Wie geht's denn nun weiter mit dem WIP?

Wissenschaftssenator Erhardt: "Notfalls muß das Land auch alleine ein Anschlußprogramm finanzieren."


Ende kommenden Jahres wird das Wis-
senschaftler-Integrations-Programm (WIP)
auslaufen. Das Programm, über das seit
1994 Wissenschaftler der ehemaligen
Akademie der Wissenschaften der DDR
beschäftigt werden, bewegt allerdings
schon jetzt die Gemüter. Wie wird es wei-
tergehen? Wird es ein weiteres Programm
geben, oder werden die WIPianer auf sich
alleine gestellt sein? Diskutiert wurden
diese Fragen auf einer Veranstaltung der
Gewerkschaft Erziehung und Wissen-
schaft (GEW) Anfang Dezember an der
Humboldt-Universität. Wie das Treffen
verlief, beschreibt Karl Schwarz, Hoch-
schulplaner an der TU Berlin:

Deutliche Worte fand Wissenschaftssenator Manfred Erhardt zum Wissenschaftler-Integrations-Programm und dessen Zukunftsperspektiven: "Notfalls muß das Land auch alleine ein Anschlußprogramm finanzieren". Jedenfalls werde er sich dafür einsetzen, erklärte Wissenschaftssenator Erhardt im bis auf den letzten Platz gefüllten Auditorium Maximum der Humboldt-Universität zu Berlin am 5. Dezember.

ERHARDT: DAUERHAFTE INTEGRATION

Sein mit Leidenschaft, außerordentlicher Bestimmtheit und Konsequenz vorgetragenes Plädoyer für eine Verteidigung der ursprünglichen Intentionen des WIP-Programmes - also der dauerhaften Integration der Wissenschaftler des Akademiebereiches der ehemaligen DDR in die Universitäten - ließ all jene blaß aussehen, die mit Pseudoaktivitäten von den Dimensionen und dem Ernst des Problems ablenken.


Rund 120 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der TU Berlin sind im Rahmen des WIP beschäftigt, unter anderem am Fachbereich Chemie

Eingeladen hatte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Mit am Tisch saß eine ganze Riege von Staatssekretären und Behördenvertretern aus den neuen Bundesländern. Im Publikum: Vertreter der großen Wissenschaftsorganisationen und der politischen Bundesebene.

Manche schienen ob der Konsequenz der Position des Senators schier fassungslos. Vizepräsident Väth von der Freien Universität bekannte, daß seine politische Phantasie einfach nicht ausreiche, um sich in der gegenwärtigen Situation ein finanzielles Engagement des Landes zur Fortführung des WIP-Programmes vorzustellen. Die Präsidentin der Humboldt-Universität, Marlies Dürkop, sprach noch vom Problem der "Ketten-Arbeitsverträge" als der Senator bereits klar gestellt hatte, daß es ihm um eine Dauerfinanzierung auf Dauerstellen für die WIPianer gehe. Der Vertreter der Bund-Länder-Kommission, der schon am Vormittag hatte wissen lassen, daß er eine Beendigung des WIP-Programmes nicht nur für unausweichlich halte, sondern auch wünsche, schien nicht begreifen zu wollen: Das Wort "auf Dauer" habe ihn "elektrisiert"; das könne doch nicht ernst gemeint sein, erläuterte er.

ALTERNATIVEN ZUM PROGRAMM

Die Riege der Staatssekretäre aus den neuen Ländern bot dazu den Begleitchor: Als "Alternative" zur Fortführung des Programms wurden ganze Bündel unterschiedlichster Maßnahmen - bis hin zu ABM-Beschäftigungsverhältnissen - präsentiert, geschmückt mit hochgestochenen Begriffen wie "Modelle", "differenzierte Lösungen": Maßnahmen, deren Finanzierung im einzelnen so offen blieb wie die Finanzierung des Gesamtprogramms und von denen nur sicher ist, daß der notwendige Auswahl-, Evaluations- und überhaupt Verwaltungsaufwand zu ihrer Umsetzung dafür sorgen wird, daß sich jedenfalls ein Teil des Problems bürokratisch liquidiert.

