Leere Kassen und soziale Gerechtigkeit
Pro & Contra: Soll das Land einen Teil der Studiengebühren
für die Sanierung des Haushalts einbehalten?
In Deutschland ist die Debatte um Studiengebühren in vollem
Gange, einige Bundesländer haben sie bereits beschlossen. Die
Auseinandersetzung rankt sich auch um die mögliche Verwendung
der Gelder. Hans N. Weiler, Professor für Erziehungswissenschaft
und Politikwissenschaft an der kalifornischen Stanford University
und ehemaliger Rektor der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder,
kennt die Systeme in Deutschland und den USA und hat diverse Veröffentlichungen
über Hochschulpolitik vorgelegt, sowie ein Diskussionspapier
mit zwölf Empfehlungen für ein zukunftsfähiges deutsches
Wissenschaftssystem. Dr. Thilo Sarrazin (SPD) ist seit 2002 Senator
für Finanzen in Berlin. Schon oft ist er mit überraschenden
und unbequemen Sparforderungen an die Öffentlichkeit getreten.
Auch die Universitäten hat er im Blick. Er ist ein vehementer
Befürworter von Studiengebühren. Nicht ganz uneigennützig.
Einen Teil der Einnahmen will er für die Allgemeinheit einbehalten.
TU intern befragte beide zum Thema Studiengebühren.
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Thilo Sarrazin,
Berlins Finanzsenator:
"Mit dem entsprechenden Elan kann man die Qualität
auch ohne mehr Geld aus der Staatskasse verbessern."
Foto: Senatsverwaltung für Finanzen |
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Herr Dr. Sarrazin, nachdem in mehreren Bundesländern jetzt
Studiengebühren beschlossen wurden, könnte Berlin in Zugzwang
geraten. Der Wissenschaftssenator bleibt bei seiner Ablehnung. Welchen
Vor- und Nachteil sehen Sie in der Einführung von Studiengebühren?
Ein vernünftig gestaltetes Gebührensystem hat aus meiner
Sicht eigentlich nur Vorteile. Ich bin davon überzeugt, dass
nur eine Leistung, die etwas kostet, auch kostenbewusst genutzt
wird. Deshalb werden Studiengebühren dazu führen, dass
insgesamt zielorientierter studiert wird und zügiger Abschlüsse
erreicht werden. Das ist ein wichtiger Beitrag dazu, dass die hohen
Ausgaben der Allgemeinheit für die Hochschulbildung effizient
verwendet werden. Gebühren sind grundsätzlich auch gerecht,
weil Akademiker in aller Regel bei ihrem späteren Einkommen
stark von der Hochschulbildung profitieren. Ein Nachteil für
Berlin könnte entstehen, wenn jetzt andere Länder Gebühren
einführen und Berlin nicht: Dann könnten im Rahmen von
Ausweichbewegungen viele Studienbewerber in die Stadt drängen.
Das könnte den Numerus clausus so hoch treiben, dass kaum noch
Berliner Abiturienten hier studieren könnten.
Hochschulexperten warnen davor, mögliche Gebühren
an den Unis vorbeifließen zu lassen. Sie aber haben bereits
mehrfach geäußert, dass das Geld auch der Allgemeinheit
zugute kommen sollte, also in den allgemeinen Haushalt einfließen
muss. Wie ist das zu begründen, und welche Anteile stellen
Sie sich vor?
Es ist ganz klar, dass Studiengebühren zu spürbaren Verbesserungen
in der Lehre verwendet werden müssen. Aber es ist auch klar,
dass wir in Berlin eine extreme Haushaltsnotlage haben, und gleichzeitig
im Vergleich zu den anderen Bundesländern besonders hohe Hochschulausgaben.
Diese Situation muss man berücksichtigen - also mit einem Teil
des Aufkommens auch die Allgemeinheit entlasten. Mit welchem Anteil,
das wird man politisch entscheiden müssen.
Wie ist die Überlegung, das Geld aus den Studiengebühren
nicht in voller Höhe den Universitäten zur Verbesserung
der Lehre zu belassen, mit Ihrer Forderung nach Verbesserung der
Kennzahlen zu vereinbaren, zum Beispiel der Forderung nach Verkürzung
der Studienzeiten, Verbesserung des Betreuungsverhältnisses
und Ähnlichem?
