[TU Berlin] Medieninformation Nr. 285 - 11. Dezember 1998
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Die das Wasser reinhalten

TU-Wissenschaftler helfen beim Umweltschutz in Lateinamerika

In vielen Ländern Lateinamerikas steckt der Umweltschutz und die wissenschaftliche Untersuchung von Umweltverschmutzungen noch in den Kinderschuhen. Ungehemmt werden Abwässer in Flüsse und Seen geleitet, eine langfristig und sorgsam geplante Wasserwirtschaft findet nur selten statt. Ein Umdenken in den Länder dieser Region zeichnet sich allerdings ab. Zahlreiche Projekte wurden initiiert, um Know-how und Erfahrungen der europäischen Experten den Wissenschaftlern aus Lateinamerika zur Verfügung zu stellen. Am Fachgebiet Wasserreinhaltung der TU Berlin, das von Prof. Dr.-Ing. Martin Jekel geleitet wird, laufen derzeit sechs Vorhaben. Miteinbezogen sind auch TU-Studierende des Fachgebiets, die in den Projekten in Chile und Ecuador vor Ort Experimente durchführen.

Eine leichte Brise weht durch das Schilf. Die Sonne spiegelt sich im Wasser des San Pablo Sees, im Hintergrund ragen majestätisch die Anden hervor. Eine wahrlich malerische Idylle, die sich da in 2.700 Metern Höhe präsentiert. Doch der Eindruck täuscht, der größte See Ecuadors ist durch Abwassereinleitungen stark belastet. Gut 20.000 Menschen leben im Einzugsgebiet des Sees. Das Wasser wird im Grunde für alles genutzt, von der Bewässerung der landwirtschaftlich genutzten Böden bis hin zum Waschen und Baden. Alles Abwasser wird ungefiltert in den San Pablo See eingeleitet. "Dies ist umso bedenklicher, da das Wasser auch zur Trinkwasserversorgung dient", sagt Dr. Günter Gunkel. Der Privatdozent am Fachgebiet Wasserreinhaltung der TU leitet das Forschungsprojekt zur Untersuchung des Sees, das gemeinsam von der TU Berlin und der Escuela Politécnica Nacional de Quito durchgeführt wird.

Das Forschungsvorhaben stand zunächst vor einem erheblichen Problem: Es konnte auf keinerlei früher gemessene Daten zurückgegriffen werden. Untersuchungen zur Gewässerökologie wurden dort noch nie durchgeführt. Hinzu kommt, daß die Kenntnisse von europäischen Gewässern nicht übertragbar sind. "Im europäischen Winter sind quasi keine Organismen im Gewässer. In dieser Region Lateinamerikas gibt es dagegen keinen Unterschied zwischen den Jahreszeiten. Das hat Konsequenzen, ebenso wie die Höhenlage des Sees. Die ganze Chemie und die Physik des San Pablo Sees sind anders, als wir es von europäischen Seen kennen", erläutert Gunkel.

Daher mußten zunächst Basisdaten erhoben werden, um festzustellen, welche Organismen im Gewässer leben. Denn auch die Gewässerverunreinigungen können die Wissenschaftler erst dann genau beschreiben, wenn sie wissen, wer oder was überhaupt im See vorkommen könnte. Die Aufgabe, die Biologie des Sees zu erkunden, übernahmen u. a. Studierende des TU-Fachgebiets. Seit einem Jahr sind fast permanent studentische Arbeitsgruppen am San Pablo See. Zur Zeit sind es sechs Studierende, die in zwei Gruppen arbeiten. Die eine Gruppe sammelt Proben im See und bearbeitet diese vor Ort bzw. in den Laboren der Politécnica in Quito. Die andere untersucht den Wasserhaushalt im Einzugsgebiet. Möglich wurden die drei- bzw. fünfmonatigen Aufenthalte durch die Unterstützungen durch das Amt für Außenbeziehungen der TU Berlin und bei einer Projektgruppe auch durch die Gesellschaft von Freunden der TU.

Die Mitarbeiter des Forschungsvorhabens haben inzwischen erste Organismen bestimmt und chemische Daten ermittelt. Das bisherige Fazit ist ernüchternd: Mit der derzeitigen Wasserqualität ist eine Nutzung als Badegewässer oder als Wassersportgebiet ausgeschlossen. Dies ist auch deshalb von Bedeutung, weil in der Region Hotel- und Wassersportanlagen entstehen sollen. Ecuador ist besonders bei Rucksacktouristen und Pauschalreisenden beliebt, die neben einem Abstecher zu den Galapagos-Inseln auch das Festland besuchen. Wenn das Projekt, vermutlich im Jahr 2001, abgeschlossen sein wird, soll eine komplette Dokumentierung vorliegen. "Darin wird deutlich werden, daß Regierung etwas für die Abwasserentsorgung tun muß", sagt Gunkel. Er empfiehlt den Bau eines Abwasser-Ringkanals und den stufenweisen Aufbau einer Kläranlage.

