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November 2004
 
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Der schlummernde Riese ist erwacht

China lädt internationale Hochschulelite ein - TU Berlin wird eigene Repräsentanz in Shanghai einrichten

Mit dem chinesischen Bildungsminister, Dr. Zhou Ji, gleichzeitig Vorsitzender des Organisationskomitees für das Forum der internationalen Universitätspräsidenten, sprach TU-Präsident Kurt Kutzler über die weitere Vertiefung der Wissenschaftskooperationen

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Als die Technische Universität Berlin Anfang der 80er-Jahre Kooperationsbeziehungen mit den wichtigsten Universitäten in China aufnahm, war das der Schritt auf politisches Neuland und wissenschaftlich zunächst eine Einbahnstraße. Hier im ummauerten, marktwirtschaftlich orientierten West-Berlin eine Universität mit High Technology in vielen Bereichen - dort ein straff kontrolliertes, planwirtschaftlich ausgerichtetes Land mit Universitäten, die sich nach den jüngsten Wirren der Kulturrevolution neu formieren mussten. Sie litten unter einer schwachen Infrastruktur, suchten aber mit hoch motiviertem und hoch begabtem jungen Nachwuchs den Anschluss an den wissenschaftlichen Weltstandard.

Zwanzig Jahre später ist der schlummernde Riese erwacht. Die Universitäten in den großen Metropolen Chinas sind gut ausgebaut, viele der Professoren haben ihre akademischen Qualifikationen an renommierten Institutionen im Ausland erworben. Internationale Kooperationen, aber auch die Beteiligung am internationalen wissenschaftlichen Wettbewerb, sind Alltag geworden.

Und trotzdem ist in China alles anders. Auf 9,6 Millionen Quadratkilometern leben 1,3 Milliarden Menschen. Allein in Peking wohnen 13,8 Millionen Menschen; hinzu kommen nochmals 3 Millionen Wanderarbeiter. Schon diese wenigen Zahlen lassen die Dimensionen Chinas ahnen. China ist ein Land mit großer Spannbreite: einerseits hoch industrialisierte Metropolen, Agglomerationen von Hochhäusern, neben denen deutsche Städte wie kleine Dörfer wirken, jährlich nahezu zweistellige Wachstumsraten der Wirtschaft, andererseits riesige Landstriche, die bäuerlich geprägt sind, mit wenig entwickelten Strukturen.

Vorbild: Spitzenuniversitäten aus aller Welt

Dieses ökonomische und soziale Spannungsfeld wird noch lange weiterbestehen. Es stellt die chinesische Regierung vor gewaltige Aufgaben. Ein Mittel zur Milderung dieser Konfliktpotenziale und zur Entwicklung des Landes, zu dem auch viele andere Länder des Nahen und des Fernen Ostens greifen, ist es, das Bildungssystem und insbesondere das Hochschulsystem auszubauen und leistungsfähiger zu machen. Über Investitionen in die Köpfe soll die Zukunft der Wirtschaft und der Menschen in China gesichert werden. 200 Millionen Schülerinnen und Schüler sowie 20 Millionen Studierende erhalten zurzeit ihre Ausbildung in China - mit steigender Tendenz. China ist in Aufbruchstimmung, auch im wissenschaftlichen Bereich. Neben der guten Ausbildung breiter Bevölkerungskreise ist es vorrangiges Ziel der chinesischen Regierung, Wissenschaft in der Tiefe zu entwickeln und damit die Qualität der Forschung in vielen Bereichen zu optimieren. Für die künftige Entwicklung der Universitäten sieht das chinesische Bildungsministerium zwei Fragen als zentral an: Wie können chinesische Universitäten zur Gruppe der Spitzenuniversitäten in der Welt aufschließen und wie kann Technologietransfer, die Umsetzung von neuem Wissen in die wirtschaftliche Anwendung, entwickelt und genutzt werden?

Zu den Themen "Spitzenuniversität" und "Technologietransfer" fand vom 4. bis zum 9. August in Peking das zweite "Forum chinesischer und internationaler Universitätspräsidenten" statt. Erziehungsminister Zhou, vorher selbst Präsident einer chinesischen Universität, hatte persönlich zu dieser einwöchigen Tagung sowohl die Präsidenten der wichtigsten 70 chinesischen Hochschulen als auch die Präsidenten einiger weniger international führender Universitäten eingeladen. Aus den USA waren die Präsidenten von Stanford, Yale, Columbia und der University of Texas, aus Großbritannien die Präsidenten von Oxford, Cambridge sowie der Direktor der London School of Economics, aus Japan der Präsident der Waseda University, aus Paris die Präsidentin der Université XI und aus Moskau der Rektor der Lomonossow-Universität angereist. Als einzigen Vertreter aus Deutschland hatte der chinesische Erziehungsminister den Präsidenten der Technischen Universität Berlin eingeladen.

