwartende Qualifikation oft noch verunsichert, der öffentliche Dienst hat mit der Eingruppierung Probleme.

Im Bereich Industrie hat nach meiner Kenntnis Siemens eine Vorreiterrolle in der Annahme des Systems. Es gibt ein differenziertes Konzept, welche Qualifikation sie für welchen Job wünschen. Auch andere, zum Beispiel die Deutsche Bahn, haben den gleichen Weg eingeschlagen. Sie werden als Multiplikatoren auf weitere Industrien einwirken. Wir müssen einen intelligenten Dialog mit der Industrie führen, sie einbinden. Alleingänge haben für uns als Universitäten keinen Sinn. In den Akkreditierungskommissionen sitzen daher auch bereits entsprechende Industrievertreter. Auch im öffentlichen Dienst ändert sich bereits etwas: In den Ausschreibungen werden der wissenschaftliche und der so genannte anwendungsorientierte Abschluss alternativ nebeneinander gestellt, so dass eine Eingruppierung möglich ist.

Oft hinkt die Ausbildung dem Bedarf des Landes hinterher. Eilen jetzt die Universitäten der Realität voraus?

Ich glaube eher, dass wir hier eine einmalige Chance haben, in Teilen eine Fehlentwicklung zurückzukurbeln. Die Industrie hat erkannt, dass sie zeitweilig nach Überqualifikation und Überspezialisierung gefragt hat. Wir müssen den jungen Leuten wieder ein möglichst breit gefächertes Grundlagenwissen angedeihen lassen, um sie für ein möglichst großes Einsatzspektrum fit zu machen. In die Studiengänge werden wieder verstärkt grundlegende Elemente eingeführt, ähnlich dem früheren "Studium generale": Fachübergreifende Themen wie Kommunikationstechniken, soziale Kompetenzen, ein Minimum an Geisteswissenschaften.

Was kann man verunsicherten Studierenden zur Entscheidung raten?

Schüler sollten unsere Informationsangebote wie Schüler-Infotage oder Schülerinnen- und Schüler-Techniktage intensiv nutzen. Von Studierenden wünsche ich mir eine intensive Zusammenarbeit, ohne die eine solche Studienreform nicht möglich ist - zum Beispiel durch die Arbeit in einer Ausbildungs- oder Akkreditierungskommission. Kontakte dafür kann man gerne über mich erfragen.

Sind die Hochschullehrer ausreichend auf eine solche Reform vorbereitet? Insbesondere der Bachelor als erster berufsqualifizierender Abschluss, braucht ja auch teils andere Inhalte als das Grundstudium eines Diplomstudienganges.

Hier ist noch sehr viel interne Aufklärungsarbeit zu leisten, regelrechte Missionarsarbeit, zumal die Kollegen momentan auch sehr durch zusätzliche Aufgaben in Anspruch genommen sind: eigene Entwicklungsplanung, Evaluationen usw. Daher sind auch viele Papiere, die bereits mein Vorgänger, Herr Professor Sahm, erarbeitet hatte, nicht mit der angemessenen Intensität zur Kenntnis genommen worden. Zukünftig wird nicht mehr nur die Persönlichkeit des Lehrenden oder der Standardname einer Lehrveranstaltung zählen, sondern eine ansprechende und informative Präsentation der einzelnen Module im Internet wird Studierende anlocken.

Bis 2005 müssen sämtliche Studiengänge an der TU Berlin modularisiert sowie eine erhebliche Anzahl auf das gestufte System umgestellt sein, ansonsten verfehlen wir die Zielvereinbarungen mit dem Berliner Senat. Wir liegen dabei knapp im Zeitplan. Zur besseren Kommunikation habe ich vor etwa einem Dreivierteljahr fakultätsübergreifend das "Netzwerk Modularisierung" installiert. Notfalls wird man auch Druck ausüben müssen. Vielleicht noch zur Beruhigung: Die KMK empfiehlt zwar, die Anzahl der Studierenden zu beschränken, die zur Masterstufe zugelassen wird. Doch weil bestimmte Ausbildungen erst nach fünf Jahren als berufsqualifizierend anerkannt werden, darf es keine Beschränkungen geben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Patricia Pätzold

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