Der schlummernde Riese ist erwacht
China lädt internationale Hochschulelite ein - TU Berlin
wird eigene Repräsentanz in Shanghai einrichten
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Mit dem chinesischen Bildungsminister,
Dr. Zhou Ji, gleichzeitig Vorsitzender des Organisationskomitees
für das Forum der internationalen Universitätspräsidenten,
sprach TU-Präsident Kurt Kutzler über die weitere
Vertiefung der Wissenschaftskooperationen |
Als die Technische Universität Berlin Anfang der 80er-Jahre
Kooperationsbeziehungen mit den wichtigsten Universitäten in
China aufnahm, war das der Schritt auf politisches Neuland und wissenschaftlich
zunächst eine Einbahnstraße. Hier im ummauerten, marktwirtschaftlich
orientierten West-Berlin eine Universität mit High Technology
in vielen Bereichen - dort ein straff kontrolliertes, planwirtschaftlich
ausgerichtetes Land mit Universitäten, die sich nach den jüngsten
Wirren der Kulturrevolution neu formieren mussten. Sie litten unter
einer schwachen Infrastruktur, suchten aber mit hoch motiviertem
und hoch begabtem jungen Nachwuchs den Anschluss an den wissenschaftlichen
Weltstandard.
Zwanzig Jahre später ist der schlummernde Riese erwacht. Die
Universitäten in den großen Metropolen Chinas sind gut
ausgebaut, viele der Professoren haben ihre akademischen Qualifikationen
an renommierten Institutionen im Ausland erworben. Internationale
Kooperationen, aber auch die Beteiligung am internationalen wissenschaftlichen
Wettbewerb, sind Alltag geworden.
Und trotzdem ist in China alles anders. Auf 9,6 Millionen Quadratkilometern
leben 1,3 Milliarden Menschen. Allein in Peking wohnen 13,8 Millionen
Menschen; hinzu kommen nochmals 3 Millionen Wanderarbeiter. Schon
diese wenigen Zahlen lassen die Dimensionen Chinas ahnen. China
ist ein Land mit großer Spannbreite: einerseits hoch industrialisierte
Metropolen, Agglomerationen von Hochhäusern, neben denen deutsche
Städte wie kleine Dörfer wirken, jährlich nahezu
zweistellige Wachstumsraten der Wirtschaft, andererseits riesige
Landstriche, die bäuerlich geprägt sind, mit wenig entwickelten
Strukturen.
Vorbild: Spitzenuniversitäten aus aller Welt
Dieses ökonomische und soziale Spannungsfeld wird noch lange
weiterbestehen. Es stellt die chinesische Regierung vor gewaltige
Aufgaben. Ein Mittel zur Milderung dieser Konfliktpotenziale und
zur Entwicklung des Landes, zu dem auch viele andere Länder
des Nahen und des Fernen Ostens greifen, ist es, das Bildungssystem
und insbesondere das Hochschulsystem auszubauen und leistungsfähiger
zu machen. Über Investitionen in die Köpfe soll die Zukunft
der Wirtschaft und der Menschen in China gesichert werden. 200 Millionen
Schülerinnen und Schüler sowie 20 Millionen Studierende
erhalten zurzeit ihre Ausbildung in China - mit steigender Tendenz.
China ist in Aufbruchstimmung, auch im wissenschaftlichen Bereich.
Neben der guten Ausbildung breiter Bevölkerungskreise ist es
vorrangiges Ziel der chinesischen Regierung, Wissenschaft in der
Tiefe zu entwickeln und damit die Qualität der Forschung in
vielen Bereichen zu optimieren. Für die künftige Entwicklung
der Universitäten sieht das chinesische Bildungsministerium
zwei Fragen als zentral an: Wie können chinesische Universitäten
zur Gruppe der Spitzenuniversitäten in der Welt aufschließen
und wie kann Technologietransfer, die Umsetzung von neuem Wissen
in die wirtschaftliche Anwendung, entwickelt und genutzt werden?
Zu den Themen "Spitzenuniversität" und "Technologietransfer"
fand vom 4. bis zum 9. August in Peking das zweite "Forum chinesischer
und internationaler Universitätspräsidenten" statt.
Erziehungsminister Zhou, vorher selbst Präsident einer chinesischen
Universität, hatte persönlich zu dieser einwöchigen
Tagung sowohl die Präsidenten der wichtigsten 70 chinesischen
Hochschulen als auch die Präsidenten einiger weniger international
führender Universitäten eingeladen. Aus den USA waren
die Präsidenten von Stanford, Yale, Columbia und der University
of Texas, aus Großbritannien die Präsidenten von Oxford,
Cambridge sowie der Direktor der London School of Economics, aus
Japan der Präsident der Waseda University, aus Paris die Präsidentin
der Université XI und aus Moskau der Rektor der Lomonossow-Universität
angereist. Als einzigen Vertreter aus Deutschland hatte der chinesische
Erziehungsminister den Präsidenten der Technischen Universität
Berlin eingeladen.
