Holger Eisele: Die TU Berlin schafft es nicht, ihr grundlegendes Profil nach außen zu tragen
März 96: zweitausend frierende Studierende stehen vor dem Roten Rathaus mit Plakaten gegen den Sozialabbau in der Bildungspolitik und gegen die letzten unsinnigen Streichpläne Erhardts, die der seit sechs Wochen im Amt befindliche Senat für das Nonplusultra hält. Derweil wird in der Präsidialetage der TU Berlin darüber nachgedacht, wie dieser Bruch in der Wissenschaftslandschaft zu verkraften sein wird. Gegen das Herausnehmen wichtiger Verbindungswissenschaften aus dem Fächerspektrum findet auch der Präsident keinen Kitt. Anderswo in der TU Berlin reibt man sich die Hände, endlich wird man Teile dieser Linken los, endlich wird sie wieder im alten Stil vergleichbar mit den so ruhmhaften Universitäten, wie der TU München, der Uni Karlsruhe, der - oh, äh - TH Darmstadt, RWTH Aachen, ein politischer Pyrrhussieg! Im folgenden einige Meinungen, die aus meiner Sicht das Bild der Situation an der TU Berlin widerspiegeln. Sollten sie nicht wie beschrieben zutreffen, so würde es mich freuen.
Es ist schon bezeichnend, daß es die TU Berlin nach zwei Jahren Hochschulentwicklungsplan III (HEP III) immer noch nicht schafft, ihr grundlegendes Profil nach außen zu tragen. Warum werden die fünf Säulen der TU Berlin nicht gleichermaßen gegenüber der Außenwelt, den anderen Universitäten im Berlin-Brandenburgischen Raum und der Politik kompetent vertreten? Es lassen sich zwei Bruchstellen aufzeigen: Der Präsident, ein Naturwissenschaftler klassischster Art, kann sich nicht in die Verteidigungsrolle finden, da ihm die geistes- und sozialwissenschaftlichen Bereiche der TU Berlin mit ihren Methoden unheimlich erscheinen und er die Argumente, die die Grundlage dieser Wissenschaften in der TU Berlin begründen, nicht verinnerlichen kann. Er stellt keine Integrationsfigur an der Spitze dar, die vereint die Kräfte von unten nach außen tragen kann. Nein, er läßt wesentliche Teile der TU Berlin auf diesem Wege einfach liegen. Der zweite Bruch zeigt sich in Gestalt einer Anzahl von Professoren, hauptsächlich Ingenieure und Naturwissenschaftler, die von sich glauben, die Wahrheit zu verkörpern, die den Studierenden pauschal bescheinigen, sie seien kleine, dumme Kinder, die keine Ahnung haben und denen man mit harten Methoden die harte Wissenschaft beibringen müsse. Sie lassen keine Gelegenheit aus, die TU Berlin "mies" zu machen, anstatt sie in ihrer Gesamtheit nach außen darzustellen, zu stärken und zu verteidigen. Nur weil ihnen der Mehrheitswille nicht paßt und sie die Diskussionsmethoden innerhalb der TU Berlin und ihren Gremien verabscheuen, wird innerhalb und außerhalb "geplärrt". Beleidigung und Frustration, die aus einem veralteten Wissenschaftsweltbild rühren, werden teilweise bis zur Unmöglichkeit geprobt. Wenn ihnen die Reise des Tankers nicht paßt, warum nicht aussteigen, noch ist die TU Berlin nicht der Nabel der Welt.