Senator Erhardt wich gegenüber dieser nahezu geschlossenen Phalanx nicht nur nicht zurück. Er nutzte die ihm entgegengehaltenen Stichworte zur weiteren Verdeutlichung seiner Position, und plötzlich erhielt die Auseinandersetzung um die Zukunft des WIP-Programmes eine grundsätzliche Dimension, wurde der Blick frei auf Fragen der politischen Glaubwürdigkeit, der Konseqenz im politischen Handeln, der notwendigen Konsistenz und Offenheit intellektuellen Argumentierens. Und dies alles vor dem Hintergrund der Frage nach unser aller Umgang mit den Problemen des Prozesses der deutschen Einigung.

WARNUNG VOR ILLUSIONEN

Er sei dagegen, dem Problem dadurch auszuweichen, daß man die WIPianer an neue "Integrationsadressen" verweise. Das Problem sei da zu lösen, wo es sich nach den Intentionen des Programmes stelle, an den Hochschulen, so Erhardt. Er warnte vor den Illusionen, das Problem über Projektfinanzierungen lösen zu können. Insbesondere biete das aktuell als Teil-Lösung gehandelte neue Hochschulsonderprogramm mit einem angedachten Programm zur Förderung "innovativer Forschung" im Umfange von 100 Millionen DM für drei Jahre "quantitativ wie strukturell" keine Lösung.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) sei "ein elitärer Verein, zu Recht" und werde ihre Förderbedingungen nicht an die besondere Problemlage der WIPianer anpassen, so Erhardts Einschätzung. Die Hochschulen könnten das Problem nicht im Rahmen ihrer Haushalte lösen. Eine Lösung gebe es daher nur über eine auf Dauer angelegte, entsprechend der "biologischen Kurve" rückführbare Sonderfinanzierung der WIP-Wissenschaftler an den Universitäten durch den Staat. Sollte es nicht zu einer solchen Lösung kommen, werde die erklärte Intention des Programmes scheitern. Ein erheblicher Teil der WIPianer werde in die Arbeitslosigkeit entlassen. Ein Versprechen, das ihnen auch als Personen gegeben wurde, werde gebrochen. Das im übrigen "erfolgreiche Programm der Überleitung des wissenschaftlichen Potentials des ehemaligen Akademiebereiches der DDR" erhalte "eine Delle". Wer aus seinen Hinweisen auf Erfolge der fachlichen Integration eine Distanzierung von unausgesprochenen Stimmungen und Stimmungsmachen im Hintergrund der Auseinandersetzungen heraushören wollte, konnte dies tun.

Dem allen kann auch aus Sicht der TU nur hinzugefügt werden: So ist es! (zur Lage an der TU Berlin lesen Sie unseren Beitrag "WIP an der TU Berlin")

Der Auftritt des Berliner Wissenschaftssenators auf dem Forum der GEW war auch deshalb faszinierend, weil mit ihm die ganz grundsätzliche Frage gestellt ist: Wo befinden wir - Staat und Gesellschaft - uns eigentlich - politisch, moralisch, intellektuell? Ist es noch möglich, daß sich eine politische Position allein auf Grund ihres fachlichen Gewichtes, ihrer argumentativen Stringenz und ihrer moralischen Konseqenz durchzusetzen vermag? Eine Position, deren Betroffenen-Bataillone von (relativ) geringer Zahl sind und denen mächtigste Finanzinteressen entgegenstehen?

Wenn dieser Auftritt Senator Erhardts ein Schwanengesang war, so jedenfalls ein überzeugender. Einer, der Mut gemacht hat - für das Anliegen des WIP-Programmes, wie, im angesprochenen Sinne und trotz allem, darüber hinaus.

Karl Schwarz


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