Vermeidung von Abfall und Abwasserverschmutzung beim Ledergewerbe

Ein anderes Problem in Ecuador, aber auch in Chile, sind die Umweltbelastungen durch die Le-derindustrie. In beiden Staaten ist dieser Zweig ein bedeutendes Gewerbe, zugleich aber auch ein großer Umweltverschmutzer. Im Rahmen eines EU-Projekts befassen sich die TU-Forscher um Professor Jekel mit der Abwasserverschmutzung durch das Ledergewerbe. Beteiligt sind die Universidad de Concepcion, die Universidad de la Frontera in Temuco (beide Chile), die Escuela Politécnica Nacional in Quito (Ecuador), die Universidad Santiago de Compostela (Spanien), die Montanuniversität Leoben (Österreich) sowie die TU Berlin. In dem Projekt geht es nicht nur die Untersuchung der Abwasserverschmutzung, sondern auch um die Abfälle, die beim Gerben der Felle entstehen. "Alles was an den Häuten noch dranhängt, wie etwa Fette, Bindegewebe oder Knochenreste, wird abgetrennt - entweder chemisch, dann landet dieser Rest in Abwasser, oder mechanisch. Damit passiert nichts mehr, es ist Restmüll", sagt Dr.-Ing. Thorsten Reemstma, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Wasserreinhaltung. Die entscheidende Frage ist nun: Wie kann man diese Stoffe wiederverwenden und dadurch den Abfall reduzieren, zum Beispiel als Düngemittel für die Land- und Forstwirtschaft oder durch Kompostierung? Daneben untersuchen die Wissenschaftler am Fachgebiet Wasserreinhaltung natürliche und organische Gerbstoffe als Alternativen zum häufig verwendeten Chrom. Ursprünglich hatte man in der Lederindustrie pflanzliche Gerbstoffe wie Eichenrinde eingesetzt, bis diese im Laufe der Industrialiserung durch das Chrom verdrängt wurden. Mit diesem Stoff kann das Leder wesentlich schneller und besser gegerbt werden. "Es stellte sich aber heraus, daß Chrom äußerst ungesund ist, nämlich krebserregend. Dem versuchte man zu begegnen, indem man andere, weniger giftige Chrom-Verbindungen einsetzt. Das Chrom kommt natürlich weiterhin ins Abwasser. Mittlerweile gibt es aber eine Reihe von Arbeiten, die sich mit der Chromentfernung aus dem Abwasser beschäftigt haben", erzählt Reemstma. Im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 193 "Biologische Behandlung gewerblicher und industrieller Abwässer", dessen Sprecher Professor Jekel ist, haben sich TU-Wissenschaftler ebenfalls mit dem Thema auseinandergesetzt und insbesondere synthetische Gerbstoffe untersucht. Diese sind nach heutigem Wissen ungiftig, aber sie können auch nicht mit biologische Methoden aus dem Abwasser entfernt werden. Weiteren Alternativen müssen nun in dem Projekt in Lateinamerika geprüft und daraus später ein Konzept zur Verringerung der Umweltbelastung entwickelt werden.

Ein Stausee mit wenig Wasser und viel Vegetation, die nicht verrotten will

In Brasilien sieht es etwas anderes aus. Im Gegensatz zu Ecuador oder Chile sind dort Umweltpolitik und Gewässerökologie weit entwickelt. Dafür tun sich andere Schwierigkeiten auf. Am Beispiel des ältesten Stausees von Amazonien/Brasilien, dem 20 Jahre alten und 80 Kilometer langen Curúa-Una, untersucht ein interdisziplinäres Forschungsvorhaben Defizite der Wasserkraftnutzung. Das Forschungsvorhaben wird von Prof. Uwe Lange, Technische Fachhochschule Berlin, Priv. Doz. Dr. Günter Gunkel von der TU, sowie Professor Detlev Walde und Professor João Willy Corrêa Rosa, beide Universidade de Brasília durchgeführt. "Bei meinem letzten Besuch war dort kaum Wasser vorhanden. Der Stausee war auf ein Minimum abgesenkt. Dadurch mußten die Turbinen der Anlage jeden Tag vier Stunden abgeschaltet werden. Riesige Dieselaggregate wurden angeschafft, um das Stromdefizit aufzufangen", berichtet der TU-Wissenschaftler. Die Erklärung liegt in der mangelnden Beachtung der Niederschlagsintensität. Eine Erhebung des Niederschlag- und des Abflußverhaltens in dem Gebiet ist Voraussetzung, um durch eine sinnvolle Bewirtschaftung stets ausreichende Wasservorräte zu haben.

