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Oktober 2005
 
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Wie Zauberei kommt's mir vor ...

Friedmar Apel schreibt seinem Lehrer Norbert Miller zur Emeritierung

 
  Norbert Miller, TU-Professor für deutsche Philologie, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, wurde zum 30. September 2005 emeritiert
Foto: TU-Pressestelle

Education is an admirable thing.
But it is well to remember from time to time
that nothing that is worth knowing can be taught.

Lieber Norbert,

von einer neuen Insel der Seligen schreibe ich Dir, aus der Betonburg der interdisziplinären Innovation in Bielefeld. Das liegt in Ostwestfalen, also mitten im einheitlichen europäischen Bildungsraum der "Bologna-Erklärung". Da Du solche Dokumente nicht liest, weißt Du vermutlich nicht, daß dieser Raum die "unerläßliche Voraussetzung für gesellschaftliche und menschliche Entwicklung" ist. Diese Entwicklung findet als "Selbstmobilisierung" statt. Dafür stehen Netzwerke und Informations- und Kommunikationskanäle zur Verfügung. Wir verhalten uns unternehmerisch und unterwerfen uns der "permanenten Evaluation". So konnten wir an unserer Fakultät eine Menge Ballast abwerfen, wie die Altphilologie, die Romanistik und die Slavistik.

Die Studenten sind unsere "Kunden". Sie erwerben allerlei hermeneutische Waren und dazu "Schlüsselqualifikationen, soft skills, Kernkompetenzen", also schöne Fertigkeiten wie "methodisches Herangehen an Probleme, vernetztes Denken, Kreativität und Kommunikationsfähigkeit". Dafür müssen sie jetzt bezahlen. In ebenfalls entrümpelten gestuften Studiengängen werden sie in vorbildlicher "Power-Point-Didaktik" vertraglich zu "work loads" verpflichtet und erwerben dafür in "Basis- und Profilmodulen" "credit points", die sie gesamteuropäisch verrechnen können. Das müssen wir in "Ergebnislisten" eintragen, die wir "nachhalten".

Was die Forschung betrifft, so bilden wir hier "excellence clusters". Wir wursteln nicht mehr in der "Individualforschung" vor uns hin wie einst Luhmann, Bohrer oder Koselleck, sondern recherchieren froh in Gruppen. Dabei kommen ungeheuer "praxisrelevante" Ergebnisse heraus, und wir nehmen reichlich "Drittmittel" ein. Wir werden einer "Kosten-Nutzen-Analyse" unterzogen, und wenn wir recht nützlich und billig sind, freuen wir uns über eine Leistungszulage.

Wenn ich da an unsere Zeit an der Technischen Universität Berlin zurückdenke, so wird mir wie in dem Feenmärchen der Frau d'Aulnoy, wo der Prinz Torticoli im verwunschenen Turm die Glasmalereien betrachtet: "mais il n'y comprenoit rien, car c'étoient des histoires qui étaient passées depuis plusieurs siècles." Wie Zauberei kommt's mir vor, daß Du alle Deine schönen Bücher, Deine gesamteuropäisch preisgekrönte wissenschaftliche Prosa, ohne Internet und Computer geschrieben hast, nur mit der Hilfe guter Feen und ihrer Schreibmaschine (seltsames Ding), der Klinzfrau, der Schäferin und Frau Langer. Deine europäische Bildung kam wundersamerweise aus alten Büchern oder vom Anschauen oder Anhören und vom Reisen, und Dein Kommunikationsmittel war der Brief, nicht die Ihmäil. Weder unternehmerisch noch didaktisch hast Du Dich auch verhalten, und man muß sich wundern, daß aus so vielen Deiner Schüler etwas geworden ist. Du hast uns nur erzählt und vorgelesen, was an der europäischen Literatur und Kunst schön und merkwürdig ist, hast alles hergeschenkt ohne Vertrag und System, nicht nur in der Vorlesung, auch an der Boulettenschmiede, auf den Exkursionen mit den Studenten und bei Dir und Gabi zu Hause bis spät in die Nacht. "Power Point" hast Du auch nicht gebraucht. Wo Schiller die Götter Griechenlands vermutet, hast Du uns mit Kreide an die Tafel gezaubert.

Modern gesprochen, lieber Norbert, das war alles nicht effizient, was wir damals getrieben haben, das war schiere Zeitverschwendung.

Hier in unserem schönen neuen europäischen Bildungsraum verschwenden wir keine Zeit mehr. Aber als ob es das Werk jenes Zauberers wäre, ist sie trotzdem perdu. Alle klagen über Zeitmangel, während Du damals immer Zeit hattest, wenn einer nicht weiterwußte. Kein Amt in den Gremien der Universität war Dir zu schwierig, und auch die Fußballtermine mit den Studenten hast Du nicht ausgelassen. Wir sind hier alle hoch motiviert und reformwillig, wie es die weise Frau Buhlmann von uns verlangt; merkwürdig nur, daß alle jammern und übellaunig sind. Du dagegen hast nie geklagt, an unserem Doppelschreibtisch gab es immer etwas zum Lachen, abgesehen nur von Deinen episodischen bayerischen Wutanfällen, bei denen dann das Telephon an die Wand flog, als wär's ein Frosch. Was ich damals etwas linkisch ins Vorwort meiner Dissertation schrieb, obwohl Dir Danksagungen immer peinlich waren, gilt nach wie vor: daß Du es warst, der "mich gelehrt hat, daß sich Ernst und Heiterkeit, Genauigkeit und Großzügigkeit, Rationalität und Phantasie in der Wissenschaft so wenig ausschließen wie in der Kunst".

Is it worth a tear, is it worth an hour,
To think of things that are well outworn?

Wie dem sei. Die Akademie, wie wir sie uns dachten, gibt es nicht mehr. Uns aber soll die kleine, dünne Zeit niemals entzweien. Wir wollen es halten wie der gute Hans Waldmann von Ror Wolf: "siehe oben, lacht, wie abgemacht".

Alles Gute von Deinem
F.

Der Autor, Friedmar Apel, ist Professor für Literaturwissenschaft an der Universität Bielefeld

 

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