Trotz Numerus clausus: Kein Verlust an Attraktivität
Wachsendes Interesse an Natur- und Ingenieurwissenschaften
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Prof. Dr.-Ing.
Jörg Steinbach, 1. Vizepräsident der TU Berlin, ist
zuständig für den Bereich Lehre und Studium |
Herr Steinbach, wie waren die ersten Erfahrungen, nachdem jetzt
erstmalig der flächendeckende Numerus clausus zur Anwendung
kam, der von den Berliner Universitäten als Reaktion auf die
Sparmaßnahmen des Senats beschlossen worden war?
Nach derzeitiger Kenntnis haben wir mehr als 15000 Bewerbungen
von Deutschen - dazu kommen noch mal erfahrungsgemäß
15 bis 20 Prozent an ausländischen Studienbewerbern -, die
sich auf unsere 4700 NC-reglementierten Plätze bewarben. Wir
haben damit eine Überzeichnung zwischen 1:3 und 1:4, ähnlich
wie die Freie und die Humboldt-Universität. Es gab zum Glück
keinen Einbruch der Bewerberzahlen, wie wir ihn früher nach
der NC-Belegung einzelner Studiengänge hatten. Offensichtlich
haben unsere Kampagnen in der Presse, in Schulen und anderswo Wirkung
gezeigt. Ein Verlust an Attraktivität des Studienstandortes
Berlin und insbesondere der Technischen Universität ist also
glücklicherweise nicht zu beklagen.
Gab es viele Doppel- und Dreifachbewerbungen aus Angst, keinen
Platz zu bekommen?
Aus Datenschutzgründen können wir natürlich keinen
Einblick in die Bewerbungen bei anderen Universitäten nehmen.
In den wenigen Studiengängen wie Mathematik und andere Naturwissenschaften,
die auch FU und HU anbieten, wird es mit Sicherheit einen größeren
Anteil an Doppel- oder gar Dreifachbewerbungen geben. Insgesamt
gehen wir davon aus, dass wir die für uns berechneten Kapazitäten
an Studienplätzen ausschöpfen werden.
Erfreulich ist, dass wir bereits seit zwei Jahren eine Trendwende
verzeichnen, ein wieder ansteigendes Interesse an den Natur- und
Ingenieurwissenschaften, unseren so genannten profilbildenden Studiengängen.
Im vorigen Jahr konnten wir sogar eine Rekordzahl an Bewerbungen
verbuchen.
Die Ingenieurverbände propagieren ja seit geraumer Zeit, dass
wir, wenn die Anzahl der Studierenden in diesen Fächern nicht
wieder drastisch anwächst, in absehbarer Zeit erneut in eine
ähnliche Situation geraten werden, wie wir es in der Informatik
hatten, dass zum Beispiel Green-Card-Aktionen der Bundesregierung
durchgeführt werden müssen. Dieses wieder erstarkte Interesse
müssen wir schon aus volkswirtschaftlichen Gründen für
unsere Industrie kultivieren.
Wie konnte das Immatrikulationsverfahren bei dem Ansturm bewältigt
werden?
Hier möchte ich ausdrücklich einmal die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter der Abteilung I, Studierendenservice/Immatrikulation,
loben, die bis an die Grenzen der Erschöpfung gearbeitet haben.
In ganz engen Fristsetzungen mussten und müssen sie eine ungeheure
Anzahl von Studierenden mit Unterlagen, mit Zuweisungen von Studienplätzen
oder Immatrikulationsurkunden versorgen, mitunter mehr als 900 Vorgänge
täglich innerhalb der angebotenen Sprechstunden. Wir haben
allerdings noch, das will ich hier nicht verhehlen, das eine oder
andere logistische Problem im Bereich der Ersatzbescheinigungen
für das BVG-Semesterticket. Ich bitte alle Beteiligten um etwas
Geduld, hier kann es noch zu Verzögerungen von etwa 14 Tagen
kommen. Selbst bei bestem Willen ist das in der augenblicklichen
Situation nicht besser zu bewältigen.
Ich würde gern noch einen weiteren Aspekt anfügen: Insgesamt
können wir beobachten, dass die sich verschärfende Konkurrenzsituation
anscheinend zu besseren Schulnoten führt. Denn eine Zwei vor
dem Komma ist, zumindest bei der Erstzuweisung, oft ein "K.-O.-Kriterium".
Das muss auch eine Rückwirkung auf die Berliner Schulen haben.
Bei dem anerkanntermaßen schlechteren Abiturdurchschnitt im
Vergleich zum Bundesgebiet bedeutet das natürlich, dass hier
auch ein Verdrängungsprozess für unsere eigenen Jugendlichen
in Berlin stattfindet. Die Schulen werden für ein besseres
Absolventenspektrum sorgen müssen.
Das Gespräch führte Patricia Pätzold
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