Im Fall von Curúa-Una kommen allerdings auch gewässerökologische Probleme hinzu. Zum einen haben die Kraftwerksbetreiber das Gebiet des heutigen Stausees zuvor nicht gerodet - aus Kostengründen. "Eine ökologische Katastrophe", findet Gunkel. Anders als angenommen ist die unter Wasser stehende Vegetation nicht verrottet, so daß sowohl Fischerei als auch Schiffahrt unmöglich sind. Bei geringer Wasserhöhe ragen die Spitzen der Bäume wie ein Heer von Nadeln aus dem See heraus. Zum anderen treten im See hohe Eisenkonzentrationen auf, die zu erheblichen Beschädigungen der Anlage führen. Günter Gunkel vermutet die Ursache der Konzentration in der Entwaldung des Regenwalds. "Es wäre schön, wenn wir das im Rahmen unserer Untersuchungen nachweisen könnten", hofft der TU-Forscher. Gleichzeitig hält er es für möglich, daß die Versauerung im Stausee für den verzögerten Abbau der Vegetation verantwortlich ist. Große Chancen, hier etwas zu verändern, sieht Gunkel allerdings nicht: "Die nachträgliche Rodung ist viel zu teuer. Man kann hier nur die Erkenntnis für weitere Planungen mitnehmen, zum Beispiel daß in der Umgebung von Stauseen eben keine Entwaldung mehr vorgenommen werden darf".

Wie bekommt man Arsen aus dem Trinkwasser?

In einem weiteren Projekt, das unter der Leitung von Professor Jekel mit der chilenischen Universidad de Antofagasta durchgeführt und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanziert wird, geht es um die Entfernung von Arsen aus dem Trinkwasser. Die Weltgesundheitsorganisationen WHO hat einen Trinkwassergrenzwert von 10 g/l vorgeschlagen, das entspricht etwa einem Würfelzucker in einem 300.000-Liter-Tank.

Der Norden Chiles, insbesondere die überaus trockene Atacama-Wüste, ist bekannt für hohe natürliche Arsengehalte in den wenigen nutzbaren Wasservorkommen. Solche hohen Arsengehalte sind nicht ausschließlich ein südamerikanisches Phänomen, auch in anderen Ländern wie den USA, Indien oder Italien ist so etwas festzustellen. In Chile handelt es sich in der Regel um Schmelzwässer der vulkanisch aktiven Anden. Das TU-Fachgebiet hatte bereits eine Pilotanlage zur Untersuchung des Arsengehalts nach Chile gesandt. Außerdem haben zwei TU-Studentinnen ihre Diplomarbeiten zur verbesserten Arsenentfernung in Antofagasta und Calama angefertigt. Bei dem nun genehmigten Forschungsvorhaben soll eine vielversprechende einfachere Technik zur Arsenabtrennung mittels korrodierenden Eisens untersucht werden.

Austauschprogramme bilden lateinamerikanische Wissenschaftler weiter

Das TU-Fachgebiet ist außerdem an drei Projekten zur Fortbildung und zum wissenschaftlichen Austausch beteiligt. Beim EU-Alpha-Projekts ,,PAMELA" (Program on Water for a new Environmental Network in Europe and Latin America) arbeiten neun Einrichtungen aus Europa und Lateinamerika im Bereich Gewässermanagement zusammen: neben der TU Berlin die Universidad Politénica de Valencia (Spanien), die University of Twente (Holland), die Universidad Nacional de Cuyo (Argentinien), aus Chile die Universidad de Chile, und die Universidad de Talca, die Pontificia Universidad Católica del Perú, das Centro lnternacionl de Ecological Tropical und die Universidad Simön Bolivar (beide Venezuela). Eine zentrale Aufgabe ist die Fortbildung junger Dozenten aus Lateinamerika und die Durchführung von Konferenzen in den Ländern dieser Region. In zwei weiteren EU-Alpha-Projekten des Netzwerks "INGAM" (Ingenieria Ambiental/Umweltingenieurwe-sen) geht es um die Entwicklung des Studienganges "Umweltschutz" an den beteiligten Universitäten, verbunden mit einem Austausch von Postgraduierten, Doktoranden und Studierenden im Hauptstudium, die Partneruniversitäten sind die bereits bei dem Projekt zur Lederindustrie genannten. Seit Oktober 1998 befindet sich der erste Doktorand aus Quito, Ingeniero Quimico Rodny Peñafiel, am TU-Fachgebiet Wasserreinhaltung.

Christian Hohlfeld


Weitere Informationen erteilen Ihnen gerne Prof. Dr.-Ing. Martin Jekel bzw. PD Dr. Günter Gunkel, Institut für Technischen Umweltschutz der TU Berlin, Tel: 030/314-23339 bzw. -25847, Fax: -23850, E-Mail: wrh@itu201.ut.TU-Berlin.DE oder gunkel@itu206.ut.tu-berlin.de.