Das Thema "Eliteuniversitäten" - unter diesem Motto
standen die ersten drei Tage des Forums - bewegt gegenwärtig
weltweit die Bildungspolitik. Alle vertretenen Universitäten
bekannten sich zum Wettbewerb untereinander. Als Voraussetzung für
den Erfolg in diesem Wettbewerb sah die überwiegende Zahl die
"comprehensiveness", das heißt die Vollständigkeit
des eigenen wissenschaftlichen Spektrums sowie die entsprechende
öffentliche Finanzierung, die für viele - und das ist
sicher nicht neu - ein gewaltiges Problem darstellt. Man plädierte
für ein internationales Ranking der Universitäten als
wichtiger Qualitätsmesser.
Die Entscheidung, im Rahmen der Konferenz die Themen "Spitzenuniversitäten"
und "Technologietransfer" miteinander zu verknüpfen,
zeigt, welch große Bedeutung die chinesische Regierung der
Entwicklung beimisst, die die Zusammenarbeit von Wissenschaft und
Wirtschaft voranbringen soll. Im bevölkerungsreichsten Land
der Erde wollte man die langjährigen Erfahrungen der Berliner
Technischen Universität im Technologietransfer genauer kennen
lernen. Grund dafür waren die im europäischen Vergleich
frühen Aktivitäten der TU Berlin im Bereich des Technologietransfers
und die mehr als zwanzigjährigen kooperativen Beziehungen mit
den besten Universitäten in China. Natürlich spielte bei
der Einladung an den Präsidenten der TU Berlin, die mit zahlreichen
und namhaften Wirtschaftsunternehmen kooperiert, auch eine Rolle,
dass die deutsche Industrie in China einen sehr guten Ruf genießt.
In Gesprächen mit Regierungsvertretern, aber auch mit Hochschulpräsidenten
war deutlich zu erkennen, dass die Chinesen sich der besonders guten
wissenschaftlichen Verbindungen erinnern, wie sie vor dem Zweiten
Weltkrieg bestanden.
Bachelor in China, Master oder Doktor in Deutschland
Nach wie vor legt China gesteigerten Wert auf die Kooperation mit
europäischen Partnern. Deshalb ist es sehr stark an einem Ausbau
auch der wissenschaftlichen Beziehungen zu Deutschland interessiert.
Aufgrund der bisherigen Erfahrungen und der sich wandelnden politischen
und ökonomischen Situationen sollten die bisherigen Kooperationsformen,
insbesondere die des Zusammenwirkens zwischen chinesischen und deutschen
Universitäten, überdacht werden. In den vergangenen Jahren
war es üblich, dass deutsche Professoren Gastvorlesungen in
China hielten und gemeinsam mit chinesischen Partnern wissenschaftliche
Projekte durchführten, die meist bilateral von staatlichen
Institutionen gefördert wurden. Die deutschen Universitäten
nahmen zahlreiche High-School-Absolventinnen und -Absolventen aus
China in das grundständige Studium auf - tausende von chinesischen
Studienbewerbern pro Jahr sind für viele deutsche Universitäten
keine Seltenheit.
Beim gegenwärtigen Stand des Bildungswesens in China erscheint
es nicht mehr sinnvoll, die Qualifikation möglichst vieler
chinesischer Studienbewerber in den Vordergrund zu stellen. Vielmehr
muss China beim Aufbau seines höheren Bildungswesens, das heißt
bei der Qualifikation seines eigenen akademischen Lehr- und Forschungspersonals,
unterstützt werden. Deshalb muss sich künftig die Zusammenarbeit
vom "Konzept Masse" hin zu einer Kooperation entwickeln,
die sich auf wissenschaftlich anspruchsvolle Projekte und die Ausbildung
von jungen Menschen im postgradualen Bereich konzentriert. Vor allem
sollen Studierende mit einem Bachelor-Grad aus China nach Deutschland
kommen, die sich insbesondere durch die Integration in die hiesige
wissenschaftliche Arbeit weiter qualifizieren wollen. In der Forschung
muss sich die Zusammenarbeit auf die Spitzenforschung konzentrieren.
Die Zukunft gehört der "Viereckskooperation"
Auch das Konzept der TU Berlin, die enge Kooperation mit der deutschen
Industrie in die Zusammenarbeit mit chinesischen Wissenschaftspartnern
einzubringen, um auch deren Kontakte zur chinesischen Wirtschaft
zu nutzen, wird Nachahmer finden. Die Zukunft gehört der "Viereckskooperation":
Die hiesige Wissenschaft und Wirtschaft werden gemeinsam mit der
Wissenschaft und Wirtschaft in einem anderen Land kooperieren. Die
Hochschulen dienen hier als Türöffner in die Wirtschaftswelt
eines anderen Landes. Die Ansätze dazu sind in China besonders
vielversprechend. Auch die Absolventennetzwerke, die die TU Berlin
sowohl mit ihren Alumni in Deutschland als auch in China aufgebaut
hat, werden dazu beitragen.