Das Thema "Eliteuniversitäten" - unter diesem Motto standen die ersten drei Tage des Forums - bewegt gegenwärtig weltweit die Bildungspolitik. Alle vertretenen Universitäten bekannten sich zum Wettbewerb untereinander. Als Voraussetzung für den Erfolg in diesem Wettbewerb sah die überwiegende Zahl die "comprehensiveness", das heißt die Vollständigkeit des eigenen wissenschaftlichen Spektrums sowie die entsprechende öffentliche Finanzierung, die für viele - und das ist sicher nicht neu - ein gewaltiges Problem darstellt. Man plädierte für ein internationales Ranking der Universitäten als wichtiger Qualitätsmesser.

Die Entscheidung, im Rahmen der Konferenz die Themen "Spitzenuniversitäten" und "Technologietransfer" miteinander zu verknüpfen, zeigt, welch große Bedeutung die chinesische Regierung der Entwicklung beimisst, die die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft voranbringen soll. Im bevölkerungsreichsten Land der Erde wollte man die langjährigen Erfahrungen der Berliner Technischen Universität im Technologietransfer genauer kennen lernen. Grund dafür waren die im europäischen Vergleich frühen Aktivitäten der TU Berlin im Bereich des Technologietransfers und die mehr als zwanzigjährigen kooperativen Beziehungen mit den besten Universitäten in China. Natürlich spielte bei der Einladung an den Präsidenten der TU Berlin, die mit zahlreichen und namhaften Wirtschaftsunternehmen kooperiert, auch eine Rolle, dass die deutsche Industrie in China einen sehr guten Ruf genießt.

In Gesprächen mit Regierungsvertretern, aber auch mit Hochschulpräsidenten war deutlich zu erkennen, dass die Chinesen sich der besonders guten wissenschaftlichen Verbindungen erinnern, wie sie vor dem Zweiten Weltkrieg bestanden.

Bachelor in China, Master oder Doktor in Deutschland

Nach wie vor legt China gesteigerten Wert auf die Kooperation mit europäischen Partnern. Deshalb ist es sehr stark an einem Ausbau auch der wissenschaftlichen Beziehungen zu Deutschland interessiert. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen und der sich wandelnden politischen und ökonomischen Situationen sollten die bisherigen Kooperationsformen, insbesondere die des Zusammenwirkens zwischen chinesischen und deutschen Universitäten, überdacht werden. In den vergangenen Jahren war es üblich, dass deutsche Professoren Gastvorlesungen in China hielten und gemeinsam mit chinesischen Partnern wissenschaftliche Projekte durchführten, die meist bilateral von staatlichen Institutionen gefördert wurden. Die deutschen Universitäten nahmen zahlreiche High-School-Absolventinnen und -Absolventen aus China in das grundständige Studium auf - tausende von chinesischen Studienbewerbern pro Jahr sind für viele deutsche Universitäten keine Seltenheit.

Beim gegenwärtigen Stand des Bildungswesens in China erscheint es nicht mehr sinnvoll, die Qualifikation möglichst vieler chinesischer Studienbewerber in den Vordergrund zu stellen. Vielmehr muss China beim Aufbau seines höheren Bildungswesens, das heißt bei der Qualifikation seines eigenen akademischen Lehr- und Forschungspersonals, unterstützt werden. Deshalb muss sich künftig die Zusammenarbeit vom "Konzept Masse" hin zu einer Kooperation entwickeln, die sich auf wissenschaftlich anspruchsvolle Projekte und die Ausbildung von jungen Menschen im postgradualen Bereich konzentriert. Vor allem sollen Studierende mit einem Bachelor-Grad aus China nach Deutschland kommen, die sich insbesondere durch die Integration in die hiesige wissenschaftliche Arbeit weiter qualifizieren wollen. In der Forschung muss sich die Zusammenarbeit auf die Spitzenforschung konzentrieren.

Die Zukunft gehört der "Viereckskooperation"

Auch das Konzept der TU Berlin, die enge Kooperation mit der deutschen Industrie in die Zusammenarbeit mit chinesischen Wissenschaftspartnern einzubringen, um auch deren Kontakte zur chinesischen Wirtschaft zu nutzen, wird Nachahmer finden. Die Zukunft gehört der "Viereckskooperation": Die hiesige Wissenschaft und Wirtschaft werden gemeinsam mit der Wissenschaft und Wirtschaft in einem anderen Land kooperieren. Die Hochschulen dienen hier als Türöffner in die Wirtschaftswelt eines anderen Landes. Die Ansätze dazu sind in China besonders vielversprechend. Auch die Absolventennetzwerke, die die TU Berlin sowohl mit ihren Alumni in Deutschland als auch in China aufgebaut hat, werden dazu beitragen.

