TU intern
5/2003 als
pdf-Datei
(1,4 MB)
Nr. 5, Mai 2003
 Themenseiten 
Titel
Inhalt
Aktuell
Lange Nacht der
Wissenschaften
Lehre & Studium
Forschung
50 Jahre DNA
Internationales
Menschen
Vermischtes
Leserbriefe
Impressum
TU-Homepage

Kein Verschweigen unliebsamer Wahrheiten

Stellungnahme zum Artikel von Prof. Dr.-Ing. K.-H. Jacob "70 Jahre Hilgenberg: Von Gravitation und Äther - Die Theorie "Vom wachsenden Erdball" - ein Tabu" in TU intern, Nr. 4, April 2003

Erneut (nach einem Artikel "Unsere Erde: Theorien und Emotionen" im Juni 2001) hat TU intern jetzt Spekulationen um einen angeblich "wachsenden Erdball" aufgegriffen und an prominenter Stelle publiziert. Wir hatten uns schon beim ersten Male deutlich dagegen verwahrt, solche dem Stand der Forschung krass widersprechenden Vorstellungen ungeprüft, d. h. ohne Konsultation einschlägig geowissenschaftlich ausgewiesener Fachleute, zu übernehmen und gehofft, dass dieses unerfreuliche Thema damit endlich erledigt wäre. Mit großer Verwunderung müssen wir jetzt zur Kenntnis nehmen, dass dies erneut unterblieben ist und jetzt auch noch provokative Spekulationen aus dem Bereich der Physik mit einbezogen werden, die den Dekan der betroffenen Fakultät zu Protesten veranlasst haben. In unserer Sorge um das Ansehen der TU-Geowissenschaften und der TU insgesamt sehen wir uns deshalb erneut gezwungen, gegen diese Veröffentlichung Stellung zu nehmen.

Die Vorstellung von einem "wachsenden Erdball" ist nämlich keineswegs ein "Tabu" (und schon gar keine Theorie), sondern eine durch keinerlei Beobachtungen gestützte, mit einer Vielzahl von grundsätzlichen Erklärungsnöten belastete Spekulation. Zu den nicht beantworteten Grundsatzfrage zählen unter anderen: Wie ist die ungeheuere Massezunahme der expandierenden Erde zu erklären? Wie ist die Entwicklung der Erde und ihrer Kontinente und Ozeane in dem Zeitraum zwischen ihrer Entstehung vor mindestens 5 Milliarden Jahren und dem Beginn des Zerfall des Superkontinents Pangäa vor etwa 200 Millionen Jahren verlaufen? (Nur ab diesem vergleichsweise "jungen" Zeitpunkt gibt es nämlich die Paläogloben-Puzzle der Expansionsbefürworter). Wie ist zu erklären, dass die Expansion der Erde so ungleichmäßig verlaufen ist, bzw. warum hat sich der Erdradius gerade in den letzten 200 Millionen Jahren verdoppelt? Wie sind die Falten und Überschiebungen in Gebirgen entstanden, wenn sich die Erde nur ausdehnt? Wie passt die Existenz der durch zahlreiche unbestreitbare Evidenzen (z. B. das Verteilungsmuster von Erdbebenepizentren) und geophysikalische Messungen belegten Subduktionszonen (samt den begleitenden vulkanischen Aktivitäten) an aktiven Kontinenträndern und Inselbögen zur Vorstellung von einer expandierenden Erde?

Bezeichnenderweise wird die Idee von einem "wachsenden Erdball" bevorzugt von geowissenschaftlichen Laien positiv aufgenommen. Es gibt in den Geowissenschaften keine hinlänglich verbreitete Zeitschrift, keine Fachtagung der wissenschaftlichen Gesellschaften und keine Lehrbücher, in denen diese Spekulation noch oder wieder ernsthaft diskutiert wird.

Im TU-Studiengang "Geoingenieurwissenschaften und Angewandte Geowissenschaften" findet diese Spekulation deshalb allenfalls Platz als Reminiszenz an eine wissenschaftsgeschichtliche Etappe vor der Entwicklung der Theorie der Plattentektonik. Das hat nichts mit Verschweigen von unliebsamen Wahrheiten oder gar deren gezielter Unterdrückung zu tun, sondern allein mit der Tatsache, dass wir uns einer soliden fachlichen Ausbildung verpflichtet fühlen. Der nach Jahrzehnten intensivster Forschung auf und unter denn Ozeanböden, auf und in den Kontinentblöcken heute erreichte Stand der geowissenschaftlichen Forschung weist nämlich der Theorie der Plattentektonik ein derart hohes Maß an Wahrscheinlichkeit und Plausibilität zu, dass zwar Bedarf an weiterer Verifizierung und Ursachenforschung, nicht aber an kosmologisch verbrämter Wiederbelebung von vermeintlich alternativen Uralt-Spekulationen besteht.

Die von der TU-Pressestelle auf der Seite www.tu-berlin.de/presse/tui/01mai/kolloq_expa_2003.pdf angekündigte Konferenz, gemäß Programm gemeinsam veranstaltet vom "Verein der Freunde und Förderer des Bergbau- und Industriemuseums Ostbayern" und der TU Berlin, findet nicht im Namen der TU Berlin statt. Auf der schriftlichen Einladung ist nur der "Verein der Freunde und Förderer des Bergbau- und Industriemuseums Ostbayern" genannt. Die TU Berlin, die Fakultät VI und das Institut für Angewandte Geowissenschaften waren und sind, von ihrem Mitglied Prof. Jacob abgesehen, zu keinem Zeitpunkt in diese Veranstaltung involviert. Prof. i. R. Dr. H. Kallenbach (Ehemaliger im Fachbereich Geowissenschaften der TU Berlin) hat sich bereit erklärt, auf dieser Veranstaltung ausdrücklich den Standpunkt der Plattentektonik zu vertreten.

Abschließend möchten wir eine Bitte aus unserer Stellungnahme vom Juni 2001 erneuern: Auch die Spekulationen, die Erde sei hohl (19500 Google-Nachweise für "hollow earth" im World Wide Web) oder flach ("flat earth" mit 43300 Fundstellen) haben weltweit zahlreiche Anhänger ("expanding earth" übrigens nur 1390 Fundstellen), wie ein Blick in das Internet belegt. Wir bitten TU intern inständig, nicht auch noch diese Themen aufzugreifen, selbst wenn - wie vorauszusehen - das Leserbriefecho gewaltig wäre.

Prof. Dr. Gerhard Franz (GD),
Prof. Dr. Hans Burkhardt (ehem. Dekan),
Prof. Dr. Klaus Germann (ehem. GD),
Prof. Dr. Ugur Yaramanci (Dekan),
Institut für Angewandte Geowissenschaften, Fakultät VI

© TU-Pressestelle 5/2003 | TU intern | Impressum | Leserbriefe