HEP III BLEIBT DIE GRUNDLAGE
Die Grundlage der TU-internen Entwicklungsplanung ist und bleibt der HEP III, mit den fünf Wissenschaftsbereichen Ingenieur-, Planungs- und Sozial-, Natur-, Geistes- und Erziehungswissenschaften. Eines der Bindeglieder ist die integrierte Lehrerbildung. Woher soll die TU Berlin ihr Potential an Studienanfängerinnen und Studienanfängern nehmen, wenn sie kein humanistisches Technikbild in die Schulen hineinträgt, gerade, aber nicht nur, in Gestalt der naturwissenschaftlichen Fächer? Auf der anderen Seite: Für was wollen wir ausbilden, wenn wir die zukünftigen Problemfelder der Industriegesellschaft, Ernährung, Umwelt und Techniksoziologie nicht kompetent bearbeiten? Sogar die neuen wissenschaftlichen Arbeitsfelder Demontage und Abbau sind bereits heute hier vertreten. Man kann mit etwas Selbstbewußtsein sogar behaupten, die TU Berlin sei hier führend. Das mit HEP III festgelegte Fächerspektrum bietet die Möglichkeit, diesen Kurs im verzahnten Zusammenspiel der einzelnen Wissenschaften zu fahren; nimmt man ein Antriebsteil heraus, so entsteht Schaden. Das Ziel und der grobe Kurs des Tankers sind damit klar bestimmt.
Schließt sich die Frage nach dem Treibstoff an: Die Finanzierung der TU Berlin ist seit Jahren immer unsicherer geworden, jegliche Planungssicherheit seitens der Politik wurde spätestens nach einem halben Jahr aufgekündigt. Kürzen an der Zukunft, die heute beginnt. Doch welche Lösungsansätze kann man den Gremien momentan noch vorschlagen? Es gibt nur noch einen Ausweg: Die TU Berlin muß der Politik plakativ aufzeigen, welchen Schaden weitere konzeptlose Einsparungen hinterlassen. Der Akademische Senat sollte im Rahmen der anstehenden Einstellung weiterer Studiengänge solche vorschlagen, die sich als die "Säulen der Universität" begreifen, aufgrund veralteter Studienordnungen aber kaum Ausbildungsleistung bringen und die innerhalb der TU Berlin subventioniert werden: (klassische) Elektrotechnik, (klassischer) Maschinenbau und Chemie. Die Streichung dieser Studiengänge wäre ein Schaden, den auch die Politik sehen würde. Bei den bisher von ihr immer wieder zur Streichung vorgeschlagenen Studiengängen übersieht sie dies gerne. Obwohl die Schäden teilweise größer wären, würde man ein Leistungsprinzip bei der Beurteilung von Studiengängen zu Grunde legen.
KNAPPE FINANZLAGE
Auf der anderen Seite steht der Umgang mit der knappen Finanzlage. Hier muß sich Grundlegendes ändern. Das Versagen der Leitungsebene der TU Berlin im Kuratorium am 13. Dezember letzten Jahres, z. B. die klägliche Antwort des Kanzlers auf die Frage des Senators, was denn mit den elf Millionen DM passiert sei, die die TU Berlin aus den Sonderprogrammen für die Studienreform in den laufenden Haushalt eingestellt bekam, zeugt von Ignoranz gegenüber den inneruniversitären Beschlußlagen.
Ein Heizer, der die Kohlen vor dem Kessel verbrennt, wird den Tanker nicht aus dem Hafen bringen. Es gibt zwei mögliche Wege aus diesem Dilemma: Der Kanzler akzeptiert den politischen Willen der TU-Gremien und setzt ihn haushaltstechnisch um, oder die Gremien zwingen ihn, den Haushalt komplett offen zu legen. Der HEP III ist bis heute nicht im Haushaltsplan 1996 wiederzufinden, 1994 wurden ca. neun Millionen DM im Bereich des wissenschaftlichen Personals und der Mittel für Lehre und Forschung gegenüber dem Haushaltsplan nicht ausgegeben. [Zur Verwendung der Haushaltsmittel lesen Sie auch den Beitrag "Brief an den Senator" Hinweis d. Red.] Blankensee, die ausbleibende Reform der zentralen Universitätsverwaltung, vor allem des Personalwesens und der Abteilung für Bau- und technische Angelegenheiten, das Vergessen der 50-Jahr-Feier, diverse Bau- und bauerhaltende Projekte, summa summarum viele Bereiche, wo sich der Kanzler dem Willen der TU Berlin offensichtlich entgegenstellt. Verwaltung ist Dienstleistung für die Wissenschaft und nicht ihre politische Führung, die gehört in die Gremien. Und wo die Verwaltung diese Forderungen an sie nicht erfüllt, muß sie abgeschafft und durch etwas Besseres ersetzt werden. Doch wo bleiben die Mahnenden auf allen Seiten, die der Machtwirtschaft in der TU Berlin entgegentreten. Oder ist sie vielleicht einer Seite genehm?
