TU intern - Juni 2000 - Aktuelles

Eine Anleitung zum Spagat

Der Wissenschaftsrat mahnt in seiner Berliner Empfehlung vor allem Profilbildung und Kooperationsbereitschaft an

Winfried Schulze kam an die Spree, verkündete und ging. Am 16. Mai 2000 legte der Vorsitzende des Wissenschaftsrates die Stellungnahme zur Strukturplanung der Hochschulen in Berlin auf den Tisch und entfachte erneut eine Diskussion über Wert und Überfluss der universitären Ausbildungsstätten.

Genereller Tenor des 54-köpfigen Rates ist es, die Hochschulstrukturen zu optimieren und gleichzeitig die Finanzbasis dafür zu sichern, denn die Hauptstadt bleibe hinter ihren Möglichkeiten zurück. In die Pflicht nimmt er beide Seiten. Die Hochschulen - Universitäten mehr als die Fachhochschulen - sollen ihr Profil schärfen, Fächer zusammenlegen bzw. Doppelangebote abstimmen und ggfl. Institute schließen. Man solle gleichzeitig mit Wettbewerb und Kooperation leben. Die Politik hat darüber zu wachen, dass die in den Hochschulverträgen festgeschriebenen 85000 Studienplätze ausfinanziert sind und bleiben. Die erforderlichen Finanzmittel müssten für Forschung und Lehre bereitgestellt werden, so die Empfehlung.

Der Kommentar der Gutachter: Eine weitere Reduktion wäre in hohem Maße für Berlin als Wissenschafts- und Hochschulstandort abträglich. Zu den 85000 Studienplätzen stellt der Wissenschaftsrat eine zweite Richtzahl, an der sich Berlin künftig messen lassen muss: Im Interesse des Standortes sollte ein Betrag von jährlich 250 Millionen DM für den Hochschulbau nicht unterschritten werden. Damit verlangt das höchste Beratungsgremium der Bundesregierung nach der beispiellosen Diätkur der vergangenen Jahre nichts Geringeres von den Hochschulen und Senatsvertretern, als den Spagat zu üben und ihn künftig meisterlich zu zelebrieren.

Sein zentrales Anliegen schreibt er in fünf Leitlinien fest, die er mit dem deutlichen Hinweis garniert, dass eine Reihe von Empfehlungen an das Land und die Einrichtungen in der Vergangenheit nicht oder nur unzureichend umgesetzt wurden. In dem nun vorliegenden und vom ehemaligen Senator Radunski bestellten Papier wird eine gesteigerte Eigenverantwortung der Hochschulen wie auch eine stärker wahrgenommene Verantwortung des Landes angemahnt.

BERLINER SCHULEN ALS EINHEIT

Weitere Anliegen des Reformprozesses werden eingerahmt vom Recht auf individuelle Wissenschaftsfreiheit wie auch von der Notwendigkeit zu Schwerpunktbildung und Konzentration; von den Perspektiven einzelner Länder einerseits und solchen der grenzüberschreitenden Region andererseits und schließlich dem Bedarf an Grundausstattung und dem Zwang zur Einwerbung zusätzlicher Mittel. Der fünfte Leitsatz stellt die Beteiligten wohl vor die schwierigste Aufgabe: Der Wissenschaftsrat verlangt wettbewerbliches und gleichzeitig kooperatives Verhalten von den Hochschulen.

Betrachtet man das Erbe, das die einst geteilte Stadt auch auf dem Gebiet der universitären Bildung und Wissenschaft übernommen hat, so standen die Zeichen Anfang der 90er Jahre mehr auf Eigenständigkeit. Die Humboldt-Universität wurde unabhängig von der Freien Universität neu geformt. Die folgende Finanzknappheit und die nun vorgelegten Empfehlungen rücken jedoch den Kooperationsgedanken in den Mittelpunkt. Die Berliner Hochschullandschaft soll sich letztlich als Einheit im Inneren wie nach außen begreifen und früher oder später das Angebot Brandenburgs bei ihrer Planung beachten. Doch dieses Aufeinanderzugehen wird begleitet werden durch teilweise massive Einschnitte in den Angeboten. Keine leichte Aufgabe, die das Agieren besonders auf politischer Ebene bestimmen wird.

Vor allem erfordert die vom Wissenschaftsrat empfohlene Einrichtung eines Landeshochschulrates sowie von Hochschulräten eine tiefgreifende Änderung des Berliner Hochschulgesetzes.

Die mit Nicht-Berliner Experten besetzten Räte sollen mangelnder Kooperation und Prestigedenken einzelner Institute entgegenwirken und die bislang fehlende Kooperations- und Abstimmungsbasis in der Stadt schaffen.

Einen konkreten Zeitrahmen gab das Beratergremium nicht vor. Wissenschaftssenator Christoph Stölzl signalisierte jedoch sofortige Arbeits- und Diskussionsbereitschaft. Dass es 1992 schon einmal eine ähnliche Empfehlung von der damaligen Landeshochschulstrukturkommission gab, die auch die Einführung eines Berliner Universitätsrates forderte, kann man nur als mahnendes Beispiel ansehen, denn kaum etwas davon wurde in die Praxis umgesetzt.

Stefanie Terp

Die einzelnen Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Technischen Universität Berlin sowie den vorläufigen Zeitplan lesen Sie in weiteren Artikeln dieser Ausgabe der TU intern. Den vollständigen Bericht finden Sie unter http://www.wissenschaftsrat.de/liste_wr.htm.


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