Wie Zauberei kommt's mir vor ...
Friedmar Apel schreibt seinem Lehrer Norbert Miller zur Emeritierung
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Norbert Miller,
TU-Professor für deutsche Philologie, Allgemeine und Vergleichende
Literaturwissenschaft, wurde zum 30. September 2005 emeritiert
Foto: TU-Pressestelle |
Education is an admirable thing.
But it is well to remember from time to time
that nothing that is worth knowing can be taught.
Lieber Norbert,
von einer neuen Insel der Seligen schreibe ich Dir, aus der Betonburg
der interdisziplinären Innovation in Bielefeld. Das liegt in
Ostwestfalen, also mitten im einheitlichen europäischen Bildungsraum
der "Bologna-Erklärung". Da Du solche Dokumente nicht
liest, weißt Du vermutlich nicht, daß dieser Raum die
"unerläßliche Voraussetzung für gesellschaftliche
und menschliche Entwicklung" ist. Diese Entwicklung findet
als "Selbstmobilisierung" statt. Dafür stehen Netzwerke
und Informations- und Kommunikationskanäle zur Verfügung.
Wir verhalten uns unternehmerisch und unterwerfen uns der "permanenten
Evaluation". So konnten wir an unserer Fakultät eine Menge
Ballast abwerfen, wie die Altphilologie, die Romanistik und die
Slavistik.
Die Studenten sind unsere "Kunden". Sie erwerben allerlei
hermeneutische Waren und dazu "Schlüsselqualifikationen,
soft skills, Kernkompetenzen", also schöne Fertigkeiten
wie "methodisches Herangehen an Probleme, vernetztes Denken,
Kreativität und Kommunikationsfähigkeit". Dafür
müssen sie jetzt bezahlen. In ebenfalls entrümpelten gestuften
Studiengängen werden sie in vorbildlicher "Power-Point-Didaktik"
vertraglich zu "work loads" verpflichtet und erwerben
dafür in "Basis- und Profilmodulen" "credit
points", die sie gesamteuropäisch verrechnen können.
Das müssen wir in "Ergebnislisten" eintragen, die
wir "nachhalten".
Was die Forschung betrifft, so bilden wir hier "excellence
clusters". Wir wursteln nicht mehr in der "Individualforschung"
vor uns hin wie einst Luhmann, Bohrer oder Koselleck, sondern recherchieren
froh in Gruppen. Dabei kommen ungeheuer "praxisrelevante"
Ergebnisse heraus, und wir nehmen reichlich "Drittmittel"
ein. Wir werden einer "Kosten-Nutzen-Analyse" unterzogen,
und wenn wir recht nützlich und billig sind, freuen wir uns
über eine Leistungszulage.
Wenn ich da an unsere Zeit an der Technischen Universität
Berlin zurückdenke, so wird mir wie in dem Feenmärchen
der Frau d'Aulnoy, wo der Prinz Torticoli im verwunschenen Turm
die Glasmalereien betrachtet: "mais il n'y comprenoit rien,
car c'étoient des histoires qui étaient passées
depuis plusieurs siècles." Wie Zauberei kommt's mir
vor, daß Du alle Deine schönen Bücher, Deine gesamteuropäisch
preisgekrönte wissenschaftliche Prosa, ohne Internet und Computer
geschrieben hast, nur mit der Hilfe guter Feen und ihrer Schreibmaschine
(seltsames Ding), der Klinzfrau, der Schäferin und Frau Langer.
Deine europäische Bildung kam wundersamerweise aus alten Büchern
oder vom Anschauen oder Anhören und vom Reisen, und Dein Kommunikationsmittel
war der Brief, nicht die Ihmäil. Weder unternehmerisch noch
didaktisch hast Du Dich auch verhalten, und man muß sich wundern,
daß aus so vielen Deiner Schüler etwas geworden ist.
Du hast uns nur erzählt und vorgelesen, was an der europäischen
Literatur und Kunst schön und merkwürdig ist, hast alles
hergeschenkt ohne Vertrag und System, nicht nur in der Vorlesung,
auch an der Boulettenschmiede, auf den Exkursionen mit den Studenten
und bei Dir und Gabi zu Hause bis spät in die Nacht. "Power
Point" hast Du auch nicht gebraucht. Wo Schiller die Götter
Griechenlands vermutet, hast Du uns mit Kreide an die Tafel gezaubert.
Modern gesprochen, lieber Norbert, das war alles nicht effizient,
was wir damals getrieben haben, das war schiere Zeitverschwendung.
Hier in unserem schönen neuen europäischen Bildungsraum
verschwenden wir keine Zeit mehr. Aber als ob es das Werk jenes
Zauberers wäre, ist sie trotzdem perdu. Alle klagen über
Zeitmangel, während Du damals immer Zeit hattest, wenn einer
nicht weiterwußte. Kein Amt in den Gremien der Universität
war Dir zu schwierig, und auch die Fußballtermine mit den
Studenten hast Du nicht ausgelassen. Wir sind hier alle hoch motiviert
und reformwillig, wie es die weise Frau Buhlmann von uns verlangt;
merkwürdig nur, daß alle jammern und übellaunig
sind. Du dagegen hast nie geklagt, an unserem Doppelschreibtisch
gab es immer etwas zum Lachen, abgesehen nur von Deinen episodischen
bayerischen Wutanfällen, bei denen dann das Telephon an die
Wand flog, als wär's ein Frosch. Was ich damals etwas linkisch
ins Vorwort meiner Dissertation schrieb, obwohl Dir Danksagungen
immer peinlich waren, gilt nach wie vor: daß Du es warst,
der "mich gelehrt hat, daß sich Ernst und Heiterkeit,
Genauigkeit und Großzügigkeit, Rationalität und
Phantasie in der Wissenschaft so wenig ausschließen wie in
der Kunst".
Is it worth a tear, is it worth an hour,
To think of things that are well outworn?
Wie dem sei. Die Akademie, wie wir sie uns dachten, gibt es nicht
mehr. Uns aber soll die kleine, dünne Zeit niemals entzweien.
Wir wollen es halten wie der gute Hans Waldmann von Ror Wolf: "siehe
oben, lacht, wie abgemacht".
Alles Gute von Deinem
F.
Der Autor, Friedmar Apel, ist Professor für Literaturwissenschaft
an der Universität Bielefeld
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