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Strommarkt im Wandel

TU-Experte analysiert die in Bewegung geratenen Energiemärkte

Börsenhandel: Die Kosten für Stromerzeugung hängen maßgeblich von den Preisschwankungen des Weltmarkts für Steinkohle und Erdgas ab
Foto: Deutsche Börse AG

Abbau von gesetzlichen Vorschriften und vermehrte Investitionen in neue Kraftwerke und Versorgungstechnik: Nur auf diese Weise lassen sich künftig die Preise für Strom, Gas und Heizöl in vertretbaren Relationen halten. "Die gegenwärtige Teuerung beim Erdöl ist unter anderem der Tatsache geschuldet, dass die Raffinerie-Kapazitäten knapp sind", urteilt Dr. Georg Erdmann, Professor für Energiesysteme an der TU Berlin. "Sie können den enormen Hunger der Weltwirtschaft nicht ausreichend stillen.

Das ist kein Wunder, denn die letzte Raffinerie wurde in den Industrieländern vor mehr als zwanzig Jahren errichtet. Dadurch entstehen Engpässe bei hochwertigen Ölerzeugnissen, die den Preis in die Höhe treiben." Gleiches drohe künftig bei Elektroenergie, denn seit Jahren würden in Deutschland kaum neue Kraftwerke errichtet und die Versorgungsnetze modernisiert. "Dafür müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, sonst gehen auch bei uns eines Tages die Lichter aus, ähnlich wie bereits in den USA oder Italien", warnte der Experte, der sich vor allem mit der Prognose von Energiepreisen einen Namen in Deutschland gemacht hat. Zu seinen Forschungsinteressen gehört die so genannte evolutorische Ökonomik, die die Mathematik und die Wirtschaftswissenschaften verbindet, um die in Bewegung geratenen Energiemärkte zu analysieren.

Der deutsche Strommarkt befindet sich seit 1998 im Wandel. Derzeit befindet sich das neue Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) in den parlamentarischen Anhörungen. "Das Gesetz soll die so genannte Beschleunigungsrichtlinie der EU umsetzen", erläutert Georg Erdmann. "Das Vorgängergesetz hatte nur 19 Paragrafen, die völlig ausreichen, um die Energiewirtschaft sinnvoll zu liberalisieren. Alle Verordnungen und Ausführungsbestimmungen eingerechnet, wird das neue deutsche EnWG wohl nahezu tausend Seiten stark. Es schafft einen administrativen Wasserkopf, der die Investitionstätigkeit der Unternehmen lähmen wird." Hinzu kommen Unsicherheiten über den CO2-Zertifikatehandel. Derzeit liegen die Europäische Kommission und die Bundesregierung im juristischen Streit darüber, ob der nationale Allokationsplan mit den europäischen Vorschriften übereinstimmt. Er regelt die Vergabe von Emissionsrechten für Kohlendioxid an die Energiewirtschaft. Auch dadurch werde die Branche verunsichert und dringende Investitionen weiter verschoben.

"Das Ziel der staatlichen Regulierung muss sein, diese Investitionen neu anzukurbeln", rät Georg Erdmann. "Sich allein auf möglichst niedrige Verbraucherpreise zu orientieren, ist kurzsichtig." Er nennt ein Beispiel: "Künftig kann die Regulierungsbehörde vor allem bei den Netzbetreibern eingreifen. Die Energienetze befinden sich in Deutschland vor allem in der Hand kommunaler Betreiber. Bei ihnen billige Preise durchzusetzen ist zwar möglich, doch werden die vielerorts verarmten Kommunen weiter geschädigt - mit der Folge, dass Kindergärten oder andere soziale Aufgaben eingestellt werden müssen." Die Stromerzeugung hingegen lässt sich durch staatliche Regulierung nicht verbilligen, da die Erzeugungskosten ganz maßgeblich den Preisschwankungen des Weltmarkts für Steinkohle und Erdgas unterliegen. Hinzu kommen Belastungen aus dem CO2-Zertifikatehandel sowie die Ökosteuer, die den Strom in Deutschland weiter verteuern. "Ein klarer und möglichst einfacher Rahmen muss her. Dann werden die Preise auch wieder sinken, ganz nach den Regeln des Marktes." Für das kommende Jahr rechnet Erdmann weiterhin mit steigenden Preisen.

Die meisten Anlagen zur Energieerzeugung und die Versorgungsnetze in Deutschland sind bereits abgeschrieben. Die Versorger, auch kommunale Betriebe, verdienen gut, da sie derzeit das "goldene Ende" der Anlagenlaufzeit abschöpfen. "Noch reden wir von Überkapazitäten, aber irgendwann stehen wir auch bei der Elektrizität vor knappheitsbedingten Preisschüben wie heute beim Öl."

Der Energieexperte wies zudem darauf hin, dass zeitweise steigende Preise den Anreiz erhöhen, Energie einzusparen. "Die Amerikaner könnten ohne weiteres fast ein Drittel ihres Energieverbrauchs reduzieren, beispielsweise durch sparsamere Fahrzeuge oder bessere Dämmung ihrer Häuser und Fabriken", sagt Georg Erdmann. "Die Europäer sind traditionell energiebewusster. Bei uns liegt deshalb das Energiesparpotenzial geringer, auch wenn natürlich auch bei uns noch viele sinnvolle Energiesparmaßnahmen auf ihre Realisierung harren."

Roland Knauer

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