Die Technik hat uns im Laufe dieses Jahrhunderts von schweren Tätigkeiten befreit. Die des nächsten Jahrhunderts wird uns mobil machen. Wissenschaftler der Technischen Universität (TU) Berlin arbeiten daran, winzige Bauteile zu verkleinern und sie mit zahlreichen Funktionen zu bestücken - ein Ausblick in unseren schnurlosen Alltag.
Mal spitz, mal rund, kariert oder knallrot - Schuhe sind ein schmückendes Beiwerk unserer Kleidung. Doch nicht mehr lange. Schon in wenigen Jahrzehnten könnten sie zum Motor unseres "body area networks" werden. Dann befindet sich in den Sohlen ein winziger Chip, mit dem wir über unsere Tritte so viel Energie erzeugen, um all die anderen Geräte am Körper in Funktion zu halten. Der Uhr steht vielleicht eine Karriere als mobile Empfangsstation bevor. In ihr werden ein kleiner Kopfhörer und ein Mikrofon integriert sein. Faxe werden wir dann mit dem ehemaligen Zeitmesser empfangen und über unsere Brillengläser lesen können. Eine faltbare Folie, die unsere Sprache erkennt, ersetzt den Rechner. Die über ein Minidisplay bestellten Tickets werden automatisch von der Multi-Chipkarte abgebucht. Funkt der Kühlschrank dann auch noch SOS und steht die Verbindung zum Kaufhaus, werden die nötigen Bierflaschen mit elektronischem Code per Knopfdruck geordert. Nur trinken muss man selbst - auch in Zukunft.
Eine Technik, die immer mehr Gegenstände kleiner macht, erlaubt uns diesen Blick ins nächste Jahrhundert. "Der Trend zur Miniaturisierung bewirkt, dass schon im Jahr 2003 rund 60 Prozent unserer Produkte mobil sein werden", erklärt Prof. Herbert Reichl vom Institut für Mikroelektronik der TU Berlin. Aber nicht nur die Ortsungebundenheit ist eine Folge dieser Entwicklung. "Verkleinern sich die Funktionselemente, so erreicht man eine höhere Zuverlässigkeit. Fehlerquellen wie Kontaktstellen und Bauteile mit hoher Anfälligkeit verringern sich genauso wie der Material- und Energieverbrauch", so der Wissenschaftler.
Die Produkte werden künftig nicht nur kleiner, sondern auch vernetzt sein. "Darin liegt die eigentliche Wertschöpfung", betont der Wissenschaftler. "Sie wird uns von langweiligen Arbeitsplätzen befreien, genauso, wie es die Technik im Laufe unseres Jahrhunderts geschafft hat, uns von schweren Tätigkeiten zu entbinden."
Die TU Berlin hat mit dem größten universitären Reinraumlabor, dass sich auf dem ehemaligen AEG-Gelände an der Gustav-Meyer-Allee befindet, beste Forschungsbedingungen. Die Mitarbeiter untersuchen Löt- oder Siebdruckverfahren, erproben die Lebensdauer von Kontaktstellen oder Materialien und messen den Stromfluss sowie die thermischen Vorgänge in den winzigen Bauteilen. Ein Schwerpunkt ist die Entwicklung von Mikrokontakten auf den Chips. Die Wissenschaftler bestücken integrierte Schaltungen mit Kontaktstrukturen oder winzigen Spulen. Sie funktionieren wie eine Antenne und ermöglichen damit eine drahtlose Kommunikation. Langfristiges Ziel ist es, einen Mini-Chip herzustellen, der über 5000 Anschlüsse verfügt. Momentan liegt der Standart bei 250.
Ein weiteres Projekt befasst sich mit Herzschrittmachern: "Unser Ziel ist es, sie so zu verkleinern, das nur noch ein Mikrosystem in die Haut verpflanzt werden muss und der Arzt kann es mit einem Gerät jederzeit prüfen." Das menschliche Auge ist Ideengeber für einen anderen Forschungsauftrag. Der Aufbau des Organs dient als Vorlage für die Konstruktion eines dreidimensional-gestalteten Systems. Auch haben die Mitarbeiter einen "Mikrosystem-Baukasten" für die Autoindustrie entwickelt. Der Abnehmer kann damit Chips je nach Bedarf kombinieren. "Die vielen Verkabelungen werden künftig durch multifunktionale Bauteile ersetzt", beschreibt der TU-Professor das Anwendungsfeld.
Doch bei all den Erfolgen zeigt die Mikrosystemtechnik uns auch Grenzen auf. "Man kann viele Produkte kleiner bauen. Die Frage ist nur, ob sie akzeptiert werden", überlegt der Wissenschaftler, der zudem das Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration der Fraunhofer-Gesellschaft in Berlin leitet. "Wir können heute schon online von zu Hause aus einkaufen. Werden die Waren mit elektronischen Codes bestückt, brauchen wir vielleicht keine Kassiererinnen mehr. Doch das Einkaufen hat auch eine soziale Funktion, bei der menschliche Kontakte wichtig sind. Daran sollten Ingenieure und Forscher bei ihren Entwicklungen auch denken."
Stefanie Terp
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