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Mai 2005
Sonderbeilage Lange Nacht der Wissen- schaften 2005 als pdf-Datei
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Blinde Passagiere

Der Autoverkehr schleppt Pflanzen ein, die nicht in Berlin heimisch sind

 
  Viele Pflanzen am Straßenrand sind weit gereist - auf dem Autoreifen quer durch Europa
Foto: privat

Kraftfahrzeuge verteilen nicht nur Güter und Personen über das Straßennetz. Oftmals reisen unbemerkt blinde Passagiere mit: Samen von Pflanzen, die zum Beispiel an Stoßstangen und in Erdklumpen im Reifenprofil kleben. Irgendwann während der Fahrt fallen die Samen wieder ab und wachsen am Straßenrand, weit entfernt vom Ursprungsort, zur Pflanze heran.

Dass Kraftfahrzeuge Samen nicht nur über kurze Distanzen, sondern auch über weite Strecken transportieren, konnte nun erstmals bei Untersuchungen im Rahmen des DFG-Graduiertenkollegs "Stadtökologische Perspektiven einer europäischen Metropole - das Beispiel Berlin" nachgewiesen werden. Ein Jahr lang hat Moritz von der Lippe vom Fachgebiet Ökosystemkunde/Pflanzenökologie der TU Berlin in drei Autobahntunneln im Nordwesten der Stadt das von den Fahrzeugen abgefallene Erdmaterial aufgefangen und zum Auskeimen ins Gewächshaus gebracht. Das Ergebnis hat die Wissenschaftler überrascht: Über 10000 keimfähige Samen gingen in die selbst entwickelten "Samenfallen". 183 verschiedene Arten wurden ermittelt, darunter auch Kultur- und Gartenpflanzen wie Tomaten und Paprika. Knapp die Hälfte waren Arten, die in Berlin nicht ursprünglich heimisch sind. "Diese Arten machen jedoch nur ein Drittel der Pflanzen in den umgebenden Stadtzonen aus. Daran kann man erkennen, dass bestimmte nichteinheimische Pflanzen stärker durch Fahrzeuge verbreitet werden als die einheimischen", erläutert von der Lippe.

Angefangen hat diese so genannte "biologische Invasion" mit den Entdeckungsfahrten der Europäer im 15. Jahrhundert. Nicht nur Edelmetalle und Handelsgüter, auch Samen von Pflanzen machten - meist unbemerkt - die Reise über Meere und Landwege mit. Trug früher vor allem die Schifffahrt zur Verbreitung bei, kommt heute dem Straßenverkehr eine bedeutende Rolle zu. So hat sich das Dänische Löffelkraut, eigentlich ein Küsten- und Salzwiesengewächs, mittlerweile entlang der Autobahn bis zum nördlichen Teil des Berliner Rings vorgearbeitet. In Berlin kommt es, soweit bekannt, noch nicht vor, in den Tunnelfallen hat der Forscher allerdings schon Samen gefunden.

Auch außerhalb Europas wird die Ausbreitung nichteinheimischer Pflanzen an Straßenrändern aufmerksam registriert. Zusammen mit dem Partnerprojekt an der University of Washington in Seattle haben Teilnehmer des Graduiertenkollegs mehrere Abschnitte von Straßenrändern in Seattle untersucht. Die Identifizierung der gefundenen Arten bereitete den Berlinern keine Schwierigkeiten, denn rund 90 Prozent der Pflanzen stammten ursprünglich aus Europa. In vielen Bundesstaaten der USA hat man zum Schutz der einheimischen Flora eigene Kontrollbehörden eingerichtet. Diese beobachten nicht nur die Entwicklung der unerwünschten Einwanderer, sie bekämpfen sie auch, wenn diese sich so stark ausbreiten, dass sie seltene und gefährdete Arten verdrängen. Neuseeland versucht, solche Einwanderer gar nicht erst ins Land zu lassen. Auch um Tier- und Pflanzenkrankheiten zu verhindern, bestehen strenge Regelungen für die Einfuhr von Tieren und Pflanzen. Aber auch Gebrauchtwagen aus dem Ausland müssen eine aufwändige Reinigungsprozedur über sich ergehen lassen, damit sie zur Einfuhr zugelassen werden. Um auszuschließen, dass unbemerkt Samen mit ins Land gelangen, werden sogar der Unterboden und die Lüftungsanlagen der importierten Fahrzeuge inspiziert.

"Sehr expansive nichteinheimische Arten können auch in Deutschland gefährdete Lebensgemeinschaften verändern und seltene Arten verdrängen", sagt von der Lippe. So führt zum Beispiel in Brandenburg vor allem die nordamerikanische Robinie, ein häufig gepflanzter Straßenbaum, zum Absterben von Trockenrasenpflanzen und bedroht besonders geschützte Biotope. Allerdings warnt von der Lippe vor schnellen Verallgemeinerungen. "Die meisten nichteinheimischen Arten sind unproblematisch, es sollte immer im Einzelfall geprüft werden." Da Straßen offenbar einen besonders effektiven Ausbreitungsweg für Pflanzen darstellen, plädiert er dafür, nichteinheimische Strauch- und Baumarten nur nach gründlicher Abwägung an Straßenrändern zu pflanzen. Dadurch kann eine Gefährdung bedrohter Lebensräume in Straßennähe verhindert werden.

Christian Hohlfeld

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