Anderthalb Wochenstunden mit 35 Leuten sind keine Übung
Die Situation in vielen Tutorien verschlechtert sich kontinuierlich
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Auf dem Wittenbergplatz, in
der U- und S-Bahn, vor dem Roten Rathaus hielten Mathematik-
und Physikprofessoren ihre Vorlesungen, um auch auf die Raumsituation
an den Universitäten aufmerksam zu machen. Die Aktionen
fanden großes Interesse sowohl in der Öffentlichkeit
als auch bei den Studierenden. Zum Beispiel begleiten rund 100
Studierende Prof. Eckehard Schöll (Theoretische Physik/Quantenmechanik)
zunächst in der S-Bahn vom Bahnhof Zoo zum Alexanderplatz.
Er begann die Vorlesung auf dieser Strecke, die an jenem Ort
vorbeiführt, an dem Max Planck am 14. Dezember 1900 in
seinem berühmten Vortrag vor der Deutschen Physikalischen
Gesellschaft die Quantenmechanik begründete. Die Vorlesung
wurde danach vor dem Roten Rathaus fortgesetzt. tui |
Alle an der TU Berlin ausgebildeten Ingenieurinnen und Ingenieure
brauchen Mathematik als Handwerkszeug. Die Studierenden besuchen
deshalb zu Beginn ihres Studiums mehrere Mathekurse. Und weil man
den Umgang mit einem so komplexen Hilfsmittel ebenso wenig wie Schreiben
oder Klavierspielen vom Zugucken lernen kann, gibt es wöchentliche
Übungen in kleinen Gruppen (Tutorien) und Hausarbeiten, die
korrigiert werden. Die Korrekturen und die Leitung der Tutorien
machen dafür eingestellte Studierende nach dem Vorexamen. Zu
Beginn des Wintersemesters haben wir 6200 Tutorienplätze für
Ingenieurstudierende und 800 für Mathematikstudierende verteilt,
und zwar auf Gruppen von 35 Teilnehmern. Die zur Verfügung
stehenden Personalkapazitäten reichten dafür bei weitem
nicht aus. Wir haben deshalb die Korrekturarbeit auf die Hälfte
reduziert, was in diesem Bereich eine Verschlechterung der Studienbedingungen
um die Hälfte bedeutet. Wir haben außerdem einige diplomierte
Absolventen per Lehrauftrag für Korrekturaufgaben gewinnen
können. Dadurch können die Tutoren mehr Tutorien abhalten,
und wir kommen mit den vorhandenen Kräften sowie freiwillig
und unentgeltlich geleisteten Zusatzangeboten von wissenschaftlichen
Mitarbeiterinnen, Mitarbeitern und Professoren immer noch gerade
nicht hin. Auch verdienen anderthalb Stunden in der Woche in einer
Gruppe mit 35 Teilnehmern den Namen "Übung" nicht
mehr, man darf die Verschlechterung der Ausbildungsqualität
in diesem Bereich sicher ebenfalls mit 50 ansetzen. Als Folge schaffen
deutlich mehr als die Hälfte der Studierenden die Prüfungen
nicht und belasten als Wiederholer das folgende Semester.
Die geschilderte Situation ist in diesem Wintersemester nicht neu,
sie hat sich über die vergangenen Jahre kontinuierlich verschlechtert.
Die Ausbildung unserer Studierenden macht erst dann wieder Sinn,
wenn es gelungen ist, die Zahl der finanzierten Studienplätze
und die Zahl der zugelassenen Studierenden ins Gleichgewicht zu
bringen.
Prof. Dr. Dirk Ferus
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