Bevorzugte Plätze in China sind die beiden Metropolen Peking und Shanghai. Peking ist das politische Zentrum mit den Entscheidungsträgern der Regierung, und Shanghai bildet das wirtschaftliche Zentrum. In beiden Städten gibt es ausgezeichnete Universitäten, mit denen die TU Berlin seit mehr als zwanzig Jahren kooperiert. Neben ihren traditionell guten Beziehungen in Peking wird die Technische Universität Berlin deshalb auch ihr Engagement in Shanghai verstärken. Die dortige Tongji-Universität ist die am stärksten auf Deutschland ausgerichtete Hochschule Chinas. Viele Kooperationsprojekte bestehen zwischen Tongji und TU Berlin. Tongji-Professoren sprechen oft Deutsch als erste Fremdsprache, es gibt gemeinsame Studiengänge mit deutschen Partnern, der jetzige Tongji-Präsident, Professor Wan, wurde als Maschinenbauer in Clausthal-Zellerfeld promoviert und war viele Jahre in führender Position bei AUDI in Ingolstadt tätig. Seine Vorgängerin im Amt, Frau Professor Wu, wurde in Zürich in Elektrotechnik promoviert, ist seit langem eine enge Freundin der TU Berlin und seit einem Jahr stellvertretende Erziehungsministerin Chinas. Bundeskanzler Schröder ist Ehrendoktor der Tongji-Universität. Tongji nimmt in China in den Bereichen Verkehr, Architektur und Bauen unbestritten den ersten Platz ein. Alles das sind gute Voraussetzungen, unter denen die Präsidenten von Tongji und TU Berlin während der Pekinger Konferenz beschlossen haben, wechselseitige Repräsentanzen zu schaffen und die Zusammenarbeit insbesondere in der natur- und ingenieurwissenschaftlichen Spitzenforschung noch weiter zu intensivieren.

Professor Dr. Kurt Kutzler,
Präsident der TU Berlin

Jubiläum in Peking

Seit 20 Jahren ist die TU Berlin an den besten Universitäten des Landes aktiv

Zwanzig Jahre lang wurde das zarte Pflänzchen "Kooperation mit China" gehegt und gepflegt, gedieh und begann zu blühen. Nun kann die TU Berlin mit ihren chinesischen Partnern stolz auf einige Erfolge zurückblicken. Anfang der 80er-Jahre entstanden die ersten fachlichen Kontakte zwischen Wissenschaftlern der TU Berlin und dem Pekinger Institut für Technologie (Beijing Institute of Technology BIT). Zu den Pionieren der Kooperation gehörten von Berliner Seite unter anderem die Fachgebiete Maschinenbau (Professor Günther Spur) und Fernmeldetechnik (Professor Peter Noll). Die Kontakte entwickelten sich gleich zu Beginn so vielversprechend, dass 1984 ein offizieller Kooperationsvertrag zwischen den beiden Universitätsleitungen geschlossen wurde. Anfangs fanden von Seiten der TU-Berlin-Forscher Gastvorlesungen in China statt. Das BIT schickte Doktoranden zur Promotion an die TU Berlin, um eigenes Personal zu qualifizieren. Zu den ersten Doktoranden gehörte unter anderem Professor Dr.-Ing. Jingming Kuang, heute Präsident unserer Partneruniversität Beijing Institute of Technology (BIT). Er promovierte bei Professor Noll auf dem Gebiet der Mobilkommunikation. Durch diese Forschungstätigkeit ist eine Kooperation entstanden, die bis heute anhält und auch Partner aus der Industrie einbezieht, die damals ebenfalls an der TU Berlin promovierten.

Die Zusammenarbeit zwischen der TU Berlin und dem BIT umfasst inzwischen zahlreiche Fachgebiete, darunter Wirtschaftswissenschaften, Sprach- und Kulturwissenschaften, Elektrotechnik, Maschinenbau, Fahrzeugtechnik und Physik. Anfang August dieses Jahres feierten beide Universitäten das 20-jährige Jubiläum ihres Kooperationsvertrages in Peking. Die beiden Präsidenten Kurt Kutzler und Jingming Kuang vereinbarten, die Kooperation auch in Zukunft fortzusetzen und neue Themengebiete wie beispielsweise Energietechnik aufzunehmen.

Prof. Dr. Kuang fördert als Präsident des BIT auch den Zusammenhalt zwischen den chinesischen Absolventen der TU Berlin. Im September 2000 gründete er gemeinsam mit anderen TU-Alumni den chinesischen Absolventenverein der TU Berlin, dessen Vorsitzender er ist. Generalsekretär ist Dr. Meng Fanchen, der ebenfalls am BIT arbeitet und die TU Berlin als Gastwissenschaftler kennt.

Harald Ermel,
Leiter Außenbeziehungen

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