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Januar 2006
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Leere Kassen und soziale Gerechtigkeit

Pro & Contra: Soll das Land einen Teil der Studiengebühren für die Sanierung des Haushalts einbehalten?

In Deutschland ist die Debatte um Studiengebühren in vollem Gange, einige Bundesländer haben sie bereits beschlossen. Die Auseinandersetzung rankt sich auch um die mögliche Verwendung der Gelder. Hans N. Weiler, Professor für Erziehungswissenschaft und Politikwissenschaft an der kalifornischen Stanford University und ehemaliger Rektor der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder, kennt die Systeme in Deutschland und den USA und hat diverse Veröffentlichungen über Hochschulpolitik vorgelegt, sowie ein Diskussionspapier mit zwölf Empfehlungen für ein zukunftsfähiges deutsches Wissenschaftssystem. Dr. Thilo Sarrazin (SPD) ist seit 2002 Senator für Finanzen in Berlin. Schon oft ist er mit überraschenden und unbequemen Sparforderungen an die Öffentlichkeit getreten. Auch die Universitäten hat er im Blick. Er ist ein vehementer Befürworter von Studiengebühren. Nicht ganz uneigennützig. Einen Teil der Einnahmen will er für die Allgemeinheit einbehalten. TU intern befragte beide zum Thema Studiengebühren.

 
Thilo Sarrazin, Berlins Finanzsenator:
"Mit dem entsprechenden Elan kann man die Qualität auch ohne mehr Geld aus der Staatskasse verbessern."
Foto: Senatsverwaltung für Finanzen
 

Herr Dr. Sarrazin, nachdem in mehreren Bundesländern jetzt Studiengebühren beschlossen wurden, könnte Berlin in Zugzwang geraten. Der Wissenschaftssenator bleibt bei seiner Ablehnung. Welchen Vor- und Nachteil sehen Sie in der Einführung von Studiengebühren?

Ein vernünftig gestaltetes Gebührensystem hat aus meiner Sicht eigentlich nur Vorteile. Ich bin davon überzeugt, dass nur eine Leistung, die etwas kostet, auch kostenbewusst genutzt wird. Deshalb werden Studiengebühren dazu führen, dass insgesamt zielorientierter studiert wird und zügiger Abschlüsse erreicht werden. Das ist ein wichtiger Beitrag dazu, dass die hohen Ausgaben der Allgemeinheit für die Hochschulbildung effizient verwendet werden. Gebühren sind grundsätzlich auch gerecht, weil Akademiker in aller Regel bei ihrem späteren Einkommen stark von der Hochschulbildung profitieren. Ein Nachteil für Berlin könnte entstehen, wenn jetzt andere Länder Gebühren einführen und Berlin nicht: Dann könnten im Rahmen von Ausweichbewegungen viele Studienbewerber in die Stadt drängen. Das könnte den Numerus clausus so hoch treiben, dass kaum noch Berliner Abiturienten hier studieren könnten.

Hochschulexperten warnen davor, mögliche Gebühren an den Unis vorbeifließen zu lassen. Sie aber haben bereits mehrfach geäußert, dass das Geld auch der Allgemeinheit zugute kommen sollte, also in den allgemeinen Haushalt einfließen muss. Wie ist das zu begründen, und welche Anteile stellen Sie sich vor?

Es ist ganz klar, dass Studiengebühren zu spürbaren Verbesserungen in der Lehre verwendet werden müssen. Aber es ist auch klar, dass wir in Berlin eine extreme Haushaltsnotlage haben, und gleichzeitig im Vergleich zu den anderen Bundesländern besonders hohe Hochschulausgaben. Diese Situation muss man berücksichtigen - also mit einem Teil des Aufkommens auch die Allgemeinheit entlasten. Mit welchem Anteil, das wird man politisch entscheiden müssen.

Wie ist die Überlegung, das Geld aus den Studiengebühren nicht in voller Höhe den Universitäten zur Verbesserung der Lehre zu belassen, mit Ihrer Forderung nach Verbesserung der Kennzahlen zu vereinbaren, zum Beispiel der Forderung nach Verkürzung der Studienzeiten, Verbesserung des Betreuungsverhältnisses und Ähnlichem?

