Das Einfache, das schwer zu machen ist
Orte der Erinnerung: Heinrich Tessenow, der Philosoph unter
den Architekten
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Heinrich Tessenows Grab auf
dem Waldfriedhof Dahlem
© Förster |
Vor 130 Jahren, am 7. April 1876, wurde Heinrich Tessenow geboren,
der als Philosoph unter den Architekten gilt. Im Herbst 1926 wurde
er an die Technische Hochschule Berlin berufen. Einer seiner Schüler
war Albert Speer. Obwohl er dessen Werk kritisch gegenüberstand,
fiel ein Schatten auch auf ihn. Aber Tessenow gehörte wie Hans
Poelzig oder Bruno Taut zu den Vertretern des "Neuen Bauens".
Ab 1933 galt er als Anhänger des "Kulturbolschewismus".
Heute scheint Tessenow vergessen, obwohl sein Werk manche aktuelle
Überraschung birgt. Die Architektur hatte für ihn neben
der ästhetischen immer auch eine soziale Komponente. Im Mittelpunkt
seines Bauens und Lehrens stand stets der Mensch mit seinen Bedürfnissen.
Effekt ohne Inhalt war im zuwider. Tessenow war ein Meister der
Klarheit, Einfachheit und Würde der Form.
Er entstammte einer Rostocker Handwerkerfamilie. Die traditionelle
Handwerksarbeit lag ihm lebenslang am Herzen. Nach einer Zimmermannslehre
im väterlichen Betrieb besuchte er 1896 bis 1898 die Bauschulen
in Neustadt und Leipzig. 1899 schrieb er sich als Gasthörer
an der TH München ein und verdiente sich den Lebensunterhalt
im Architekturbüro Martin Düfler. Von 1902 bis 1905 unterrichtete
er an mehreren Bauschulen und trat mit ersten Entwürfen in
der Fachpresse in Erscheinung. Auf Empfehlung von Hermann Muthesius
(TU
intern 4/2005) erhielt er eine Lehrerstelle an der neuen Handwerks-
und Kunstgewerbeschule Trier. 1907 erregte Tessenow mit dem Buch
"Zimmermannsarbeiten" erstes Aufsehen, 1909 erschien "Der
Wohnungsbau". Darin formulierte er sein Konzept der reinen
Sachlichkeit. Als Rezensent nannte Muthesius ihn einen "geborenen
Gestalter des kleinen Hauses".
Das war ein Wendepunkt in Tessenows Leben. Er wurde Assistent von
Professor Düfler an der TH Dresden und wirkte bis 1913 an der
ersten deutschen Gartenstadt in Hellerau bei Dresden mit, dem Mekka
der deutschen Reformarchitektur. 1913 berief ihn die Kunstgewerbeschule
in Wien. 1916 publizierte er "Der Hausbau und dergleichen"
- bis heute ein klassisches Lehrbuch der Architektur. 1919 ging
er zurück nach Dresden und erhielt den Lehrstuhl an der sächsischen
Kunstakademie. 1926 schließlich kam er nach Berlin.
Tessenows Lehrmethode war so ungewöhnlich wie modern. Er zeichnete
sich durch milde Hartnäckigkeit und humorgewürzte Rede
aus, monologisierte ungern, sondern bevorzugte das Gespräch.
Er ermunterte seine Studenten zu Rede und Gegenrede und vermittelte
die hohe Kunst des Fragens. Er lehrte, wie man welche Fragen warum
stellt oder stellen muss. Studentische Entwürfe, die er mit
"hiebsch" bezeichnete, galten als durchgefallen. Während
seiner Berliner Zeit gestaltete er die Neue Wache Unter den Linden
zum Mahnmal um. Dieses Projekt wurde arg geschmäht und zugleich
bewundert. Die rechte Presse warf ihm mangelnden Patriotismus, die
linke Avantgarde zu wenig Experiment vor. Zwar behielt er unter
der NS-Herrschaft bis 1941 seinen Lehrstuhl, aber er wurde immer
wieder angefeindet. Albert Speer schützte seinen alten Lehrer
gegen NS-Fanatiker. Nach 1945 beteiligte sich Tessenow aktiv am
Wiederaufbau und erhielt auch die Professur an der TU Berlin wieder.
Er starb am 1. 11. 1950. Bürgermeister Ernst Reuter sprach
am Grabe Tessenows, das, heute ein Berliner Ehrengrab, auf dem Waldfriedhof
Dahlem zu finden ist.
Hans Christian Förster
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