Fahrt ins Exil
Studierende besuchen Sanary-sur-Mer
In der kleinen südfranzösischen Stadt Sanary-sur-Mer
hatten vor und während des Zweiten Weltkrieges deutsche Künstler
- darunter Thomas Mann und Lion Feuchtwanger - Zuflucht vor den
Nationalsozialisten gesucht. Dorthin reisten TU-Studierende des
Seminars "Erinnerungskulturen im europäischen Vergleich",
Fachgebiet Französische Philologie, unter Leitung von Dr. Mechthild
Gilzmer.
Zu seinem 40. Jahrestag hatte das Deutsch-Französische
Jugendwerk (DFJW) zu dem Forum "Das DFJW - Experimentierfeld
im Dienste einer europäischen Zivilgesellschaft" geladen.
In der Diskussion um "Austausch und Erinnerungsarbeit"
konnten die TU-Studierenden die theoretischen Erkenntnisse aus ihrem
Seminar präsentieren: ein Vergleich der unterschiedlichen Darstellung
französisch-deutscher "Résistance"-Kämpfer
und Kollaborateure in Frankreich, die man in deutschen Geschichtslehrwerken
findet. Historische Ereignisse im Nachbarland kommen, so ergab sich,
kaum im Geschichtsunterricht, sondern eher im Französischunterricht
zur Sprache.
Während des einwöchigen Aufenthaltes in Sanary hatte
das DFJW außerdem eine Besichtigung des einstigen Internierungs-
und späteren Deportationslagers "Les Milles" organisiert,
in dem auch zahlreiche deutschsprachige Künstler wie Max Ernst
oder Hans Bellmer interniert waren. Von ihrer Präsenz zeugen
heute noch die inzwischen renovierten Wandzeichnungen im ehemaligen
Speisesaal des Wachpersonals. Schon vor der Exkursion hatten die
Studierenden einen Gastvortrag von Doris Obschernitzki über
die Geschichte dieses Lagers gehört.
Schülergruppen aus Deutschland und Frankreich stellten in
Sanary ihre prämierten Projekte zur deutsch-französischen
Geschichte vor. Interviews mit ihnen bestätigten den TU-Romanisten
ihre These, dass ein differenziertes Bild der Vergangenheit nur
dann vermittelt werden kann, wenn die Grenzen der Fachdisziplinen
und Nationen überschritten werden. Dabei fällt der Blick
dann auch auf die weißen Flecken dieser Vergangenheit: die
Teilnahme von deutschen Emigranten am französischen Widerstand
beispielsweise ebenso wie die Existenz von Lagern für so genannte
"feindliche Ausländer" und die vom französischen
Staat mitverantwortete Deportation der Juden aus Frankreich. Bei
der Beschäftigung mit diesen Fragen wurden so manche klischeehaften
Vorstellungen vom anderen Land revidiert.
Dr. Mechthild Gilzmer wird im Wintersemester 2003/2004 ein deutsch-französisch-polnisches
Seminar zur "europäischen Erinnerungskultur" anbieten.
Nils Achtrath, Joanna Brockhaus,
Dorit Bundesmann, Morten Goedicke,
Anna Hattinger und Jenny Wahrheit
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