Naturwissenschaftler protestieren: Zurück zur vor-relativistischen
Physik?
TU-Physiker zu Gravitations- und Äthertheorie Hilgenbergs
In der April-Ausgabe dieser Zeitung erschien unter dem Titel "70
Jahre Hilgenberg: Von Gravitation und Äther" ein Beitrag
von Prof. Dr.-Ing. K.-H. Jacob (Institut für Angewandte Geowissenschaften
I) mit äußerst irreführenden Äußerungen.
Man könnte ihn achselzuckend übergehen, wäre er nicht
in einer Universitätszeitschrift unter der Rubrik "Forschung"
publiziert worden. So aber ist im Interesse der wissenschaftlichen
Korrektheit und des wissenschaftlichen Rufes unserer Universität
Widerspruch vonnöten. Denn der Beitrag stellt eine von der
Unkenntnis des Autors auf den Gebieten der Relativitätstheorie
und Teilchenphysik getragene Entgleisung dar.
So sehr eine interdisziplinäre Diskussion, auch zwischen Geowissenschaftlern
und Relativitäts- beziehungsweise Teilchenphysikern, zu wünschen
ist, so wenig kann sie zustande kommen, wenn die gegenseitige Achtung
vor der Arbeit des jeweils anderen Forschungsgebietes fehlt. Diese
Achtung, die auf dem Bewusstsein beruht, dass man auf anderen als
dem eigenen Fachgebiet Laie ist, lassen die Darlegungen dieses Beitrages
vermissen. Offensichtlich ermuntert durch die Lektüre einiger
dilettantischer Artikel über den Äther, ignoriert der
Autor die gesamte theoretische und experimentelle wissenschaftliche
Forschung auf weiten Gebieten der Physik und denunziert Einsteins
Relativitätstheorie als etwas, das verhindert hat, die nach
seiner Meinung erwiesene Existenz des Äthers zur Kenntnis zu
nehmen. Dass er sich dabei gar auf Äußerungen Einsteins
selbst beruft, zeigt, dass er diesen gründlich missverstanden
hat. Wenn Einstein einige Jahre nach der Begründung seiner
Allgemeinen Relativitätstheorie in Anlehnung an eine Formulierung
von Hermann Weyl von Äther beziehungsweise Gravitationsäther
spricht, dann ist damit nicht der Äther der vor-relativistischen
Physik, sondern das Raum-Zeit-Kontinuum der Allgemeinen Relativitätstheorie
gemeint. Und wenn der Autor feststellt: "Die Schwerkraft entsteht
durch Druck", dann fällt er damit in seinen Ansichten
in die vor-Newton'sche Zeit zurück. Als Laien auf dem Gebiet
der Geowissenschaften wollen wir nichts über diese behaupten,
erlauben uns aber dennoch die Vermutung, dass dieser Rückfall
auch für sie problematisch sein dürfte.
Der Beitrag kulminiert in der skandalösen Behauptung, dass
sich die Relativitätstheorie inzwischen in den Augen vieler
Wissenschaftler als fortschrittshemmend erweise. Natürlich
gibt es immer Dilettanten, die ihre privaten Erklärungsversuche
anstelle bestehender Theorien anbieten. Dass aber Wissenschaftler
(und zudem noch viele), die von der Physik im Allgemeinen und von
der Relativitätstheorie im Besonderen etwas verstehen, die
Relativitätstheorie als fortschrittshemmend ansehen, ist unrichtig.
Weder Fachtagungen noch Fachzeitschriften können den Autor
zu seiner Meinung gebracht haben. Er sollte verraten, woher er seine
Informationen bezieht.
Prof. Dr. H.-H. v. Borzeszkowski,
Institut für Theoretische Physik
In der Richtigstellung von Herrn Prof. v. Borzeszkowski, einem
anerkannten Experten auf dem Gebiet der Relativitätstheorie
der Abteilung Physik der Fakultät II, werden den unbelegten
populärwissenschaftlichen Unterstellungen des Bergingenieurs
Prof. Jacob Fakten für diejenigen dargestellt, die sich inhaltlich
für den modernen wissenschaftlichen Stand der Relativitätstheorie
interessieren. Von dem Artikel des Herrn Jacob, der die Argumente
der wissenschaftlichen Gegner der Erdexpansionstheorie dadurch zu
entkräften sucht, dass er die Grundlagen der modernen Physik
leichtfertig und unsachlich infrage stellt, distanziere ich mich
als Dekan der Fakultät II aufs Schärfste. Weder inhaltlich
noch vom Ton ist der Artikel geeignet, in einem offiziellen Publikationsorgan
der TU Berlin zu erscheinen.
Prof. Dr. Christian Thomsen
Dekan Fakultät II
Mathematik und Naturwissenschaften
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