Alte Klänge und neue Kompositionen aus dem Computer
Ein Kolloquium führt musikinteressierte Wissenschaftler aus vielen Disziplinen zusammen
Ab dem Sommersemester 2003 findet wöchentlich an der TU Berlin das Kolloquium "Ton und Prozess" statt. Es ist ein Forum für Wissenschaftler, Technologen, Musikschaffende und Studierende, die sich unter wechselnden Gesichtspunkten mit dem Gegenstandsbereich Musik auseinandersetzen.
MUSIKKOMPRESSION UND PSYCHOAKUSTIK
Mindestens 50 Wissenschaftler verschiedenster Fachgebiete der TU Berlin beschäftigen sich mit Forschungsthemen zu Musik und Sound. Dazu gehört in erster Linie das Fachgebiet Musikwissenschaft mit den Lehrstühlen für systematische und für historische Musikwissenschaft und das elektronische Studio am Institut für Kommunikationswissenschaft. Neben diesen Stammdisziplinen und drei derzeit laufenden Forschungsprojekten (Mathematische Musiktheorie, Automatische Musikanalyse, Komposition und formale Sprachen) in der Informatik, welche gemeinsam das Kolloquium veranstalten, gibt es weitere Themen unter anderem zur Musikkompression, Akustik, Psychoakustik, Robotik, Semiotik, Kommunikation, Kognition, Wissenschaftsgeschichte und Philosophie. Dieses hohe Synergie- Potenzial an der Technischen Universität ist eingebettet in eine großartige Themenvielfalt, die an anderen Berliner Institutionen nicht zu finden ist. Die Kommunikation fachübergreifender musikbezogener Inhalte ist Hauptanliegen des Kolloquiums, das auch im Wintersemester 03/04 fortgesetzt werden soll. Die ersten Veranstaltungen haben bereits ein breites Themenspektrum aufgespannt. Jörg Garbers von der Forschungsgruppe für Mathematische Musiktheorie an der TU Berlin stellte sein Promotionsprojekt vor, das sich mit der Software-Integration in der computergestützten Musiktheorie beschäftigt. Mit Hilfe des integrierten Systems "OHR" kann der Benutzer verschiedene spezialisierte Tools in eine visuelle Programmiersprache (OpenMusic) einbetten und dort in flexibler Weise miteinander verknüpfen.
EIN "OHR" ZUM PROGRAMMIEREN
Neueste Entwicklungen der Firma Native Instruments stellte ihr technischer Leiter Stephan Schmitt vor, mit einer großen Palette echtzeitfähiger Musikprogramme. Peter M. Todd vom Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung präsentierte mehrere Ansätze, Evolutionsprozesse als ein experimentelles Paradigma in die Kompositionspraxis einzubringen. Beispielsweise zeigte er, wie sich Melodien und artifizielle "Musikkritiker" in mehreren Generationen eines "Artificial Life- Systems" entwickelten. Martin Carlé vom Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik der Humboldt-Universität verfolgte die spannende Ideengeschichte des Signalbegriffes im Austausch von Musiktechnologie und Musikphilosophie und zeigte, dass dieser Diskurs auch - en passant - nützliche Erfindungen und Entdeckungen abwirft.
Die Komponistin Kotoka Suzuki (UdK) stellte Multimediatechniken vor, die sie in ihren künstlerischen Projekten entwickeln und erproben konnte. Der Komponist Hans Tutschku (derzeit Gastprofessor am elektronischen Studio der TU Berlin) sprach über die Komposition von Klangtransformation. Anja Volk (Forschungsgruppe für Mathematische Musiktheorie) wird am 23. 6. über das Wechselverhältnis von äußerer und innerer metrischer Analyse in der Performance- Forschung sprechen. Der Mathematiker Vittorio Cafagna (Universität Salerno) beleuchtet am 30. 6. grundlegende Techniken der Klangsynthese aus dem Blickwinkel der Funktionalanalysis. Die Mathematiker Thomas Noll und Hendrik Purwins (TU Berlin) führen am 7. 7. einen Disput über die verschiedenen Ausgangs- und Erfüllungsbedingungen signalverarbeitungsbasierter und mathematisch-abstrakter Musikanalyse und -theorie am Beispiel von Tonalität und Modulation. Der Komponist Orm Finnendahl wird dann in der letzten Veranstaltung des Semesters zu den kommunikativen Aspekten des Komponierens sprechen. Eine Internet-Diskussionsliste lädt die Teilnehmer dazu ein, offene Fragen aus den Veranstaltungen weiterzuverfolgen und neue Beiträge für das Kolloquium anzuregen.
Dr. Thomas Noll,
Dipl.-Math.,
(cand. ing.) Hendrik Purwins
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