Es kann nicht an den Kindern liegen
Was bei der Integration schief läuft und was man besser
machen kann
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An der Kinder-Uni der TU Berlin
und der UdK im Mai dieses Jahres nahmen auch Schulklassen aus
Neukölln teil, wo aufgrund der Bevölkerungsstruktur
viele Integrationsprojekte laufen
Foto: TU-Pressestelle/Böck |
Die TU Berlin ist eine Universität mit einem hohen Anteil
ausländischer Studierender und solcher, die als Deutsche einen
Migrationshintergrund haben, definiert durch mindestens einen Elternteil,
der im Ausland geboren wurde. Sie alle gehören zu jenen erfolgreichen
jungen Leuten, über die nach den jüngsten PISA-Daten nicht
in der Öffentlichkeit geklagt wird, also nicht zu den schulerfolglosen
Kindern und Jugendlichen.
In Deutschland machen rund zehn Prozent der hier lebenden Pass-Ausländer
das Abitur, aber über 20 Prozent erreichen nicht einmal einen
Hauptschulabschluss. In Berlin legten von allen ausländischen
Schülern am Ende des Schuljahres 2002/03 12 Prozent das Abitur
ab, aber 27,2 Prozent erhielten keinen Hauptschulabschluss - sogar
knapp zwei Prozent mehr als im Jahr 1998/1999. Unter der breiter
definierten Gruppe der "Schüler mit Migrationshintergrund"
dürften die Verhältnisse ähnlich sein. Mit anderen
Worten: Über ein Viertel aller Migrantenkinder haben keine
Chance auf eine normale Berufsausbildung, nur ein Neuntel kann studieren.
Die sozialen Folgen sind seit Jahren bekannt.
Schlüsselt man diese Daten nach Nationalität auf, wird
eine merkwürdige Streuung deutlich: Kinder mit polnischem,
griechischem oder spanischem Hintergrund haben bundesweit erheblich
bessere Schulkarrieren als Kinder mit türkischem oder italienischem
Familienhintergrund. Damit wird deutlich: Es kann nicht "am
Islam" liegen, dass Kinder und Jugendliche in der Schule scheitern
- Italiener sind nun mal meist katholisch. Feinanalysen zeigen,
dass folgende familiäre Gründe Schulversagen von Migrantenkindern
befördern: Eltern, die sehr autoritär sind und körperliche
Strafen als legitim ansehen; Eltern, die die sozialen Kontakte der
Kinder auf die eigene Ethnie begrenzen; Eltern, die wenig intersprachliche
Kontakte mit deutschsprachigen Nachbarn pflegen; Eltern, die wenig
Bücher zu Hause haben und ihren Kindern sprachlich und kulturell
kaum beim schulischen Lernen helfen können; nicht zuletzt Eltern,
die sehr rigide Interpretationen des Islam leben. Umgekehrt haben
Migrantenkinder mit gymnasialer Erfolgsgeschichte öfter Familien,
in denen ein partnerschaftlicher Umgang gepflegt wird; in denen
im Familienalltag mehrsprachig gesprochen wird; die eher islamisch-liberal
sind (zum Beispiel als Aleviten), die Familienkontakte zum deutschsprachigen
Umfeld pflegen und ihre Kinder bei solchen Beziehungen unterstützen,
und natürlich Familien, deren eigener Bildungshintergrund förderlich
ist für das Lernen der Kinder.
Da diese familiären Faktoren durch Schule wenig beeinflussbar
sind, waren sie bislang kaum kritischer Gegenstand der öffentlichen
Debatte. Das ändert sich nun. Eine zentrale Rolle der Vermittlung
zwischen Familien und Schule kommt dabei den jeweiligen Migrantenvereinen
zu.
Dennoch brauchen wir schulisch nicht zu resignieren. Berlin hat
sehr verspätet einen richtigen Schritt getan: Für alle
jene Fünfjährigen, die keine zureichende Sprachkompetenz
im Deutschen besitzen - das gilt für 70 Prozent aller Migrantenkinder
und auch für 15 Prozent der Kinder deutscher Herkunft -, werden
Sprachkurse zur Pflicht. Sie werden aber bis zum Schulbeginn keine
ausreichende Kompetenz vermitteln. Deshalb müssten sie in der
Grundschule für jene verbindlich weitergeführt werden,
die hier Defizite haben.
Sprachbeherrschung ist die Grundlage jedes Bildungserfolgs. Aber
Sprache ist nicht alles. Unsere Schulen machen in der Mehrheit nicht
den Eindruck, sie würden sich respektvoll um ihre migrantische
Klientel kümmern: Es gibt selten mehrsprachige Beschilderungen
als Orientierung für Eltern. Es gibt kaum ernsthafte Bemühungen,
Migranteneltern in die Schulkonferenzen hereinzuholen. Es gibt im
Fachunterricht nach wie vor ein sehr "deutsches" Curriculum
- die Einbeziehung von Geschichte, Kultur, Literatur, Wissenschaft,
Kunst, Alltagsführung, Erziehungskonzepten et cetera geschieht,
wie ein einfacher Blick in Schulbücher zeigt, nur selten. Die
exotischen Gerichte, auf dem Schulfest von Türken, Sizilianern,
Libanesen oder Polen angeboten, festigen eher das Bild von der Regel
und der Ausnahme.
Vor allem fehlt, von der ersten Klasse bis zum Abitur, ein Lernfeld
in der Schule, wo über unterschiedliche Werte, Kulturerfahrungen,
Lebensführungen, Religionen, Konfliktlösungen, aber auch
über Diskriminierungsempfindungen und gemeinsame Träume
und Hoffnungen gesprochen werden kann. Solch ein Unterricht ist
ansatzweise in Brandenburg als "Lebenskunde - Ethik - Religionenkunde"
(LER) eingeführt worden. Auch in Berlin wird dies nun endlich
ernsthaft diskutiert. Ein Fach LER wäre angesichts zunehmender
gesellschaftlicher Akzeptanzprobleme der Grund- und Menschenrechte
und der demokratischen Konfliktregelungen dringend geboten; es sollte
auch eine Islamkunde einbeziehen, die alle Schülerinnen und
Schüler ebenso lernten, wie alle Schüler sich mit dem
Christentum (und seinen Varianten) oder dem aufgeklärten Skeptizismus
beschäftigten. LER als Wahlalternative zur islamischen oder
christlichen Unterweisung verfehlt seinen Zweck, in einen Dialog
unterschiedlicher Perspektiven zu treten.
Eine jüngste Schülerbefragung in einem Berliner "sozialen
Brennpunkt" hat ergeben, dass es eine hohe Schulfreude und
eine erstaunlich positive Lehrerakzeptanz unter Kindern gibt. Migranten
sind signifikant noch zufriedener und noch lehrerfreundlicher! Es
kann also nicht an den Kindern liegen, dass es mit der Schule schief
läuft. Berlin muss sich "einen Ruck geben: die Behörde,
die Einzelschulen, die Migrantenvereine, die Eltern. Wir brauchen
einen großen "Runden Tisch" - für praktische
Schritte.
Prof. Dr. Ulf Preuss-Lausitz,
Fachgebiet Erziehungswissenschaft
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