Bevorzugte Plätze in China sind die beiden Metropolen Peking
und Shanghai. Peking ist das politische Zentrum mit den Entscheidungsträgern
der Regierung, und Shanghai bildet das wirtschaftliche Zentrum.
In beiden Städten gibt es ausgezeichnete Universitäten,
mit denen die TU Berlin seit mehr als zwanzig Jahren kooperiert.
Neben ihren traditionell guten Beziehungen in Peking wird die Technische
Universität Berlin deshalb auch ihr Engagement in Shanghai
verstärken. Die dortige Tongji-Universität
ist die am stärksten auf Deutschland ausgerichtete Hochschule
Chinas. Viele Kooperationsprojekte bestehen zwischen Tongji und
TU Berlin. Tongji-Professoren sprechen oft Deutsch als erste Fremdsprache,
es gibt gemeinsame Studiengänge mit deutschen Partnern, der
jetzige Tongji-Präsident, Professor Wan, wurde als Maschinenbauer
in Clausthal-Zellerfeld promoviert und war viele Jahre in führender
Position bei AUDI in Ingolstadt tätig. Seine Vorgängerin
im Amt, Frau Professor Wu, wurde in Zürich in Elektrotechnik
promoviert, ist seit langem eine enge Freundin der TU Berlin und
seit einem Jahr stellvertretende Erziehungsministerin Chinas. Bundeskanzler
Schröder ist Ehrendoktor der Tongji-Universität. Tongji
nimmt in China in den Bereichen Verkehr, Architektur und Bauen unbestritten
den ersten Platz ein. Alles das sind gute Voraussetzungen, unter
denen die Präsidenten von Tongji und TU Berlin während
der Pekinger Konferenz beschlossen haben, wechselseitige Repräsentanzen
zu schaffen und die Zusammenarbeit insbesondere in der natur- und
ingenieurwissenschaftlichen Spitzenforschung noch weiter zu intensivieren.
Professor Dr. Kurt Kutzler,
Präsident der TU Berlin
Jubiläum in Peking
Seit 20 Jahren ist die TU Berlin an den besten Universitäten
des Landes aktiv
Zwanzig Jahre lang wurde das zarte Pflänzchen "Kooperation
mit China" gehegt und gepflegt, gedieh und begann zu blühen.
Nun kann die TU Berlin mit ihren chinesischen Partnern stolz auf
einige Erfolge zurückblicken. Anfang der 80er-Jahre entstanden
die ersten fachlichen Kontakte zwischen Wissenschaftlern der TU
Berlin und dem Pekinger
Institut für Technologie (Beijing Institute of Technology
BIT). Zu den Pionieren der Kooperation gehörten von Berliner
Seite unter anderem die Fachgebiete Maschinenbau (Professor Günther
Spur) und Fernmeldetechnik (Professor Peter Noll). Die Kontakte
entwickelten sich gleich zu Beginn so vielversprechend, dass 1984
ein offizieller Kooperationsvertrag zwischen den beiden Universitätsleitungen
geschlossen wurde. Anfangs fanden von Seiten der TU-Berlin-Forscher
Gastvorlesungen in China statt. Das BIT schickte Doktoranden zur
Promotion an die TU Berlin, um eigenes Personal zu qualifizieren.
Zu den ersten Doktoranden gehörte unter anderem Professor Dr.-Ing.
Jingming Kuang, heute Präsident unserer Partneruniversität
Beijing Institute of Technology (BIT). Er promovierte bei Professor
Noll auf dem Gebiet der Mobilkommunikation. Durch diese Forschungstätigkeit
ist eine Kooperation entstanden, die bis heute anhält und auch
Partner aus der Industrie einbezieht, die damals ebenfalls an der
TU Berlin promovierten.
Die Zusammenarbeit zwischen der TU Berlin und dem BIT umfasst inzwischen
zahlreiche Fachgebiete, darunter Wirtschaftswissenschaften, Sprach-
und Kulturwissenschaften, Elektrotechnik, Maschinenbau, Fahrzeugtechnik
und Physik. Anfang August dieses Jahres feierten beide Universitäten
das 20-jährige Jubiläum ihres Kooperationsvertrages in
Peking. Die beiden Präsidenten Kurt Kutzler und Jingming Kuang
vereinbarten, die Kooperation auch in Zukunft fortzusetzen und neue
Themengebiete wie beispielsweise Energietechnik aufzunehmen.
Prof. Dr. Kuang fördert als Präsident des BIT auch den
Zusammenhalt zwischen den chinesischen Absolventen der TU Berlin.
Im September 2000 gründete er gemeinsam mit anderen TU-Alumni
den chinesischen Absolventenverein der TU Berlin, dessen Vorsitzender
er ist. Generalsekretär ist Dr. Meng Fanchen, der ebenfalls
am BIT arbeitet und die TU Berlin als Gastwissenschaftler kennt.
Harald Ermel,
Leiter Außenbeziehungen
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