Träumereien am murmelnden Wasser
Literaturwissenschaft als Ortstermin - Eine Exkursion auf Rousseaus
Spuren
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Bei einer Lesung am Genfer
See konnten die Studierenden die Leiden von Roussaus Romanhelden
am Ort des Geschehens nachvollziehen |
Zahlreiche Einflüsse des großen Universalgelehrten
Jean-Jacques Rousseau lassen sich bei den bedeutendsten deutschsprachigen
Dichtern und Gelehrten des 18. und 19. Jahrhunderts wiederfinden:
vom direkten Zitat bei Goethe über glorifizierende Dichtung
Hölderlins bis zur geistigen Einflussnahme Kants. Fast 4000
Kilometer Wegstrecke quer durch Europa folgten elf TU-Studierende
zwölf Tage lang seinen Spuren, um das im literaturwissenschaftlichen
Seminar "Rousseau und die Folgen" erarbeitete Wissen von
der Wirkkraft seiner Person einer kritischen Überprüfung
zu unterziehen.
Angefangen in Rousseaus Geburtsstadt Genf über Orte, die von
Aufenthalten des immer von Verfolgungen und später von Verfolgungswahn
getriebenen Rousseau zeugen, wurden auch Institutionen besichtigt,
die wertvolle Manuskripte und Originalbriefe beherbergen. Sie erlaubten
Einblicke in wissenschaftliches Arbeiten. Editionsexperten und Museumsdirektoren,
die die Gruppe begleiteten, standen mit Rat und Tat zur Seite. Natürlich
sahen die Studierenden auch jene Wallfahrtsstätten, an denen
bereits das 18. Jahrhundert immer wieder versucht hatte, die Schauplätze
wieder zu erkennen, die Rousseau in seinen Werken schildert, wie
die Handlungsräume seines berühmten Briefromans Julie
oder die Neue Heloise. Am Ufer des Genfer Sees lauschten die Studierenden
der Erzählung der stürmischen Seefahrt des Lehrers St.-Preux
und seiner heißgeliebten Julie. Sie imaginierten sich in die
Romanhandlung, nicht ohne selbst den einen oder anderen Seufzer
auszustoßen, sie lagerten auf der Petersinsel im Bieler See
und ließen sich, begleitet vom murmelden Wasser, beim Zuhören
der berühmten Schilderung in den Träumereien eines einsamen
Spaziergängers selbst in das Land der Träume entführen.
Auch abgelegenere Orte standen auf dem Reiseplan, zum Beispiel
Motiers, ein kleines Dorf - im 18. Jahrhundert unter preußischer
Protektion -, wo Rousseau einst Unterschlupf fand, bis er, durch
die steineschmeißende, aufgebrachte Bevölkerung vertrieben,
das Weite suchte. Der in den Bekenntnissen geschilderte Nussbaum
von Bossey wurde ebenso gesucht und gefunden wie die Ferme de Maubec,
ein alter Bauernhof, der in seiner Einsamkeit noch ganz rousseau'schen
Geist atmet. Beweglich war die Gruppe mit Dozentin Constanze Baum
durch die Nutzung eines TU-Busses und eines angemieteten Wagens.
Dass Literaturwissenschaft als Ortstermin viel Spannendes und auch
Unentdecktes bereithält sowie das Gelernte festigt, ist allen
Teilnehmenden schnell bewusst geworden.
tui
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