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Nr. 11, November 2003
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Berliner wollen ins Grüne, Pariser lieben die Metropole

Urbanisierungsforschung an Villenkolonien der Jahrhundertwende

In der Zehlendorfer Lessingstraße 11 wurde 1910 die Villa von Ferdinand Kallmann erbaut

Inmitten der "Denkmäler des Bürgertums", im Villenviertel Lichterfelde, behütet von der Gouvernante, war Julius Posener aufgewachsen, berühmter Architekturhistoriker und TU-Professor, dessen Geburtstag sich 2004 zum 100. Mal jährt. Ihm zu Ehren veranstaltete die TU-Arbeitsstelle für europäische Stadtgeschichte der TU die mehrtägige internationale Konferenz "Villa in Suburbia - Berlin im Metropolen-Vergleich". Berlin war für Posener nicht nur die größte Mietskasernenstadt, sondern auch die größte Villenstadt der Welt. Seit der Kaiserzeit bildeten die prachtvollen Villen, teils kleine Schlösser, an der grünen Peripherie Berlins, insbesondere im Westen, das suburbane Mosaik einer Landhaus- und Villenlandschaft, das in seiner Vielfalt und seinem gestalterischen Reichtum in Europa seinesgleichen sucht.

Dieses historische Erbe ist besonders wegen der Folgelasten nicht ganz unproblematisch. In der Wissenschaft erwacht, so Prof. Dr. Heinz Reif von der Arbeitsstelle am Institut für Geschichte und Kunstgeschichte der TU Berlin, das Interesse an einer interdisziplinären Suburbanisierungsforschung wieder. Die Wohnsiedlungen am grünen Stadtrand galten lange Zeit im Gegensatz zur dicht besiedelten, anregenden und innovativen Innenstadt als private Rückzugsräume. In den großen deutschen Zeitungen sind noch im vergangenen Jahr zum Beispiel 1092 Texte zum Berliner Schloss erschienen und nur 37 zum Wohnen und Leben in den Vororten, wie die FAZ herausfand. Erst in neuerer Zeit mehren sich die Versuche, die speziellen Strukturen und Eigenschaften der Stadtrandsiedlungen und Vorortgemeinden zu entschlüsseln. Sichtbar wurde dabei ein vielfältiges Nebeneinander zahlreicher Suburbanisierungspfade, eine extrem unterschiedliche Wertigkeit der Siedlungen nach ihrer sozialen, politischen, architektonischen und stadtgestalterischen Qualität, vor allem aber eine Fülle von eigensinnigen suburbanen Siedlungswelten. An der TU Berlin bemüht man sich bereits seit einigen Jahren, sich aus der Enge der Fachdisziplinen zu lösen und Erkenntnisse der Kunstgeschichte, der Architektur- und Verkehrsgeschichte, der Stadt- und Landschaftsplanung, der Stadtsoziologie und Stadtethnologie in gemeinsamen Forschungsfeldern zusammenzuführen.

"In Berlin bewegte sich der Zug des Bürgertums in mehrere Richtungen, zunächst die Reichen, dann das Mittelbürgertum und schließlich auch die kleineren Leute, die dem Häuschen im Grünen nachstrebten: nach Osten (Köpenick, Müggelheim), nach Norden (Gartenstadt Frohnau) und der erfolgreichste nach Südwesten (Grunewald, Dahlem)", erklärt der kunstgeschichtlich forschende Historiker und Ingenieur Heinz Reif. "Wohnen am Rande der Stadt ist in Deutschland das dominierende Wohnideal geblieben. Doch dabei trennen sich Räume und Welten schichtenspezifisch, Bevölkerungsgruppen werden einander fremd, der Boden wird teurer, die Zersiedelung nimmt zu und verändert die Infrastruktur erheblich." Sowohl das stadtplanerische als auch das soziologische Phänomen seien wichtige Inhalte der Urbanisierungsforschung. Denn diese Bewegung folgt keinem Zwang. Der Blick über den Tellerrand zeigt es: Die Wiener oder Pariser Bürger bleiben stärker der Innenstadt zugewandt, ihren Theatern, Märkten, Plätzen und Denkmälern. Sie haben weder die englische Naturideologie, noch stigmatisieren sie ihre Großstadt als krank machenden Moloch, wie es die Deutschen tun.

Patricia Pätzold

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