Einige Kennzahlen werden sich nach meiner Überzeugung schon
durch die reine Existenz von Studiengebühren verbessern, etwa
die Studiendauer. Und: Ein Teil des Aufkommens soll ja auch aus
meiner Sicht zielgerichtet für Verbesserungen der Lehre verwendet
werden. Grundsätzlich stehen wir aber in Berlin bei den Hochschulen
genauso wie in allen Bereichen der öffentlichen Verwaltung
vor ein und derselben Herausforderung: Wir geben sehr viel öffentliches
Geld aus, aber wir erreichen damit im Vergleich zu anderen Bundesländern
und international oft zu wenig. Also müssen wir die Qualität
verbessern, ohne mehr Geld aus der Staatskasse auszugeben. Und ich
bin überzeugt, dass wir das auch können. Viele in Berlin
haben diese Notwendigkeit schon verstanden und gehen mit entsprechendem
Elan zur Sache. Und die anderen sind hoffentlich auch bald dabei.
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Hans N. Weiler,
Erziehungs- und Politikwissenschaftler:
"Der Staat darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen
- doch auch Studiengebühren können sozial gerecht
sein."
Foto: privat |
Herr Prof. Weiler, Sie haben sowohl die rigorose Ablehnung von
Studiengebühren in Deutschland als auch die Vorstellung von Studiengebühren
als Allheilmittel einmal "bemerkenswert einfältig"
genannt. Wieso?
Ich halte Studiengebühren nach wie vor für eine notwendige,
aber nicht ausreichende Bedingung der Reform des deutschen Hochschulwesens.
Notwendig,
- um den gesellschaftspolitischen Missstand zu beenden, dass
Nicht-Akademiker mit ihren Steuern die kostenlose Ausbildung von
langfristig besser gestellten Studierenden subventionieren;
- um für Lehrende wie Lernende eine Dynamik von Angebot
und Nachfrage und von einzulösenden Ansprüchen zu schaffen
und
- um die für eine Verbesserung von Lehre und Studienbetreuung
dringend notwendigen zusätzlichen Ressourcen zu schaffen.
Nicht ausreichend, weil die derzeit in Deutschland erörterten
Größenordnungen von Studiengebühren keines dieser
drei Ziele angemessen erreichen und weil für eine wirkliche
Hochschulreform in Deutschland noch einige andere Bedingungen erforderlich
wären. Stichworte: Autonomie, Wettbewerb, Förderung der
Spitzenforschung an den Hochschulen.
Ist es akzeptabel, wenn Studiengebühren in den Landeshaushalt
einfließen, statt an die Uni direkt gezahlt zu werden, wie
es in Berlin diskutiert wird?
Um die genannten Ziele zu erreichen, müssen die Mittel aus
Studiengebühren den Hochschulen für die Gestaltung und
Verbesserung ihres Lehrangebots zusätzlich zur Verfügung
stehen. Mit der Verrechnung von Studiengebühren mit staatlichen
Zuschüssen stiehlt sich der Staat aus seiner ohnehin unzulänglich
eingelösten Verantwortung für die Zukunft des deutschen
Hochschulwesens, und damit des Wirtschaftsstandorts Deutschland.
Wer dies in Zweifel ziehen will, schaue sich international vergleichende
Daten zur Hochschulfinanzierung an.
Was können wir von den USA lernen? Gibt es Modelle, die
übertragbar sind?
Vieles ist nicht übertragbar, aber über Folgendes lohnt
sich nachzudenken:
- Studiengebühren in den USA verhindern nicht einen sehr
viel höheren Studierendenanteil als in Deutschland;
- wenn man will, kann man auch mit sehr hohen Studiengebühren
durch geeignete Fördermaßnahmen sozial gerecht umgehen,
und
- amerikanische Familien sind durchaus bereit, für eine
hervorragende Ausbildung gutes Geld zu bezahlen - als Investition
in einen lebenslangen Erwerbs- und Statusvorteil.
Die Fragen stellte Patricia Pätzold
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