ABSTRUSE ANFORDERUNGEN
Ein weiteres Problem ist die Tatsache, daß von politischer Ebene immer mehr und abstrusere Anforderungen an ein wissenschaftliches Studium gestellt werden. Unpraktikable Gesetzesvorgaben, wie Zwangsberatung, Freischußregelungen, Einschränkungen von Regelstudienzeiten und der penetrante Regelungsbedarf durch bundesweite Rahmenvorgaben, bringen die TU Berlin und an dieser Stelle ihre Fachbereiche in eine Situation der juristischen Überregelung. Die Fachbereiche sind nicht mehr in der Lage, die Vorgaben profilbildend und gestalterisch in lesbare und juristisch korrekte Studien- und Prüfungsordnungen umzusetzen. An Studien- und Prüfungsordnungen wird nur noch nach äußeren Vorgaben herumgeflickt, eine Neuorientierung innerhalb der Studiengänge bleibt aus. Zukunftsorientierte Anforderungen an Absolventinnen und Absolventen bleiben auf der Strecke. Die Studierbarkeit innerhalb der Regelstudienzeit wird weitgehend untergraben. Um dies zu verhindern, muß den Fachbereichen kompetente Hilfe bei der formalen Erarbeitung neuer Studien- und Prüfungsordnungen an die Hand gegeben werden. Dies kann entweder durch eine neue Musterordnung geschehen, die formal große Textpassagen vorgibt, oder besser durch eine TU-Rahmenordnung mit fachspezifischen Teilen in Form von Ergänzungen für die einzelnen Studiengänge.
Bleibt die Frage nach der Qualität des hauptamtlich wissenschaftlichen Personals, insbesondere der Professoren. In der Karriereleiter zum Professor wird in weiten Bereichen lediglich die Forschungsleistung beurteilt, es gibt sogar noch Habilitationsordnungen, die keine vernünftige Überprüfung der Lehrqualifikation vorschreiben. Fälschlicherweise wurde vor kurzem in dieser Zeitung sogar noch behauptet, ausschließlich die Forschungsleistung wäre bei einer Habilitation ausschlaggebend, doch hier sei an das Berliner Hochschulgesetz erinnert. Eine Leistungskontrolle muß endlich Einzug in die Lehre der Professoren halten. Marketingfachleute müßten eigentlich sofort die entsprechende Kundenbefragung bereitstellen, das Personalmanagement müßte Umgangsweisen und Schulungsprogramme ausarbeiten. Nein, wir haben Spitzenlehrer hier und da in der TU Berlin, aber auch eine ganze Reihe solcher, denen man besser keine Studierenden anvertraut. Studierende, die in Prüfungen keine Leistung bringen, werden nach dem dritten Versuch exmatrikuliert. Wo sind die Prüfungen für die Lehrenden?
MENSCHEN, DIE DIE TU BERLIN LIEBEN
Es gibt noch viele weitere Themen, die die TU Berlin in nächster Zeit bewegen müssen, die Verwaltungsvereinfachung, die Frage nach neuen Lehrveranstaltungskonzepten, die Profilschärfung vieler Bereiche, die Frage nach der Außenrepräsentation, das Bau-, Raum- und Mietenproblem, um nur einige zu nennen. Das Bild der TU Berlin als Tanker soll zu Diskussionen anregen und die am Geschehen Beteiligten zum Nachdenken anregen. Die TU Berlin ist auf einem guten Weg, die angesprochenen Probleme in der Zukunft zu bewältigen, vielleicht sogar auf dem Besten. Sie ist eine der wenigen Universitäten der Bundesrepublik Deutschland, in der die Studierenden, die Masse der Mitglieder, überhaupt eingebunden sind. Sie hat Menschen, die an ihr arbeiten und die sie lieben, mit all ihrer Persönlichkeit, ganz im Sinne von Major-General E. P. Nares.
Holger Eisele, Fachbereich 4 Physik, ehem. student.Mitglied im Kuratorium
[TU Berlin] [Pressestelle] [TU intern] [Februar '96]