Einige Kennzahlen werden sich nach meiner Überzeugung schon durch die reine Existenz von Studiengebühren verbessern, etwa die Studiendauer. Und: Ein Teil des Aufkommens soll ja auch aus meiner Sicht zielgerichtet für Verbesserungen der Lehre verwendet werden. Grundsätzlich stehen wir aber in Berlin bei den Hochschulen genauso wie in allen Bereichen der öffentlichen Verwaltung vor ein und derselben Herausforderung: Wir geben sehr viel öffentliches Geld aus, aber wir erreichen damit im Vergleich zu anderen Bundesländern und international oft zu wenig. Also müssen wir die Qualität verbessern, ohne mehr Geld aus der Staatskasse auszugeben. Und ich bin überzeugt, dass wir das auch können. Viele in Berlin haben diese Notwendigkeit schon verstanden und gehen mit entsprechendem Elan zur Sache. Und die anderen sind hoffentlich auch bald dabei.


 

 
  Hans N. Weiler, Erziehungs- und Politikwissenschaftler:
"Der Staat darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen - doch auch Studiengebühren können sozial gerecht sein."
Foto: privat
Herr Prof. Weiler, Sie haben sowohl die rigorose Ablehnung von Studiengebühren in Deutschland als auch die Vorstellung von Studiengebühren als Allheilmittel einmal "bemerkenswert einfältig" genannt. Wieso?

Ich halte Studiengebühren nach wie vor für eine notwendige, aber nicht ausreichende Bedingung der Reform des deutschen Hochschulwesens.

Notwendig,

  • um den gesellschaftspolitischen Missstand zu beenden, dass Nicht-Akademiker mit ihren Steuern die kostenlose Ausbildung von langfristig besser gestellten Studierenden subventionieren;
  • um für Lehrende wie Lernende eine Dynamik von Angebot und Nachfrage und von einzulösenden Ansprüchen zu schaffen und
  • um die für eine Verbesserung von Lehre und Studienbetreuung dringend notwendigen zusätzlichen Ressourcen zu schaffen.

Nicht ausreichend, weil die derzeit in Deutschland erörterten Größenordnungen von Studiengebühren keines dieser drei Ziele angemessen erreichen und weil für eine wirkliche Hochschulreform in Deutschland noch einige andere Bedingungen erforderlich wären. Stichworte: Autonomie, Wettbewerb, Förderung der Spitzenforschung an den Hochschulen.

Ist es akzeptabel, wenn Studiengebühren in den Landeshaushalt einfließen, statt an die Uni direkt gezahlt zu werden, wie es in Berlin diskutiert wird?

Um die genannten Ziele zu erreichen, müssen die Mittel aus Studiengebühren den Hochschulen für die Gestaltung und Verbesserung ihres Lehrangebots zusätzlich zur Verfügung stehen. Mit der Verrechnung von Studiengebühren mit staatlichen Zuschüssen stiehlt sich der Staat aus seiner ohnehin unzulänglich eingelösten Verantwortung für die Zukunft des deutschen Hochschulwesens, und damit des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Wer dies in Zweifel ziehen will, schaue sich international vergleichende Daten zur Hochschulfinanzierung an.

Was können wir von den USA lernen? Gibt es Modelle, die übertragbar sind?

Vieles ist nicht übertragbar, aber über Folgendes lohnt sich nachzudenken:

  • Studiengebühren in den USA verhindern nicht einen sehr viel höheren Studierendenanteil als in Deutschland;
  • wenn man will, kann man auch mit sehr hohen Studiengebühren durch geeignete Fördermaßnahmen sozial gerecht umgehen, und
  • amerikanische Familien sind durchaus bereit, für eine hervorragende Ausbildung gutes Geld zu bezahlen - als Investition in einen lebenslangen Erwerbs- und Statusvorteil.

Die Fragen stellte Patricia Pätzold

 

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